Geschäftsführer Christian Hlatky im Interview
„Helfen, wo der Staat nicht helfen kann“ – Hier setzt die Rosenheimer Bürgerstiftung an
Rosenheim – Die Rosenheimer Bürgerstiftung feiert am Freitag (8. Juni) ihr zehnjähriges Bestehen. Ein Gespräch mit Geschäftsführer Christian Hlatky über die Aufgaben, Projekte und was eine gute Stadtgesellschaft ausmacht.
Wie würden Sie einem Kind Ihren Job bei der Bürgerstiftung erklären?
Christian Hlatky: Als Geschäftsführer der Bürgerstiftung gilt es natürlich primär, das Alltagsgeschäft am Laufen zu halten – doch darüber hinaus bietet diese Stelle viele Gestaltungsspielräume. Wir können eigene Projektideen umsetzen und die dafür nötigen Gelder akquirieren. Natürlich setzen wir da Schwerpunkte, wo der Staat nicht helfen kann oder helfen will. Deshalb ist meine Arbeit auch immer eine politische – wir zeigen, was möglich wäre, weisen auf Bedarfe hin und aktivieren Menschen unsere Stadtgesellschaft mitzugestalten.
Warum wurde die Bürgerstiftung vor zehn Jahren gegründet?
Hlatky: Rosenheimer Bürger wollten sich für Rosenheimer engagieren – die Idee einer Bürgerstiftung wurde damals von der Sozialen Stadt aufgegriffen und eine Initiative gegründet, die sich für eine Gründung einer Bürgerstiftung einsetzt. Viele Projekte in der Stadt Rosenheim wurden damals mit Programmgeldern der EU oder des Bundes finanziert – eine Bürgerstiftung sollte eine Option sein, die vielen sozialen Projekte nachhaltig und unabhängig von Fördertöpfen zu sichern.
Was hat sich seitdem in der Stadt getan?
Hlatky: Das erste große Leuchtturmprojekt der Bürgerstiftung war unser Schwimmprojekt. „Jedes Kind in Rosenheim soll schwimmen können“ das war unser Leitsatz. Mit von uns zusätzlich finanzierten Schwimmlehrern an Rosenheimer Grundschulen sind wir unserem Ziel sehr nahe gekommen. Aber auch durch unser Projekt „Paten für Geflüchtete“ haben wir 2015 geschafft, dass sich über 300 Rosenheimer für Menschen engagieren, die hier bei uns eine neue Heimat gefunden haben. Integration lebt von Begegnungen – mit vielen Projekten haben wir solche arrangiert. Genau das machen wir ja auch jetzt hier in unserem Büro in der „Alten Druckerei“ – wir nutzen die Räumlichkeiten als einen Ort für Begegnungen und zum Netzwerken. Wir schaffen Verbindungen und bringen Menschen hier zusammen, um gemeinsam Rosenheim mitzugestalten. Viele Ideen und Projekte sind hier bereits entstanden.
Welche Projekte konntet ihr bereits umsetzen?
Hlatky: Aktuell sind wir sehr beschäftigt mit der Betreuung der Projekte und der Ehrenamtlichen in den beiden Notunterkünfte für Menschen aus der Ukraine in der Luitpoldhalle und Finsterwalderhalle. Wir sind überwältigt von der Spendenbereitschaft und dem Engagement. In enger Abstimmung mit der Stadt und unseren Kooperationspartnern helfen wir den geflüchteten Menschen aus der Ukraine hier in Rosenheim gut anzukommen. Nebenbei läuft auch unsere Lern- und Hausaufgabenbetreuung im Bürgergaus E-Werk – über 20 Kindern, die keinen Nachmittagsbetreuungsplatz im Hort erhalten haben, helfen wir nach den zwei Homeschooling-Jahren sich in der Schule zu verbessern.
Wie wichtig ist gerade dieses Projekt?
Hlatky: In Rosenheim haben wir zu wenige Betreuungsplätze für Kinder, die nach der Schule aus unterschiedlichsten Gründen nicht nachhause gehen können. Gerade Kinder, denen die Eltern zum Beispiel aus sprachlichen Gründen nicht bei den Hausaufgaben helfen können, benötigen Unterstützung. Ich denke um eine Chancengerechtigkeit zu erreichen müssen diese Kinder besser gefördert werden. Mit unserem Projekt wollen wir auf diesen Bedarf hinweisen, aber auch zeigen, wie man helfen könnte.
Wie hat die Corona-Pandemie eure Arbeit beeinflusst?
Hlatky: Zuerst hat natürlich alles erst einmal gestoppt – aber wir haben die Zeit genutzt um uns neu aufzustellen und zu sehen wie wir uns einbringen können und welche neuen Bedarfe entstehen. So sind wir auf die ganzen Nachhilfe- und Hausaufgabenprojekte gekommen – da war ein riesiger Bedarf auf einmal. Des Weiteren ist unser Konzept von der temporären Zwischennutzung von innerstädtischem Lehrstand entstanden. Nach Lockdown und Social-Distancing wollten wir die Innenstadt gemeinsam mit der Stadtbibliothek, dem Kulturamt und dem Citymanagement wieder beleben. Wir haben gemeinsam mit Künstlern und Kulturschaffenden das Huber-Seiler Haus für drei Monate angemietet und dann die Alte Druckerei, in der wir bis heute bleiben können.
Welche sozialen und gesellschaftlichen Herausforderungen gibt es in einer Stadt wie Rosenheim?
Hlatky: Ich glaube nicht, dass wir in Rosenheim vor spezielleren Herausforderungen stehen als anderswo. Die Frage ist doch „wie können wir hier gemeinsam gut leben?“ Auf diese Frage gilt es Angebote, Lösungen und Beteiligungsstrukturen zu schaffen – hier können wir uns als Bürgerstiftung gut einbringen denke ich.
Wie wichtig es ist, Verantwortung für andere zu übernehmen?
Hlatky: Das macht doch Heimat aus. Heimat ist doch ein Ort, an dem man sich wohlfühlt und an den man Verantwortung für andere übernehmen möchte. Ich denke, in einer gut funktionierenden Gesellschaft sind Werte wie Respekt, Toleranz und Hilfsbereitschaft gute Geling-Faktoren.
Während der Pandemie wurde die ehrenamtliche Arbeit oft eingeschränkt – ist sie dadurch auch zurückgegangen?
Hlatky: Das Ehrenamt ist meiner Meinung nach nicht zurückgegangen, es hat sich in der Struktur verändert. Menschen verpflichten sich nicht mehr so gerne für langwierige und regelmäßige Engagements. Engagement ist häufig spontaner und durchaus auch politisch motivierter – wie zum Beispiel das Ehrenamt mit Geflüchteten oder aber auch die Jugendbewegung „Fridays for Future“. Auf diese Veränderungen müssen wir Antworten finden und gemeinsam mit den Bürger Arrangements gestalten, die darauf eingehen.
Welche Projektträume gibt es für die Zukunft?
Hlatky: Wir planen gerade ein Lesementorenprojekt an Rosenheimer Schulen mit ehrenamtlichen Mentoren zu starten – wir haben festgestellt, das hier ein riesiger Bedarf besteht. Zudem haben wir gemerkt, wie wichtig unsere Büroräume der „Alten Druckerei“ sind. Wir nutzen unsere Büroräume als Co-Working-Space, als Workshop und Besprechungsräume, als Galerie und als Atelier. Aktuell nur temporär bis das Gebäude abgerissen wird. Aber solche Räumlichkeiten in der Rosenheimer Innenstadt wäre eine schöne Zukunftsversion.