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Bezirksarchivar stellt neue Erkenntnisse vor

742 Tote in den Anstalten Gabersee und Attl: Wasserburg arbeitet Nazi-Euthanasie auf

Bezirksarchivar Nikolaus Braun stellte neue Erkenntnisse aus seiner Arbeit vor.
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Bezirksarchivar Nikolaus Braun stellte neue Erkenntnisse aus seiner Arbeit vor.

742 getötete Menschen in den ehemaligen „Heil- und Pflegeanstalten“ Gabersee und Attl: Wie sich die Stadt Wasserburg mit den Verbrechen der „Euthanasie“ im Nationalsozialismus auseinandersetzt.

Wasserburg – 742 Patientinnen und Patienten der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalten in Gabersee und Attel wurden Opfer der NS-„Euthanasie“. Dass die Patientenmorde lange geheimgehalten und verschleiert wurden – auch nach 1945 – gehört zu den dunklen Kapiteln der regionalen NS-Geschichte.

Bezirksarchivar Nikolaus Braun stellte aktuelle Erkenntnisse zu der Thematik „…verlegt in eine unbekannte Anstalt – die Ermordung von Patientinnen und Patienten der Anstalten Gabersee und Attl während des Nationalsozialismus“ vor. Die vom Heimatverein organisierte Veranstaltung im Wasserburger Gimplkeller fand im Rahmen des bundesweiten „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ statt.

Hitlers „Euthanasie“-Ermächtigung vom 1. September 1939.

Vorsitzender des Heimatvereins, Peter Rink, erklärte, dass heutzutage vor allem die Opfer im Fokus stehen würden, egal ob aus Gabersee, Attel, Eglfing oder sonst woher stammend. Er stellte deshalb die Verpflichtung in den Vordergrund, die Getöteten mit der Nennung ihrer Namen und der Aufarbeitung ihrer Schicksale auch ihre Würde zurückzugeben.

Vier Transporte nach Hartheim

Nikolaus Braun stellte im Anschluss eindringlich und emotional vor allem die Zeit zwischen dem 7. November 1940 und dem 17. Januar 1941 in den Fokus der Betrachtungen. Damals seien vier Transporte aus Gabersee nach Hartheim bei Linz geganen, wo die Patienten der Anstalt, entsprechend der „Euthanasie“-Ermächtigung des Führers vom 1. September 1939, schließlich in Gaskammern mit Kohlenmonoxid umgebracht wurden. Gemäß Hitlers Schreiben waren deutschlandweit Ärzte bestimmt worden, die entscheiden sollten, welchen der als unheilbar erklärten Patienten „der Gnadentod gewährt werden kann“, erklärte Braun.

Auch 120 der von den Barmherzigen Brüdern im Kloster Attl betreuten Patienten gerieten am 7. November 1941 in den Sog der Vernichtung. Die Aufarbeitung der Schicksale dieser Patienten laufe aber derzeit noch, da die Quellenlage laut dem Bezirksarchivar „sehr dünn“ sei und die Verantwortlichen versuchten, die Tötungen geheim zu halten. Letztlich wurden Vernichtungsaktionen auf dem Instanzenweg wohl durchgereicht. Der Mut zum persönlichen Widerstand fehlte zu oft, so Braun. Es würde sich auch heute immer noch die Frage stellen, ob die Vernichtungsaktionen – geduldet von örtlichen Behörden – wirklich unbemerkt in der Bevölkerung blieben. Braun beschrieb den ersten Abtransport aus Gabersee wie folgt: „In der Anstalt Gabersee herrschte großer Aufruhr. Es war der 7. November 1940, ein Donnerstag. Schon nach 5 Uhr brannte in den meisten Häusern das Licht.

Etwa um 6 Uhr bewegten sich Gruppen von Patientinnen und Patienten, begleitet von Pflegerinnen und Pflegern, südwärts die Straße hinab, wo sie über den vorhandenen Feldweg das Bahngleis erreichten. Dort standen mehrere Bahnwaggons bereit und die Patienten bestiegen diese.“ Darunter war auch Maria Linner, deren Schicksal Braun exemplarisch für alle Patienten ausführlicher beleuchtete. Dass ihren Verwandten, wie auch allen anderen verschwiegen wurde, wohin der Abtransport gegangen war und warum überhaupt eine Verlegung erfolgte, beweise die Verschleierungsabsicht der Verantwortlichen, verdeutlichte Braun.

Angehörige wurden misstrauisch

Eine Benachrichtigung über eine Verlegung wäre zwar einige Tage später erfolgt, aber eine darauffolgende Meldung über das Ableben, zumeist wegen Krankheit, hätte so manchen Angehörigen auch damals schon misstrauisch gemacht, so der Bezirksarchivar. Dank veröffentlichter Todesanzeigen, die in Folge sogar verboten wurden, und Nachfragen vonseiten der katholischen Kirchenvertreter, an die sich Verwandte gewendet hatten, wurde der als „Aktion T4“ unrühmlich in die Geschichte eingegangene Massenmord letztlich gestoppt, wohl aber auch zum Teil aus wirtschaftlichen Erwägungen und Propagandagründen, erklärte der Experte.

Braun, der mit zahlreichen Informationen und umfassenden Erklärungsversuchen aufwartete und die Zuhörerschaft damit fesselte, präsentierte auch seltene Quellen aus dem Oberbayern-Archiv. Die tatsächliche Einstellung des Anstaltsdirektors Friedrich Utz zur „Euthanasie“, ein damals verharmlosend verwendeter Begriff, der im griechischen eigentlich „guter Tod“ bedeutet, bleibt aber weiter im Dunkeln.

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Braun wünscht sich weiteres Archivmaterial, das vielleicht noch in betroffenen Haushalten im Verborgenen schlummere, damit er die historischen Lücken schließen könne.

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