Mundartsammlerin und Leseratte
Verliebt in Sprache: Lydia Winner aus Schloßberg arbeitet am bayrischen Wörterbuch
Lydia Winner liebt Sprache. Immer schon. Deswegen ist sie heute eine von 270. Von 270 Frauen und Männern, die am Bayerischen Wörterbuch mitarbeiten.
Stephanskirchen - Bücher und Zeitschriften wohin das Auge reicht. Das gemütliche Wohnzimmer in Schloßberg gehört eindeutig einem Menschen, der sehr gerne liest. „Stimmt“, sagt Lydia Winner und lacht. Sprache ist ihr Ding. Eigentlich solange sie lebt. Bayrisch, Deutsch, Italienisch, Französisch - ganz egal. Ersteres hat ihr Arbeit eingetragen.
Seit 1999 gehört Lydia Winner zu den Frauen und Männern in Altbayern, die am Bayerischen Wörterbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften mitarbeiten. Zuvor waren ihr Mann und sie im Verein zum Erhalt der bayerischen Sprache aktiv. So kam der Kontakt zur Akademie der Wissenschaften zustande. Und Lydia Winner, geboren und aufgewachsen in Ergoldsbach bei Landshut, wurde zur Zulieferin beim Bayerischen Wörterbuch. Zur Mundartsammlerin.
Viermal im Jahr gibt es Post von Dr. Andrea Schamberger-Hirt, der Redaktionsleiterin des Bayerischen Wörterbuchs. Über zwei oder auch mal drei Seiten werden dann Wörter, ihre Bedeutung und Verwendung abgefragt. Zuletzt ging es unter anderem um die Scholle. Nicht den Fisch, die Ackerfläche. Die in einigen Regionen auch „Schrolle“ genannt wird. „Das ist in Ergoldsbach und Umgebung nicht üblich“, meldete Lydia Winner der Wörterbuch-Redaktion zurück. Das ist einfach. Aber: „Manche Wörter unterscheiden sich nicht in der Schrift, sondern in der Betonung. Und dann wird‘s schwierig - wie soll ich das dann schreiben?“
„Klassentreffen“ der Mundartsammler gibt es nicht, „ jeder wurstelt vor sich hin“. Was Lydia Winner etwas bedauert. Dafür pflegt sie Kontakte zu anderem Sprachverrückten in der Region, wie Dr. Richard Kirchlechner aus Rott, Autor einiger Büchlein voller Wortspielereien.
Das Spiel mit der Sprache liebt die 82-Jährige. Sie kann sich wie ein Kind freuen über einen Gedichtanfang von Heinz Erhardt ‚Wenn die Blätter von den Bäumen stürzen...‘ - „ist das nicht toll?“ Für Erhardt, den Meister des Schmunzelns, hat Lydia Winner ohnehin eine Schwäche. Wie auch für Erich Kästner, Rainer Maria Rilke und Joachim Ringelnatz. Sie alle gingen sorgfältig und phantasievoll mit der Sprache um.
„Gendern tut manchmal weh“
Das tut Lydia Winner auch. Wenn sie ihr gepflegtes Bayrisch oder Hochdeutsch spricht. Auf einmal fliegt ein Schwall rasend schnelles Italienisch durchs Schloßberger Wohnzimmer. Imponierend. Lydia Winner lacht. „Grammatikalisch war das vermutlich so schräg, dass sich jeder Italiener die Haare rauft!“ Aber das ist ihr egal. Hauptsache mit den Menschen reden, da hat in Italien oder Frankreich die Grammatik auch mal Pause. Sonst nicht, „dazu bin ich in der Schule zu sehr damit gezwiebelt worden.“ Vielleicht auch deswegen sagt sie, bei aller Aufgeschlossenheit für sich weiterentwickelnde Sprache: „Gendern tut manchmal weh.“
Aphorismen, Lydia Winners zweite sprachliche Leidenschaft, sind vom Gendern glücklicherweise noch unberührt. Wann immer sie über einen Aphorismus stolpert, der ihr gut gefällt, wird der notiert. Und dann in sorgfältig in ein Büchlein eingetragen. Wie viele davon sie in den letzten Jahrzehnten vollgeschrieben hat, kann Lydia Winner gar nicht genau sagen. Sie sammelt, seit sie 15 Jahre jung war.
Wenn die Menschen nur über das sprächen, was sie begreifen, dann wäre es sehr still auf der Welt.
Was ein Aphorismus ist? Laut Duden ein „prägnant-geistreicher, in sich geschlossener Sinnspruch in Prosa, der eine Erkenntnis, Erfahrung, Lebensweisheit vermittelt“. Zu umständlich? Dann gerne Beispiele: „Wenn die Menschen nur über das sprächen, was sie begreifen, dann wäre es sehr still auf der Welt.“ (Albert Einstein) oder „Freunde sind Gottes Entschuldigung für Verwandte.“ (George Bernhard Shaw)
Mitarbeiter am Wörterbuch willkommen
Dr. Andrea Schamberger-Hirt, der Redaktionsleiterin des Bayerischen Wörterbuchs, hat derzeit 270 Frauen und Männer, die sie bei der Arbeit an dem Lexikon unterstützen. In den letzten gut 100 Jahren waren es zwischen 8000 und 10.000. Ob Schreiner, Bäcker oder Bürgermeister, Landwirt, Bilanzbuchhalter oder Tierarzt, Bergmann, Arzt oder Gastwirt, Oberpostmeister, Rechtsanwalt oder Offizier. Und selbstverständlich endlos viele Lehrer und Oberlehrer. Sie alle und noch viel mehr waren schon dabei. Der berufliche Hintergrund ist Schamberger-Hirt gleichgültig. „Sie sprechen Bairisch? Dann können Sie beim Bayerischen Wörterbuch mitmachen und wir schicken Ihnen gerne regelmäßig Fragebögen zu. Bitte melden Sie sich dafür unter post@kmf.badw.de an.“