Krieg in der Ukraine
„Nachts haben sie die Bomben gehört“: Bad Aiblinger erzählt von der Angst seiner Freunde in Kiew
Rudi Gebharts Handy steht nicht still: Ständig kommen neue Nachrichten von einer befreundeten Familie aus Kiew. Wie es ihnen jetzt geht und wohin sie die Flucht ergreifen.
Bad Aibling – Am Donnerstag (24. Februar) piepste um 5 Uhr in der Früh das Handy von Rudi Gebhart. Schnell las er die Zeilen seines Freundes Kostiantyn Lisetzkyi, der mit seiner Familie in Kiew lebt. „Wir packen unsere Koffer, wir verlassen die Stadt“, stand dort geschrieben. Jetzt ist das eingetreten, wovor sich alle gefürchtet haben: Russland hat die Ukraine angegriffen – es herrscht Krieg. Mitten in Europa. Die Bomben fallen auch in Kiew. „Mein Freund hat die Explosionen gehört“, so Gebhart. Die Familie lebt mitten in Kiew – zehn Minuten mit dem Bus entfernt vom zentralen Platz Majdan.
„Alle wollen aus Kiew raus“
Rudi Gebhart muss die Ereignisse erst einmal verdauen. „Ich kann es nicht glauben.“ Und damit ist er nicht alleine. Denn auch sein ukrainischer Freund hat bis vor vier Wochen noch gesagt: „Krieg gibt es nicht.“ Diese Meinung änderte Kostiantyn Lisetzkyi – „den wir Konstantin nennen, weil es für uns leichter ist“, sagt Gebhart. „In den letzten Tagen hat es sich ja immer mehr zugespitzt und Konstantin hatte große Angst um seine Familie“, sagt der Bad Aiblinger.
Gebhart hat daraufhin seine Hilfe angeboten: „Kommt zu uns. Ihr könnt in unserem Gästezimmer wohnen“, habe er seinem Freund, dessen Frau und dem Sohn angeboten. Und kommt die Familie? „Nein.“ Denn Kostiantyn Lisetzkyi will seine Eltern nicht alleine lassen. Sie leben rund 150 Kilometer südlich von Kiew – und dorthin sind sie unterwegs. „Die ganze Stadt ist auf den Beinen“, sagt Gebhart. „Alle wollen raus.“ So habe es ihm sein Freund geschildert. Und das dies in einer knapp Drei-Millionen-Metropole nicht so einfach ist, ist klar. „Es hat alles sehr lange gedauert.“
Bad Aiblinger Biker sammeln für Kinder
Gebhart kennt die Familie über den Bad Aiblinger Freundeskreis Cavaion, der Partnerstadt Bad Aiblings. In Italien hat er den Verein „Cavaion nel mondo“ kennengelernt. Dieser Verein unterstützt ein Waisenhaus in der Ukraine. Kleider, Möbel, Geld werden von Italien per Lkw zum ukrainischen Waisenhaus gebracht.
Hilfe aus Bad Aibling
Auch Gebhart wollte helfen und so entstand der Kontakt. So hat er in der Mangfallstadt zusammen mit den Bad Aiblinger Bikern ein Freundschaftsfest auf die Beine gestellt, dessen Erlös dem Waisenhaus zu Gute kommt. So ist auch der Kontakt zu Kostiantyn Lisetzkyi entstanden. Der Lehrer managt alles vor Ort, wenn die Hilfstransporte aus dem Westen anrollen. Vor allem ist er als Dolmetscher tätig – „ich verstehe ja kein Ukrainisch“, sagt Gebhart.
So hat alles angefangen. Seit 2014 war der Bad Aiblinger schon dreimal in der Ukraine. „Das letzte Mal 2019“, erinnert sich Gebhart. Er reiste da, als mit den Vorsitzenden des italienischen Vereins, Fabrizio Banterla und Daniela Guadiagni, nach Kiew zu seinem Freund und dessen Familie. Konstantin ist verheiratet und hat einen Sohn. In Kiew wurden Einkäufe für die Waisenkinder getätigt: „Vor allem Süßigkeiten, die bekommen die Kinder ja sonst nie.“ Mit vollen Taschen ging es Richtung Osten rund 250 Kilometer in die Stadt Yablunovka. Dort wurde auch vereinbart, welche 20 Waisenkinder ihre Ferien in Italien verbringen durften. Eines der Kinder, welches nicht mitfahren durfte, war Bogdan – die Heimleiterin wählte ihn nicht für eine Italien-Reise aus: „ Das war schon traurig“, erinnert sich Gebhart an den Jungen Bogdan.
100 Kinder leben in Waisenhaus
In dem Kinderheim leben 100 Mädchen und Buben. Sie haben nichts. „Man kann sich das ja alles gar nicht vorstellen.“ Und auch die Straßenverhältnisse hat er in nicht allzu guter Erinnerung: „Nichts ist gemacht. Es gibt 30 Zentimeter tiefe Schlaglöcher.“ Und von denen hat er jede Menge blaue Flecken davon getragen. Aber das macht ihm nichts.
Lesen Sie auch: Ukraine: Alle Neuigkeiten, Hintergründe und Interviews zum Konflikt mit Russland
Und wie geht es jetzt weiter? „Ich weiß es nicht“, sagt der Bad Aiblinger. Auf jeden Fall bleiben sie weiter in Kontakt– „wie die vielen Jahre zuvor. Wir haben mehrmals die Woche gesprochen.“ Denn seit sie sich kennen, ist Konstantin immer der erste, der ihm am 1. Januar um kurz nach Mitternacht die ersten „Guten Wünsche“ fürs neue Jahr schickt.




