Angebot der Bürgerstiftung Rosenheim
„Jeder bringt seine Geschichte mit“ – Wie ein Chor Krebserkrankten neuen Halt schenkt
Der Krebserkrankung für einen kurzen Moment entfliehen – das möchte der „Chor gegen den Krebs“ in Rosenheim erreichen. Betroffene erzählen während einer Probe, was das Besondere daran ist und warum ihnen ausgerechnet das Singen hilft.
Rosenheim – Zu siebt sitzen die Frauen in einem Stuhlkreis in der Alten Druckerei der Bürgerstiftung Rosenheim. Sie sind Teil des Chors für Menschen mit einer Krebserkrankung. Zweimal im Monat treffen sie sich zum Singen und zum Austauschen. Normalerweise ist die Stimmung fröhlich und ausgelassen. Doch heute ist alles anders. Denn ein Mitglied ist gestorben. Ihr zu Ehren liegt in der Mitte des Kreises ein schwarzes Tuch. Darauf steht eine Kerze, eine große Schale und ein Foto der Verstorbenen.
Hilfe bei einer Krebserkrankung
Es ist still in dem großen Raum. Immer wieder weht ein Windstoß durch die geöffneten Fenstern und Türen. Ab und an hört man das Hämmern eines Handwerkers. Dann ist wieder alles still und die Initiatorin Almuth Aicher ergreift das Wort. Die Vorsitzende der Rosenheimer Bürgerstiftung spricht über die Verstorbene. Auch die Chor-Mitglieder gedenken ihr mit einigen kurzen Sätzen. Dann spricht die Chorleiterin Sieglinde Zehetbauer zu der Gruppe. Heute habe sie nur Lieder herausgesucht, die den Tod behandeln.
So singen die Frauen unter anderem „Lieder, die wie Brücken sind“, „Wer kann segeln ohne Wind?“, „Schick mir einen Engel“ und „Möge die Straße uns zusammenführen“. Zwischen den Liedern erzählt Zehetbauer kleine Geschichten passend zu den Liedern. Dann spielt sie eine ruhige Melodie. Dieses Mal singt der Chor nicht, denn dieses Mal nimmt jedes Mitglied ein Teelicht in die Hand. Nach und nach zünden sie die Kerzen an. Gehen einzeln zu der großen Schale in der Mitte des Stuhlkreises und legen das Teelicht dort ab. Einige halten kurz inne und berühren das Foto der Verstorbenen. Sie alle trauern, um ein Chormitglied, um eine Freundin und um eine Weggefährtin.
Mit dem Singen verarbeiten die Mitglieder Emotionen
„Irgendwann sehen wir sie im Himmel wieder und dann singen wir nochmal als Chor zusammen. Sozusagen, als Engelschor“, sagt Zehetbauer und durchbricht die Stille. Die Frauen stimmen ihr zu. Der Chor ist für sie alle etwas ganz Besonderes. Eine von ihnen ist Irmgard, die ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Es ist für mich ein Treffen mit netten Menschen in einer guten Atmosphäre“, sagt sie.
Sie habe schon immer gerne gesungen. Für sie war daher klar, dass sie in diesem Chor dabei sein möchte. „Hier läuft alles ohne Druck und ohne Zwang ab, denn wir wollen einfach nur schön miteinander singen“, sagt Irmgard. Mit der Krebserkrankungen sei man oft mit negativen Emotionen konfrontiert. „Die Krankheit belastet einen und das Singen hilft, das alles zu verarbeiten“, sagt sie. Dem stimmen die übrigen Chormitglieder zu, die ebenfalls anonym bleiben wollen. „Wenn wir zusammen singen, dann merken wir auch, dass wir mit der Krankheit nicht alleine sind“, sagt eine von ihnen.
Initiatorin freut sich über den Chor
Eine andere führt an: „Jeder bringt seine Geschichte mit, aber keiner muss darüber sprechen.“ Das sei die Idee von Almuth Aicher gewesen, als sie den Chor vor einem Jahr in Rosenheim gründetet. „Das Angebot ist komplett zwanglos. Hier soll es vor allem um den Zusammenhalt und um die Gemeinschaft gehen“, sagt sie. Die Erkrankung soll in den Hintergrund rücken, doch wer reden möchte, kann das jederzeit tun.
„Wissenschaftlich konnte nachgewiesen werden, dass beim Singen auch Glückshormone ausgeschüttet werden“, sagt Aicher. Auch das sei ein Grund, warum es den Chor brauche. In der Regel sind die Chorproben fröhlich und lustig. „Doch heute ist es eben anders“, sagt Aicher.
Mehr Informationen
Der Chor trifft sich in der „Alten Druckerei“ an der Königsstraße 7b in Rosenheim. Bei Fragen können sich Interessierte an Almuth Aicher wenden. Per E-Mail ist sie erreichbar unter a.aicher@buergerstiftung.de oder unter der Telefonnummer 0177 938 23 32.
Als sie den Chor gründete, sei sie nervös gewesen, ob mit der Umsetzung alles klappt. „Aber ich bin heilfroh, dass ich das angegangen bin und ich möchte es nicht missen“, sagt Aicher. Derzeit besuchen zwölf Mitglieder den „Chor gegen den Krebs“ in der „Alten Druckerei“. Bald werden zwei Männer in die Gruppe dazustoßen, darüber freut sich Aicher sehr. Jeder Betroffene oder Angehörige sei jederzeit herzlich willkommen.
„Man merkt, dass der Bedarf an solchen Angebote da ist und dass es so etwas in Rosenheim braucht“, sagt Aicher. Derzeit gebe es noch das „Boxen gegen den Krebs“ und den Koch-Workshop „Gemeinsam gegen Krebs“. Für die Zukunft möchte Aicher noch einige weitere Projekte angehen. „Es ist wichtig, dass man alltägliche Sachen machen kann, ohne dabei ständig an die Erkrankung denken zu müssen“, sagt sie.