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„Jeder hat sie weggeworfen. Ich hole sie heim.“

70 Jahre altes Radio mit Bluetooth: Sepp aus Siegsdorf haucht alten Röhren-Dinos neues Leben ein

Josef und Agnes Emmer
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Josef und Agnes Emmer aus Siegsdorf hat die Leidenschaft gepackt: Gemeinsam richten sie alte Radios her. Er an der Werkbank, sie an der Nähmaschine.

1.500 Tonnen Elektroschrott kommen allein im Landkreisgebiet Traunstein jedes Jahr zusammen. Europaweit soll künftig gegen diese Ressourcenverschwendung vorgegangen werden. Wie ein Ehepaar aus Siegsdorf jetzt schon dazu beiträgt, dass noch brauchbare Technik nicht auf dem Müll landet.

Siegsdorf – „Der Sepp ist im Keller“, sagt Agnes Emmer und meint damit ihren Mann Josef. Auf die Frage, wie oft ihr Mann dort unten sei, antwortet sie mit: „Immer wenn ich ihn nicht brauch“, und lacht. Denn dort unten hält sich Sepp Emmer gern auf. Seit etwa 40 Jahren sammelt der Rentner Radios und bringt sie wieder auf Vordermann. Rund 120 Stück schätzt Emmer in seinem Besitz zu haben. Viele davon sind älter als er selbst.

Die Röhrenradios im Kellerraum stahlen ein warmes Leuchten aus.

In einem Kellerraum befinden sich einige der bereits restaurierten Raritäten. An den Wänden reihen sich selbstgebaute Holzregale aneinander, die mit massiven Regalbrettern ausgestattet sind. Sie sind berechtigterweise für viel Gewicht ausgelegt, denn jedes Segment ist vom Fußboden bis zur Decke voll mit alten Röhren-Radios. Diese Schönheiten, mit hölzernem Gehäuse und einem soliden Innenleben, bringen einige Kilos auf die Waage. Zwei Radios sind eingeschaltet und spielen denselben Sender. Ihr warmer Klang füllt den Raum mit klassischer Musik.

Radio mit Fernbedienung ist Emmers ganzer Stolz

Auf ein Lieblingsstück seiner Sammlung kann sich Sepp Emmer nicht festlegen: „Die Schatulle von Siemens, oder der Saba Automatik, der ist Baujahr 55. Da hat es damals schon eine Fernbedienung gegeben. Das hat nur der Saba gebaut.“ Das Novum der damaligen Technik hängt an einem langen goldbraunen Kabel, ist etwas breiter als ein Rasierer und mit ein paar Knöpfen und Reglern an der Spitze ausgestattet. „Vor 60 Jahren hat es 60 Mark gekostet, und heute wird sie zwischen 300 und 400 Euro gehandelt“, präsentiert Sepp Emmer stolz die Fernbedienung aus beigem Plastik.

Die Fernbedienung und das dazugehörige Radio der Marke Saba sind Sepp Emmers ganzer Stolz.

Er kennt die damaligen Preise der Wohnzimmerradios genau. In einem Koffer bewahrt er dutzende alte Magazine der „Funkschau“ auf, einer Zeitschrift für Funktechniker, die regelmäßig die Neuerscheinungen der Radiotechnik präsentierte. Mit Ersatzteillisten und detaillierten Preisen. Auf einer Seite, die die Überschrift „Radio-Röhrenkauf ist Vertrauenssache“ trägt, schlägt Emmer die Röhre „EM 34“ nach. Sie kostete in den 50ern sechs Mark und 30 Pfennig. Das „Auge“, wie Sepp Emmer diese spezielle Röhre bezeichnet, hat ein kreisrundes grünes Licht, welches die Intensität des Senderempfangs anzeigt.

Sepp Emmer kennt jeden alten Preis der Raritäten und der Ersatzteile.

Zu schade für den Schrottplatz

Das Hobby des Radio-Sammelns und -Herrichtens hatte Sepp Emmer angefangen, da es ihm wehtat zu sehen, wie die alte Technik lieblos entsorgt wurde. „Die können das doch nicht wegschmeißen, das gute Zeug“, sagt Emmer, „das hat mich gereizt. Jeder hat sie weggeworfen. Ich hole sie heim.“ Mit dieser Einstellung liegt der Rentner im Trend, denn europaweit soll künftig mehr repariert werden.

Die Röhren im Inneren eines Radios.

„Produkte müssen langlebig, wiederverwendbar, recycelbar und möglichst reparierbar sein“, heißt es im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Ebenso ist darin das „Recht auf Reparatur“ festgehalten, mit dem ein wesentlicher Beitrag zum Ressourcenschutz geleistet werden soll. Anfang Februar haben sich das Europäische Parlament und der Rat auf die vorgeschlagenen neuen Regeln für das Recht auf Reparatur geeinigt. Der von beiden politischen Gremien gemeinsam erarbeitete Text muss nun formell verabschiedet werden, bevor er an die Mitgliedsländer geht.

Nach Ablauf der gesetzlichen Gewährleistungsfrist sollen Verbraucher durch die neue Vorschrift dann die Möglichkeit bekommen, eine unkomplizierte und kostengünstige Reparatur zu verlangen. „Die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen eine aktive Rolle übernehmen und zu einer grüneren Umwelt beitragen“, sagte EU-Justizkommissar Didier Reynders nach der politischen Einigung: „Unnötiger Abfall und eine unnötige Verschwendung wertvoller Ressourcen lassen sich unter anderem dadurch vermeiden, dass Waren repariert statt automatisch durch neue ersetzt werden.“

1.500 Tonnen Elektroschrott pro Jahr allein im Landkreis Traunstein

„Die Sammelmengen an Elektroaltgeräten, die über die Wertstoffhöfe im Landkreisgebiet Traunstein abgegeben werden, betragen jährlich knapp 1.500 Tonnen“, so Michael Schürz, Pressesprecher des Landratsamtes Traunstein. In den letzten Jahren sei ein leichter Mengenrückgang zu verzeichnen, wie das Elektro-Altgeräte-Register 2023 mitteilte. Neben der angespannten wirtschaftlichen Lage und dem sich anpassenden Konsumverhalten werde von den Kunden vermehrt die Rücknahmeverpflichtung der Hersteller von Elektrogeräten in Anspruch genommen. „Dies trägt ebenso zum Rückgang der Sammelmengen im Landkreis Traunstein bei“, so Schürz.

Oft wurden die Geräte jahrelang vernachlässigt, bis sie bei den Emmers landen.

Sepp Emmer holt die alten Geräte vom Wertstoffhof, kauft sie auf Flohmärkten oder sie werden ihm gebracht. Emmer baut danach das Innenleben aus und wertet das Gehäuse wieder auf: „Abschleifen, abbeizen, schleifen und dann wieder lackieren“, erklärt er. Manchmal müssen auch Teile ausgetauscht werden. Der Radiobastler verwendet dazu nur Originalteile, die er aus alten Radios gewinnt, welche nicht mehr hergerichtet werden können. Bei den Stoffen, die einen optischen Schutz für die Lautsprecher bieten, hilft ihm seine Frau Agnes.

Josef und Agnes Emmer im Radio-Keller. Hier ist nur ein Teil der 120 Radios untergebracht, die Sepp Emmer besitzt.

„Die Stoffe, das ist oft ein Riesenproblem“, sagt Agnes Emmer. Nähen ist ihre Leidenschaft und damit ist sie auch bei den Siegsdorfer Trachtlern aktiv. Die Stoffe der Radios sind oft in schlechtem Zustand, gehen beim Waschen ein oder sind aus einem Raucherhaushalt und stark verfärbt. Sepp Emmer deutet auf ein Radio von Blaupunkt: „Da passt der Stoff nicht rein, der Stoff ist zu neu.“ – „Den müssen wir noch mal rausmachen und einen anderen reinbauen. Das passt nicht“, stimmt Frau Emmer ihrem Mann zu. Auch auf sie ist sichtlich der Funke der Begeisterung für die Ästhetik der Wohnzimmerradios übergesprungen.

„Da hätte man eins auf die Finger bekommen“

Manche Geräte kauft das Ehepaar auch gemeinsam ein. Für eine Musiktruhe sind sie sogar vor 20 Jahren für einen Tag nach Dresden gefahren. Früher haben die Radios noch einen anderen Stellenwert gehabt. „Wir durften als Kinder ein Radio gar nicht anfassen“, erinnert sich das Ehepaar, „da hätte man eins auf die Finger bekommen“. Meist standen die Kostbarkeiten hoch oben auf einem Regal oder Küchenschrank. „Der Saba Freiburg hat 699 Mark gekostet. Und 150 Mark hast du verdient. Im Monat“, erklärt Sepp Emmer. Im Inneren eines alten Radios hat er auch schon mal einen Raten-Zettel gefunden.

Ab dem Frühling kann Sepp Emmer auch wieder im Carport basteln: Hier hat er eine kleine Werkbank und weitere Radios, die darauf warten, gerettet zu werden.

Das Innenleben befreit Sepp Emmer akribisch mit Wattestäbchen und Pinseln von Fett und Staub. Etwa 20 Stunden braucht er, um ein Radio wieder herzurichten. Bei den elektrischen Feinheiten hilft ihm ein Freund. Zwischen den Kabeln und Röhren eines offenen Radios zeigt Emmer auf eine winzige Platine: „Das ist der Chip da. Da, der unten. Das ist der Chip fürs Handy.“ Wenn man vorne den Schalter „Phono” drückt, der normalerweise für den Plattenspieler gedacht ist, lässt sich per Bluetooth Musik vom Handy auf dem über 70 Jahre alten Röhren-Radio abspielen.

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