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Nach Verdachtsfällen klären Experten auf

Wie kann ich mein Kind vor sexuellen Übergriffen schützen? Viele Fragen bei Tuntenhausener Bürgerinfo

Rund 100 Tuntenhausener Bürger waren zu dem Abend „Gemeinsam gegen sexualisierte Gewalt“ in den Landgasthof zur Post gekommen.
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Rund 100 Tuntenhausener Bürger waren zu dem Abend „Gemeinsam gegen sexualisierte Gewalt“ in den Landgasthof zur Post gekommen. 

„Wie kann ich meinem Kind erklären, was da passiert ist?“ Seit Bekanntwerden der Verdachtsfälle wegen sexuellen Missbrauchs gegen einen Mann aus Ostermünchen treibt diese Frage Familien aus der Gemeinde Tuntenhausen um. Experten des Jugendschutzes gaben nun Hilfestellung.

Tuntenhausen – Dass das Thema sexualisierte Gewalt oft mit Scham behaftet ist, hat nicht nur Bürgermeister Georg Weigl in zahlreichen Gesprächsrunden seit Bekanntwerden des Verdachts gegen den ehemaligen Jugendtrainer des SVO und Mitarbeiter der Fritz-Schäffer-Schule festgestellt. Auch Kreisjugendamt sowie Erziehungs-, Jugend- und Familienberatungsstelle der Caritas wissen das aus täglicher Erfahrung. Sie hatten mit Gemeinde, Fritz-Schäffer-Schule und SVO zum Infoabend „Gemeinsam gegen sexuelle Gewalt“ geladen.

Umso mehr plädierten die Redner für einen offenen Umgang mit dem Thema: „Wir dürfen nicht wegschauen!“, forderte Weigl. Das Thema müsse aufgearbeitet, der Fokus aber auch auf die Frage nach bestmöglichem Schutz vor Missbrauch und Prävention gelegt werden. Denn die Zahlen die Manfred Jahn, Leiter der Erziehungs-, Jugend- und Familienberatungsstelle, mitgebracht hatte, erschütterten.

Fachberater präsentiert erschütternde Zahlen

„Missbrauch beginnt überwiegend vor dem sechsten Lebensjahr und endet oft erst in der Pubertät. Circa 30 Prozent der Frauen und zehn Prozent der Männer haben vor ihrem 18. Geburtstag Erfahrungen damit gemacht. Die Dunkelziffer liegt bei einer Million Kinder in Deutschland.“ Besonders schockierend: 98 Prozent der Täter kommen aus dem innerfamiliären Bereich oder dem familiären Nahfeld. 87 Prozent der Täter seien männlich (48 Prozent davon Väter) und 13 Prozent Frauen. Häufig hätten sie früher selbst Erfahrungen mit Gewalt gemacht.

Jahn und zwei weitere Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle klärten über die meist sehr perfiden Täterstrategien („Die Taten geschehen in der Regel nicht im Affekt“), die Auswirkungen von sexueller Gewalt, typischen Anzeichen und Hilfsangebote auf. Was die Eltern am meisten umtrieb, war die Frage: „Wie spreche ich mit meinem Kind darüber?“

Mütter vermissen einen „Bubennotruf“

„Warum gibt es eigentlich nur einen Frauen- und Mädchennotruf? Wenn ein Bub sich eh schon schämt, dann googelt er wahrscheinlich erst mal – aber wie soll er da eine Anlaufstelle finden?“, wollte eine Mutter von drei Buben wissen. Eine andere pflichtete ihr bei: „In der sechsten Klasse kriegen die Mädchen ein Kärtchen mit der Nummer vom Frauen- und Mädchennotruf. Für Buben gibt es so was nicht. Außerdem: Manche Jugendliche wissen ja auch noch gar nicht, was sie sind.“ Auch fiel das Argument: „Wenn es nur einen Frauen- und Mädchennotruf gibt, suggeriere ich doch den Jungs: Du brauchst so was nicht. Ich glaube, viele tun sich schwer, mit einer Vertrauensperson zu reden und versuchen es erst einmal anonym.“

Manfred Jahn und Sabine Stelzmann erklärten, diesen Gedanken aus der Versammlung mitzunehmen. Sie verwiesen zudem auf diverse Anlaufstellen auch für Buben:

• Kinder- und Jugendtelefon des Kinderschutzbundes: 1 161 11 oder 0800/ 1 11 03 33

• Caritas-Erziehungs-, Jugend- und Familienberatungsstelle Rosenheim: https:// beratung.caritas.de/kinder-jugendliche/

• Sozialpädagogen an den Schulen im Landkreis

Hier plädierten die Experten, zu denen auch die Leiterin des Kreisjugendamtes Sabine Stelzmann und dessen pädagogische Leiterin Andrea Serwuschok zählten, vor allem für ein grundsätzlich vertrauensvolles Verhältnis: „Geben Sie Ihren Kindern das Gefühl, dass sie mit ihren Anliegen immer zu Ihnen kommen können. Dass Sie ihnen zuhören. Reden Sie offen über das Thema Sexualität.“

Eine Mutter zeigte sich verunsichert ob der genannten Verhaltensbeispiele von jungen Opfern: „Jedes Kind ist anders. Ich habe Angst, dass ich Zeichen übersehe.“ Genau hinzusehen sei auch hier wichtig, so Jahn. Oft gebe es aber auch nachvollziehbare Gründe für aggressives Verhalten oder auffällige Verschlossenheit. Er warnte davor, nur noch mit Unterstellungen und Angst „durch die Gegend zu laufen“.

Hier gibt‘s bald die Präsentation vom Infoabend

Die Gemeinde wird die Inhalte der Präsentation zum Abend „Gemeinsam gegen sexualisierte Gewalt – kann nur gelingen, wenn wir darüber sprechen!“ auf ihre Homepage stellen, Schulen und Vereine wollen darauf verweisen. Es geht darin um die Themen „Was ist sexualisierte Gewalt?“, „Welche Strategien haben Täter?“, „Wie kann ich mit meinem Kind darüber sprechen?“ und „Wie können wir unsere Kinder schützen?“

„Welche Art von Aufklärung ist je nach Altersstufe angebracht? Ich will mein Kind ja nicht verunsichern durch etwas, was es noch nicht versteht“, fragte ein andere Mutter. „Sexualität geht schon ab der Geburt los, Intimität, Berührung der Haut, kindliche Entdeckungsreisen am Körper müssen überhaupt nichts Negatives sein“, so Jahn.

Deshalb geht es auch darum, frühzeitig altersgerechte Worte zu finden. Nicht einem Sechsjährigen sagen: ,Hey, Du wirst mit zwölf mal einen Samenerguss haben.“ Sondern bei kindlichen „Doktorspielen“ beispielsweise erklären, was okay ist und was nicht – etwa wenn das in einer dunklen Ecke oder unter Zwang geschieht. „Sagen Sie: Es ist nicht okay, wenn Dir jemand zwischen die Beine greift.“ In der Pubertät sei es oft wesentlich schwieriger, die richtigen Worte zu finden. Da könne es aber manchmal schon reichen, einfach zuzuhören und genau hinzuhören.

„Grenzen der Opfer nicht ein weiteres Mal verletzen“

Einen Vater beschäftigte die Frage: „Wie soll man seinem Kind sexuelle Gewalt erklären, wenn man nicht weiß, was genau passiert ist?“ Er bemängelte, von den Vorfällen in der Gemeinde erst über andere Eltern erfahren zu haben und hätte sich mehr und schnellere Informationen seitens der Schule gewünscht. Weigl zeigte Verständnis, erkläre aber auch, Schule und Gemeinde seien die Hände gebunden gewesen. Man habe erst auf die Freigabe der Information der Kriminalpolizei warten müssen. Stelzmann gab zu bedenken: „Wenn überall erzählt wird, was genau passiert ist, werden ein die Grenzen der Opfer ein zweites Mal verletzt.“

Jahn, der bereits eingangs erklärte hatte, dass der konkrete Ostermünchner Fall an diesem Abend kein Thema sein werde, antwortete dem Vater: „Sie können immer über Sexualität mit Ihren Kindern reden, und darüber, wo die Grenzen sind.“ Es gebe nicht „den einen Weg“, jedoch eine klare Definition, wo Missbrauch beginnt: Dort, wo eine Erwachsener seine Macht- und Autoritätsposition ausnutzt, um eigene Bedürfnisse auf Kosten Minderjähriger zu befriedigen.

So können Sie mit Ihrem Kind sprechen

„Aber was sage ich meinem Kind, das ja mitbekommen hat, dass hier etwas passiert ist, aber nicht weiß, was das war?“, war eine weitere Frage. „Sagen Sie, dass hier die Unversehrtheit der Grenzen, die jedem Kind zusteht, bei den Betroffenen nicht eingehalten wurden. Oder dass ein Erwachsener auf Kosten des Kindes etwas getan hat, was nicht in Ordnung ist. Bleiben Sie bei der Definition, was sexueller Missbrauch ist. Oder rufen Sie uns an, wenn Sie unsicher sind, dann schauen wir uns das individuell an.“

Mutter berichtet von Anruf der Kripo

Doch die Beratungsstellen sind vielen gar nicht bekannt: „Da bekommst du einen Anruf von der Kripo, man soll seine Buben fragen, ob da was war. Da wäre es gut gewesen, wenn gesagt worden wäre, hol dir Hilfe bei der Caritas. So bombardierst du erstmal dein Kind mit Fragen. Als Mama bist du bei so einem Anruf down. Ich hatte bis dahin noch gar nichts mitgekriegt. Stunden nach dem Anruf war ein Treffen beim Schützenverein, wo der Beschuldigte mal tätig war. Da habe ich gesagt, Du bleibst daheim. Mein Bua hat dann gesagt: „Mama, der ist doch scho lang nimmer da.“

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