Kurz vor erstem Lockdown Pachtvertrag unterschrieben
Wirte-Paar im Landgasthof Hittenkirchen geht mit Kreativität durch Corona-Krise
Für Jungunternehmer gibt es wohl kaum einen schwierigeren Zeitpunkt, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen, als während der Corona-Pandemie – trotz Zimmer und Restaurant mit Chiemseeblick. Zwei, die aber genau das gewagt haben, sind die Rimstingerin Anja Fellner und ihr Partner Patrick Bellahouel.
Bernau – Im Februar 2020 unterschrieben sie den Pachtvertrag für den Landgasthof Hittenkirchen. Keinen Monat später folgte der erste Lockdown. Mit erstaunlicher Kreativität und Zuversicht meistern sie die Krise, wie die OVB-Heimatzeitungen im Gespräch erfuhren.
Auf den ersten Blick ein gutes Gefühl
Die Beiden lernten sich in Tirol kennen: die 32-Jährige war im Management eines Spa-Hotels, er im gleichen Haus als Hotelfachmann beschäftigt. Der Funke sprang über und heute haben die Beiden eine zweijährige Tochter. Im Jahr 2018 zogen sie als kleine Familie nach Rimsting. „Wir wollten uns gerne selbstständig machen“, erzählt Anja Fellner. Nach mehreren Besichtigungen hätten sie im OVB die Anzeige vom Landgasthof Hittenkirchen entdeckt. Beiden war nach der Besichtigung klar: „Das ist es.“
Nachdem der Finanzplan stand – hier kommt klar die Managerin in Anja Fellner zum Ausdruck – folgte die Unterschrift. Die Tinte war kaum trocken, als völlig unerwartet der erste Corona-Lockdown zur Schließung zwang.
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Möbel und Einrichtung waren zu diesem Zeitpunkt bereits in Auftrag gegeben. „Wir sind erst relativ sorglos an die Sache herangegangen“, erinnert sich das Paar. „Wir dachten, Corona ist vielleicht so etwas wie die Schweinegrippe und nicht so dramatisch, wie es allgemein dargestellt wurde.“
Eigentlich planten sie, Ostern aufzusperren. Daraus wurde der 18. Mai, als offiziell wieder erste Öffnungsschritte erlaubt waren. „Corona hat einen riesigen Rattenschwanz nach sich gezogen“, berichtet Anja Fellner. Aus vier Wochen Lieferzeit für die Betten in den sechs Gästezimmern seien 13 geworden. Wegen der Corona-Auflagen durften Handwerker bei den Renovierungsarbeiten nicht zusammenarbeiten und hatten ihrerseits mit Lieferengpässen zu kämpfen, was wiederum Zeitverzögerungen brachte. Die Siebträger-Kaffeemaschine aus Italien kam erst drei Wochen nach der Eröffnung an.
Der Sommer ist „super gelaufen“
Schließlich kehrte am Ende des ersten Lockdowns rasch Normalität ins Geschäft ein. „Die sechs Monate im Sommer sind super gelaufen“, so Anja und Patrick. Dabei hatten die Jungunternehmer nicht nur Corona zu verdauen, sondern die Gäste auch ein neues Konzept. „Die anfängliche Skepsis ist bald gewichen“, erinnern sie sich schmunzelnd. Und das liegt nicht daran, dass sie so viel wie möglich selbst zubereiten und soweit möglich regional beziehen, am liebsten in Bio-Qualität. Die anfängliche „Verwirrung“ einiger Gäste des traditionsreichen Landgasthauses lag an dem, was der kreative Kopf Patrick mit seinem Koch auf den Teller zaubert: traditionelle Küche neu interpretiert. „Als die Coronazahlen im Oktober wieder stiegen, haben wir entschieden, einen Foodtruck zu betreiben“, erzählt das Paar.
Weihnachten soll wieder geöffnet werden
Schon eine Woche nach der Schließung der Gastronomiebetriebe habe die Gemeinde Bernau den Standort beim Minigolfplatz zur Verfügung gestellt. Den Foodtruck betreiben sie bis heute. Aktuell ist der Landgasthof Hittenkirchen nach der letzten Hot-Spot-Regelung immer noch zu. Zu Weihnachten erwägen Anja und Patrick das Lokal wieder zu öffnen, wenn mehr Konstanz und Sicherheit bezüglich der Inzidenzen besteht. Als Fazit und Zwischenbilanz zieht Anja: „Das große Problem ist nicht, ob die Gäste kommen, sondern gutes Personal zu kriegen.“ In den vergangenen beiden Jahren hätten sie 4000 Euro in die Personalsuche investiert. „Viele Leute haben sich nach den langen Lockdowns neue Jobs gesucht“, sagt sie.
Trotz schwerer Umstände glücklich
Momentan schauten sie gespannt auf den Winter und kommentieren mit einem Augenzwinkern: „Erschüttern kann uns nichts mehr.“ Sie bezeichnen sich trotz aller schweren Umstände als „mega happy“ und bereuen ihren „aufregenden Schritt“ keinesfalls: „Wir haben so tolles Feedback und so viele tolle Menschen kennengelernt.“
In die Umstände wachse man hinein und es habe immer einen Plan B gegeben: „Der Staat hat uns gut unterstützt, sonst hätten wir das nicht gewuppt.“ Richtig spannend werde es noch einmal, wenn ein „normaler Winter“ komme. Der war ihnen im Landgasthof Hittenkirchen wegen Corona bislang noch nicht vergönnt.
Familientradition:
Der Landgasthof Hittenkirchen ist ein traditionsreicher Familienbetrieb. Die heutige Besitzerin Marianne Bufler-Feichtlbauer ist froh, dass der Landgasthof Hittenkirchen trotz Corona weiter existieren kann: „Es ist mein Elternhaus, mir ist wichtig, dass ich es im Sinne meiner Ahnen weiterführe.“ Sie wolle nicht ausgerechnet jene sein, die die Familientradition „über den Haufen wirft“ und zum Beispiel Wohnungen einbaue. Mit ihrem Pächterpaar ist sie rundum zufrieden. „Die Zwei sind immer positiv und haben neue Ideen“, lobt Bufler-Feichtlbauer und ergänzt: „Sie sind richtige Stehaufmandl, ich finde das toll.“
Heimat der Schützengesellschaft:
Ehrenschützenmeister Franz Thalhammer von der Schützengesellschaft (SG) Hittenkirchen weiß, wie wichtig der Landgasthof für den Verein ist: „Sonst hätten wir keinen Aufenthaltsraum.“ Bisher seien die Schützen mit allen Wirten gut ausgekommen, auch jetzt mit Anja Fellner und Patrick Bellahouel. Im Keller befinden sich der Schießstand und die Garderobe, jeden Freitag sei Vereinsabend – momentan aufgrund der hohen Corona-Auflagen bis auf Weiteres nicht. Der Landgasthof ist schon immer Vereinslokal gewesen. Die Schützengesellschaft Hittenkirchen gibt es seit dem Jahr 1884. Sie hat sehr viele Mitglieder aus dem Dorf und eine aktive Jugendgruppe.