Ängste, Depressionen und Verhaltensauffälligkeiten
Wasserburger Ärzte schlagen Alarm: Kinder und Jugendliche leiden besonders unter Corona
Ein Jahr Pandemie: Das kann auch ohne Ansteckung gesundheitliche Folgen haben, stellen der Wasserburger Kinderarzt Dr. Marko Senjor und der Haager Hausarzt Christian Büker fest. Vor allem Kinder und Jugendliche leiden. Viele entwickeln Ängste, Depressionen, Verhaltensauffälligkeiten.
Wasserburg/Haag – Kleinkinder fremdeln stark, weil sie von Geburt an fast nur Mama und Papa gesehen haben und die Begegnung mit Fremden nicht gewohnt sind. Mädchen und Buben werden immer stiller, weil sie ihre Freunde nicht treffen können. Teenager kapseln sich ab, weil die Clique fehlt.
Junge Erwachsene, die eigentlich elanvoll ins Ausbildungs- und Berufsleben starten sollten, quälen bereits Zukunftsängste. Das sind Beispiele aus dem Praxisalltag. Büker sagt, diese Entwicklungen bei vielen Patienten seien „nur schwer auszuhalten“. Senjor findet, auch für die psychische Gesundheit der Kinder müsse alles unternommen werden, um die Seuche zurückzudrängen.
Ältere würden zwar ebenfalls oft stark unter der Isolation und Ängsten leiden, doch sie hätten aufgrund ihrer Lebenserfahrung schon gelernt, mit Krisen umzugehen, stellt Hausarzt Büker fest. Mittlerweile habe sich außerdem die Situation in den Seniorenheimen (Pay-Artikel ovb-online.de) entspannt, viele ältere Bürger hätten ihre erste und sogar schon zweite Impfung erhalten.
Auch Patienten mittleren Alters könnten die Situation eher aushalten: Sie haben schon was erlebt, oft eine gesellige Jugendzeit erlebt und seien in ihrer Entwicklung nicht davon abhängig, andere Menschen zu treffen – Kinder und Jugendliche schon. Kein Sport, kein Ausgehen, keine Party, keine Übernachtung bei den besten Freundinnen – „der Jugend bricht alles weg“.
Senjor stellt fest, dass vor allem Kinder, die schon vor der Pandemie zu einer etwas fülligeren Statur geneigt hätten, dies jedoch mit Sport in der Schule und im Verein kompensieren konnten, Gewichtsprobleme entwickeln würden. „Im Elternhaus kann die fehlende Bewegung nicht kompensiert werden“, sagt er bedauernd.
Egal ob jung oder älter: Menschen, die ohnehin schon etwas labiler seien, gehe es seit einem Jahr besonders schlecht, sagt Büker. „Vielen fehlen die Strukturen.“ „Ich sehe ja nur die Spitze des Eisbergs“, stellt er fest, „die Wartelisten der Psychologen sind derzeit randvoll.“
„All das macht mich wütend“
„All das macht mich wütend“, gibt Büker offen zu. Er und Senjor sind überzeugt, dass die soziale und emotionale Komponente der Pandemie viel zu wenig Beachtung findet in den Debatten über die Folgen der Corona-Krise.
Kinder stecken Corona meistens gut weg
Kinder können außerdem auch an Corona erkranken. In der Regel stecken sie die Infektion nach Erfahrungen von Senjor jedoch gut weg. „Husten, Schnupfen: Mehr passiert meistens nicht.“ Doch er hatte in seiner Kinderarztpraxis auch schon einen Säugling, der schwer am Covid-19-Virus erkrankte.
Senjor hofft, dass bald auch für Kinder ein passender Impfstoff entwickelt ist. Denn auch wenn die Kleinen oft nicht schwer erkranken würden, könnten sie schließlich andere anstecken. Er wäre auch selbst bereit, in seiner Praxis die Spritze zu setzen.
Lieber Wartezimmer voll mit erkälteten Patienten
Was Büker fuchst: „Dass wir Hausärzte so lange nicht impfen konnten“. Erst nach Ostern soll es nun soweit sein. „Viele von uns sind längst bereit“, sagt der Haager Internist. Bis zu 100 Impfungen am Tag könnte er durchführen – „das ist zwar ein großer administrativer Aufwand, doch wir würden es machen.“
Hoffen auf baldige Impfmöglichkeit
Büker hofft, dass für die niedergelassenen Ärzte, die ab April eingreifen dürfen, jetzt ein Impfkonzept entwickelt wird, das ein möglichst einfaches Verfahren ermöglicht und nicht erneut einen hohen bürokratischen Apparat aufstülpt. „Die Bewältigung der Krise geht nicht ohne uns Hausärzte“, ist Büker überzeugt.
Weniger Erkältungskrankheiten
Senjor stellt trotz vermehrt auftretender psychischer Erkrankungen wie Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern fest, dass aufgrund der Kontaktbeschränkungen und der Maske die typischen Erkältungskrankheiten des Winters oder grippale Infekte kaum auftreten. „Doch ich hab lieber das Wartezimmer voll mit erkälteten als mit seelisch leidenden Kindern“, sagt Senjor.
Büker: Kritik am Krisenmanagement
Was Hausarzt Christian Büker „erschreckend“findet, ist das in seinen Augen mangelhafte Krisenmanagement. Dass die Verantwortlichen zu Beginn der Pandemie Fehler gemacht hätten – etwa bei der Bestellung von Masken und Schutzmaterialien – sei nicht verwunderlich und akzeptabel gewesen.
Dass der Fehler bei der Bestellung des Impfstoffes erneut gemacht worden sei, jedoch nicht mehr. Und jetzt der dritte Fehler: zu wenig Schnelltests seien geordert worden. „Das ist ein Versäumnis, das die Menschen ausbaden müssen“, warnt Büker. Impfstoffe und Schnelltests seien schließlich kein Luxusproblem, sondern ein existenzielles Thema.
„Mittlerweile läuft die dritte Welle, weil nicht früh genug und rechtzeitig richtig reagiert wurde“, ist Büker überzeugt. „Zu spät, zu wenig, zu zögerlich“, fasst er die Corona-Politik zusammen.

