Mediziner sind alarmiert
Wegen geschobener Vorsorge: Rosenheimer Ärzte fürchten eine Krebswelle auf die Kliniken zurollen
Auch während der Corona-Pandemie läuft der Betrieb im Krebszentrum des Romed-Klinikums weiter. Die Mediziner dort fürchten jedoch, dass viele die Krebsvorsorge auf die lange Bank schieben, solange das Virus dominiert. Sie warnen vor diesem Verhalten.
Rosenheim – Als die Corona-Pandemie sich erstmals Bahn durch Europa brach, wurde es in manchen Arztpraxen still. Kontakte vermeiden bedeutete für manch einen, auch Arztbesuche vermeiden. „Die Leute sind nicht mehr in die Praxis gekommen, von einen Schlag auf den anderen“, berichtet der Allgemeinmediziner und Vorsitzende des Ärztlichen Kreisverbands Rosenheim, Dr. Fritz Ihler, über seine Erfahrungen während der ersten Pandemie-Welle.
Patienten sagen Termine ab
Was auf der einen Seite sinnvoll erscheint, um Infektionen zu vermeiden, kann auf der anderen Seite für schlimme Nachwehen sorgen. Gerade bei der Krebsvorsorge.
Professor Dr. Stefan von Delius macht sich deswegen Sorgen. Nicht nur während der ersten Welle hätten Patienten von sich aus Termine abgesagt, wie der Chefarzt der Medizinischen Klinik II am Romed-Klinikum berichtet. Sei es aus Vorsicht, sei es aus Angst vor einer Ansteckung.
Wenn Patienten zu spät kommen
Doch während besagter Corona-Wellen lief der Betrieb in den Operationssälen natürlich weiter. In den Medien war immer wieder die Rede von verschiebbaren Eingriffen, die neu terminiert wurden. „Man hat auch mal Patienten, die mit ihrer Operation ein, zwei Monate später drankamen. Aber bei Krebspatienten auf gar keinen Fall“, versichert von Delius.
Aus gutem Grund: „Werden solche Eingriffe länger als vier bis sechs Wochen verschoben, schränkt dies auch die Prognose des Patienten ein“, sagt Professor Dr. Kai Nowak, Chefarzt der Klinik für Allgemein-, Gefäß- und Thoraxchirurgie. In schweren Fällen führe schon eine Verzögerung von wenigen Tagen dazu, dass die Chancen des Patienten sinken, seine Krebserkrankung zu überleben.
Doch manchmal kann es selbst für solche Eingriffe zu spät sein. Im vergangenen Jahr sei die Zahl jener Darmkrebs-Patienten, deren Tumor nicht mehr operativ entfernt werden konnte, um das Anderthalbfache gestiegen, mahnt Nowak. Menschen, die nur noch palliativ behandelt werden konnten, wie der Chirurg es ausdrückt. Anders gesagt: Menschen, denen man nicht mehr helfen kann, außer damit, dass man ihnen die Zeit bis zum Tod so beschwerdefrei wie möglich gestaltet.
Mehr Not-OPs wegen Darmverschlüssen
„Das ist sicherlich ein Aspekt der ersten und zweiten Corona-Welle“, vermutet Nowak, dass viele dieser unheilbaren Fälle bei rechtzeitiger Diagnose behandelbar gewesen werden. Ein Grund mehr, die Menschen daran zu erinnern, dass Krebs, rechtzeitig erkannt, eben kein Todesurteil bedeutet.
Dennoch scheint die Zurückhaltung bei den Patienten im vergangenen Jahr im Wortsinn virulent gewesen zu sein. Der Chirurg Nowak berichtet von einer Zunahme an Notoperationen bei Darmverschlüssen. Fälle, bei denen das Organ mitunter drohte, unter dem Druck eines Tumors aufzubrechen.
Auch wenn inzwischen viele Eingriffe minimalinvasiv abliefen, bleibe ein kleiner Teil an Patienten, der nach einer OP zumindest für ein bis drei Tage auf der Intensivstation behandelt werden müsse.
„Trotz dieser wenigen Patienten waren unsere Kapazitäten bisweilen so eingeschränkt, dass wir auch die Eingriffe bei diesen wenigen Patienten verschieben mussten“, schildert Nowak, wie sehr auch die Belegung der Intensivbetten mit ungeimpften Covid-Erkrankten die Handlungsmöglichkeiten der Ärzte begrenze.
Für Ärzte ein ethisches Dilemma
„Das ist natürlich ein ethisches Dilemma“, wie er findet. Gerade im Blick darauf, dass Tumorpatienten im Vergleich zu den schweren Covid-Fällen nach kurzer Zeit wieder auf Normalstation verlegt werden könnten. In Rosenheim seien jedoch nur wenige von solchen Konstellationen betroffen gewesen, bei denen die Operation mangels Intensivkapazitäten verschoben werden musste. Dennoch: „Hätte die jüngste Welle länger gedauert, hätten wir durchaus Probleme bekommen.“
Es bleibt der Appell an jeden, Vorsorgetermine nicht auf die lange Bank zu schieben. „Wir hatten Patienten mit mehreren Tumoren im Bauchraum, die weder zum Hausarzt gegangen sind noch zum Gastroenterologen“, mahnt Nowak, gerade bei Beschwerden den Gang zum Arzt oder zu den Sprechstunden des Onkologischen Zentrums am Romed-Klinikum nicht zu scheuen.