Einsatzkräfte erinnern sich an dramatische Tage im Jahr 2013
„Haben bis zum Schluss gekämpft“: Das Jahrhundert-Hochwasser in Kolbermoor
„Wir haben bis zum Schluss gekämpft.“ Dieser Satz von Kreisbrandrat Richard Schrank beschreibt die dramatischen Stunden des Jahrhunderthochwassers von 2013. Fünf Tage stemmten sich in Kolbermoor hunderte Einsatzkräfte gegen die Mangfall-Fluten. Mit Bildern von damals werden ihre Erinnerungen wach.
Kolbermoor – Langanhalter Starkregen und eine Staulage vor den Alpen hatte die Pegel der Mangfall steigen lassen. Am Freitag, 31. Mai 2013, warnte das Wasserwirtschaftsamt, dass am Wochenende die Hochwasserwarnstufe 4 erreicht werde. „Wir begannen noch am Abend mit der Deichwehr. Kolbermoor war in elf Sektionen aufgeteilt, in jeder waren rund um die Uhr zwei Kameraden im Einsatz“, berichtet Schrank, damals Kommandant der Kolbermoorer Feuerwehr und Örtlicher Einsatzleiter. Sandsäcke werden gefüllt, um die Deiche zu schützen. Radwege gesperrt, Durchfahrten gesichert.
In Schwaig kommt das Wasser von zwei Seiten
Am Samstag, 1. Juni, kontrolliert Schrank die ausufernden Seen im Oberland, denn „dieses Wasser kommt zu uns ins Mangfalltal“. In Schwaig zeichnen sich bereits gravierende Probleme ab. Oberflächenwasser, das eigentlich in einem unterirdischen Bauwerk zur Schleuse nach Oberwöhr geführt werden soll, fließt nicht mehr ab und staut sich auf den Wiesen. „In diesem Bereich wurde gerade der Mangfalldamm gebaut. Die Bauarbeiten waren wegen des Pfingstwochenendes unterbrochen worden, Kiesschüttungen, lose Steine und Baumaschinen lagen und standen am Ufer“, erinnert sich Schrank. „Also beschlagnahmten wir nach dem Bayerischen Feuerwehrgesetz die Bagger und nahmen den Deichbau mit Vlies und Beton selbst in die Hand, um die Lücke zu schließen.“
Die Mangfall steigt weiter. Die Lage spitzt sich zu. Am Sonntag, 2. Juni, 4.45 Uhr, kommt der „große Führungsstab“ zusammen. Im Feuerwehrhaus wird die technische Einsatzleitung eingerichtet. Weitere Kräfte und Material werden nachgefordert. Die Bevölkerung wird gewarnt. Bürgermeister Peter Kloo und der damalige Amtsleiter Albert Paukert richten an der Mangfallbrücke eine Bürgerinfo ein.
Wohngebiete werden evakuiert
Die Deichverteidigungsmaßnahmen werden verstärkt. Es gibt erste Sperrungen. Tiefgaragen werden geräumt. Die Abstimmung mit Wasserwirtschafts- und Landratsamt wird engmaschiger. Alle fünf Minuten werden die Pegelstände in Feldolling abgefragt. Am frühen Morgen beginnt die Evakuierung der Menschen in den gefährdeten Gebieten. Der Pegel steigt weiter. 10.34 Uhr ruft das Landratsamt den Katastrophenfall aus. Meldestufe 4 ist überschritten. Inzwischen sind bereits mehr als 300 Kräfte von Feuerwehren, THW, BRK, Polizei, Bergwacht und Wasserrettung im Einsatz.
Der Rosenheimer Ortsteil Schwaig wird der Örtlichen Einsatzleitung Kolbermoor zugeteilt. Feuerwehren und private Firmen versuchen, das angestaute Oberflächenwasser aus dem Bereich in die Mangfall zu pumpen. Hier ist auch Jürgen Schlarb im Einsatz. Auf zwei Seiten wächst die Gefahr. Die Mangfall tobt durch Kolbermoor. Das Oberflächenwasser steigt. Um 14.10 Uhr fällt eine schwere Entscheidung: Der Abschnitt Schwaig muss aufgegeben werden. „Als ich nach einer kurzen Ruhephase zurückkehrte, war der Bereich schon verloren. Das war kein gutes Gefühl“, erinnert sich Schlarb, denn: „Keiner will aufhören, weil ihm bewusst ist, was das für die Menschen in den Überflutungsgebieten bedeutet. Aber wir haben bis zum Schluss gekämpft.“ Doch für die Einsatzkräfte war es zu gefährlich geworden. Sie mussten raus, Gerätschaften und Schläuche zurücklassen. „Die Bewohner waren schon draußen“, berichtet Schlarb.
Die Prognosen lassen nicht auf Entspannung hoffen. „Wir wussten, dass der Hochwasserscheitel gegen 20 Uhr kommen würde“, erinnert sich Schrank. Die Deiche werden weiter verstärkt. Am Alten Friedhof wird ein Damm aus Vlies und Sand gebaut.
Werkssiedlung muss geopfert werden
Besonders schwierig ist der Schutz des Schwarzen Wegs am Mangfall-Nordufer zwischen den beiden Brücken. Mit Kohlerückständen der Spinnerei erbaut und einer dünnen Deichkrone ist er so marode, dass schwere Technik nicht zum Einsatz kommen kann. Sandsäcke werden per Hand angeschleppt und verbaut.
Vor dem Werks-Kanal an der Von-Bippen-Straße wird ein zweiter Deich errichtet: „Ein Sandwall, für den 30 Sattelzüge Kies und Sand ankarrten“, beschreibt der Einsatzleiter die Materialmassen. Es ist eine Entscheidung für Rosenheim und gegen die Von-Bippen-Straße, denn bricht der Damm am Schwarzen Weg, würde sich das Wasser über die Siedlung ergießen. „In den Kanal aber durfte es nicht gelangen, dann wäre die Innenstadt von Rosenheim überschwemmt worden“, erklärt Schrank.
Gegen 20 Uhr unterspült das Wasser den Schlauchwall in der Unteren Mangfallstraße. „Mit ihrer Dynamik und dem starken Wellengang hatte die Mangfall den Schlauch immer wieder heftig bewegt, wodurch die Stücke auseinanderbrachen“, erklärt der Kommandant. In der Folge bricht der Hochwasserdeich. Die Straßen südlich davon werden überflutet.
21.03 Uhr wird auch der Schwarze Weg überspült. 22.43 Uhr bricht die Deicherhöhung. Die Mangfall flutet die Werkssiedlung bis zum errichteten Hilfsdeich. Ein Gebäude der Werkssiedlung wird gerade saniert. Baucontainer werden vom Wasser mitgerissen und durchbrechen den Hilfsdeich. Kurz nach Mitternacht – am Montag, 3. Juni, 0.05 Uhr – bricht das Wasser aus der Werkssiedlung schließlich in den Werkskanal ein. Doch die Flut ist gedrosselt, denn der Kanal war bereits lange zuvor abgeriegelt worden. Die Innenstadt von Rosenheim ist geschützt.
Ab 3. Juni sinkt die Mangfall wieder
In der Werkssiedlung muss der Strom abgestellt werden, weil sich die Elektroverteiler in den Kellern befinden. Was zu diesem Zeitpunkt noch keiner ahnt: Damit wird auch die Hebeanlage im Regenwassersystem der Carl-Jordan-Straße deaktiviert. Stunden später steht auch diese Straße unter Wasser. Die Keller sind vollgelaufen.
Dann endlich kommt die Wende: Um 3.20 Uhr steht der Pegel in Feldolling auf 2,96 Metern. Die Einsatzabschnitte melden stagnierenden Wasserstand. Für die Helfer – aktuell sind 650 im Einsatz – beginnt die Zeit des Wartens. Weitere Kräfte aus ganz Bayern sind im Anmarsch. Die Lage bleibt stabil. 7.15 Uhr: nächste Lagebesprechung mit anschließender Sichtung des Schadensgebietes. 9 Uhr: Der Pegel in Feldolling liegt wieder unter der Meldestufe 4. Der Regen hört auf. Jetzt beginnt das große Aufräumen.
Hunderte Keller müssen ausgepumpt werden, die gröbsten Schäden werden notdürftig repariert. Viele Häuser sind ohne Strom. Tausende Sandsäcke werden wieder entfernt, die Straßen freigeräumt. In der Hochphase waren mehr als 1.100 Einsatzkräfte im Bereich Kolbermoor im Einsatz.
Einsatzkräfte kommen endlich kurz zur Ruhe
Am Dienstag, 4. Juni, 2.50 Uhr, ziehen sich die Führungskräfte der Feuerwehr Kolbermoor erstmals zurück. Einige waren seit 40 Stunden im Dauereinsatz. Und auch die Kameraden kommen erstmals wieder nach Hause. „Wir hatten ja fast fünf Tage lang in der Feuerwache gewohnt“, erinnert sich Nina Schrank.
Während die aktiven Kameraden weiter Keller auspumpen, räumt die Jugendfeuerwehr auf. „Tausende Meter Schläuche mussten gereinigt werden“, erinnert sich Daniel Gebert, damals noch bei der Jugendfeuerwehr und heute stellvertretender Kommandant. Es war sein erster Einsatz überhaupt: „Er war außergewöhnlich, das Ausmaß unvorstellbar.“ Die Jahrhundert-Flut hat Spuren hinterlassen: bei 1800 Betroffenen, bei den Einsatzkräften und in der Stadt.










