Unruhige Zeiten
Sozialarbeit für traurige und aggressive Kids ist nötig – Aber gibt Prien dafür Geld aus?
Corona machte viele Kinder ängstlicher, andere aggressiver. Ihnen würde Sozialarbeit an Grundschulen helfen. Warum die Priener Grundschulrektorin dafür ist, die Marktgemeinde aber zögert.
Prien – Ein neues Förderprogramm der Regierung von Oberbayern soll Schulsozialarbeit an Brennpunkt-Grundschulen ermöglichen. Laut einem Sprecher liegen die Kosten bei jährlich maximal 92 000 Euro pro Sozialarbeiterin oder Sozialarbeiter, die sich Gemeinde, Landkreis und Staat teilen.
Claudia Decker, Rektorin der Franziska-Hager-Grundschule, betont im Interview, dass ihre Schule eine Sozialarbeiterin brauche und verweist insbesondere auf die Folgen von Corona.
Frau Decker, warum haben Sie einen Antrag auf Einrichtung einer Schulsozialarbeit gestellt?
Claudia Decker: Wolfgang Baumann, unser Schulrat am Schulamt in Rosenheim, kam auf uns zu, dass Schulsozialarbeit eine gute Sache für uns wäre.
Hintergrund ist: Die Regierung von Oberbayern hat festgestellt, dass sich aufgrund der Belastungssituation in Folge der Coronapandemie, von ständig steigenden Kosten, exlodierenden Energiepreisen, der Wetterextreme und des Angriffskrieges in der Ukraine die Situation in Familien aller Schichten anspannt.
Die ursprüngliche Initiative ging vom Jugendamt aus, das die Jugendsozialarbeit auch an Grundschulen installieren möchte.
Ist Ihre Schule eine Brennpunktschule?
Decker: Die Priener Grundschule ist eine sehr gut ausgestattete Schule mit vielen wunderbaren Kindern. Das Jugendamt möchte aber der oben beschriebenen Situation, unter der unsere Kinder am meisten gelitten haben und noch leiden, Rechnung tragen und vorbeugend eingreifen. Außer uns haben noch 13 weitere Grundschulen im Landkreis die Einrichtung einer Schulsozialarbeit beantragt.
Es ist also gewollt, dass in Grundschulen generell eine Schulsozialarbeit eingerichtet wird. Besonders bei großen Grundschulen wie unserer mit 355 Kindern, würde diese einer großen Anzahl von Kindern zugute kommen.
In Prien gibt es viele sozial starke, fest eingebettete Familien, aber viele Kinder leben in einer weniger betreuten Situation. Diese Unterschiede sind in der Zeit des Corona-Lockdowns besonders hervorgetreten. Es ist eine besondere Aufgabe, diese Gruppen zusammen zu bringen und allen Kindern ein „Zuhause“ auf unserem Schulschiff zu geben.
Wie viele Kinder sprechen zuhause kein Deutsch?
Decker: Von 355 Kindern haben 62 zumindest einen ausländischen Elternteil. Einige sprechen zuhause Deutsch. Viele von ihnen lernen sehr gut die deutsche Sprache und sind integriert, andere benötigen mehr Unterstützung. Studien zeigen, dass die Bildungschancen in ausländischen und deutschen Familien stark vom Elternhaus abhängen.
Inwiefern merken Sie, dass die Kinder mehr Probleme haben?
Die schwierigen Bedingungen seit Pandemiebeginn haben die vorhandenen Probleme verstärkt. Manche Kinder haben sich zurückgezogen, lange Fernsehen geschaut, Videospiele gespielt oder Freunde besucht. Wir beobachten, dass sich Ängste verstärkt haben, mehr gegessen wird oder auf andere Weise die Realität verdrängt wird. Wir merken es daran, dass sie mehr träumen, mehr vergessen, weniger konzentriert arbeiten. Nicht alle nutzen das reiche Angebot an Vereinen. Manche Kinder sind jetzt bei Auseinandersetzungen und kleinen Raufereien aggressiver. Sie müssen wieder lernen, miteinander richtig Konflikte zu lösen und das Leben zu meistern. Und für viele Kinder liegt ein stärkeres Bedrohungsgefühl in der Luft, das durch den Tod der jungen Hanna aus Aschau bis vor unsere Haustüren gerückt ist. Wenn sich Kinder in der Schule geborgen fühlen, können sie erfolgreich lernen.
Reicht Ihre Beratungslehrerin nicht aus?
Unsere Beratungslehrerin vor Ort und die Schulpsychologin (mit Sitz in Rosenheim, Anm. d. Red.) leisten in ihren wenigen Stunden wertvolle Arbeit, bei der es aber eher um die Beratung bei Lernproblemen geht. Eine Sozialpädagogin vor Ort würde die Schulqualität enorm steigern, als Unterstützerin des Schwerpunktes soziales Lernen unserer Modellschule und bei sozialen Problemen in Familien. Lehrermangel und Erkrankungen fordern vom Kollegium ohnehin alle Kraft.
Wie enttäuscht wären Sie, wenn der Gemeinderat gegen die Einrichtung einer Schulsozialarbeit stimmt?
Wir sollten das im Sinne unserer Kinder lösen. Ich habe größtes Verständnis für die finanzielle Situation der Gemeinde. Dennoch ist es wichtig, in die Kinder zu investieren. Und sei es, dass die Regierung einen höheren Kostenanteil übernimmt. Kinder sind die Zukunft. Sie haben in letzter Zeit am meisten gelitten. Die Schwierigkeiten gehen weiter und hierfür müssen wir sie stark machen. Wir ersparen uns als Gesellschaft dadurch auch viele Folgekosten für Therapien, Betreuung und Einführung in den Arbeitsprozess. Jedes Kind soll einmal produktiv in der Gesellschaft teilnehmen können. Keines soll zurückgelassen werden.
Gemeinderat tagt zur Sozialarbeit
Diesen Mittwoch will der Marktgemeinderat beschließen, ob Prien eine Sozialarbeiterin für die F.H. Grundschule ermöglicht. Die Priener Verwaltung schlägt vor, dies wegen der angespannten Haushaltslage nicht zu tun. Auf Prien entfielen 30 000 Euro, auf die Regierung von Oberbayern 16 000 Euro.
