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Exklusives Interview mit dem OVB

Bayerns IHK-Chef Manfred Gößl zu Gast in Rosenheim: „Menschen handeln erst, wenn es schmerzt“

Weniger Bürokratie und mehr Investitionen sowie Genehmigungen für erneuerbare Energien fordert Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer der IHK München und Oberbayern.
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Weniger Bürokratie und mehr Investitionen sowie Genehmigungen für erneuerbare Energien fordert Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer der Bayrischen Industrie- und Handelskammer.

Arbeitskräftemangel, sinkende Nachfrage und teure Energiepreise – Die Prognosen in der Region Rosenheim sind düster. Manfred Gößl, Chef der Bayerischen IHK, spricht im exklusiven Interview über die aktuellen Zahlen, die Abfahrt ohne Talstation und was es braucht, um den Firmen in der Region zu helfen.

RosenheimHerr Gößl, auf den ersten Blick scheinen die Aussichten in der Wirtschaft düster. Das reale Bruttoinlandsprodukt könnte laut Prognosen in diesem Jahr um 0,5 Prozent sinken. Wie beurteilen Sie die Situation und was erwarten Sie sich für die bayerische Wirtschaft?

Manfred Gößl: Leider sehen auch wir einen Rückgang der wirtschaftlichen Leistungskraft in Deutschland. Bayern dürfte auch dieses Jahr etwas besser, aber nicht gut abschneiden. Die Firmen sagen: Wir sind auf einer Talfahrt. Wirtschaftsminister Robert Habeck hat vor einigen Tagen gesagt, wir haben die Talsohle erreicht. Das deckt sich nicht mit den Erwartungen der bayerischen und deutschen Wirtschaft. Unsere Unternehmen sehen bei der Abwärtsfahrt die Talstation noch nicht.

Im Zeichen der Krisen: Der Konjunkturindex der IHK zeigt die Unsicherheit der Wirtschaft.

Laut Habeck wird die Wirtschaft im nächsten Jahr in Deutschland wieder um 1,3 Prozent wachsen...

Gößl: Die Konjunkturprognosen des Ministers und Vizekanzlers waren in letzter Zeit durchgehend zu optimistisch. Mir scheint da ein politisch motivierter Zweckoptimismus vorzuherrschen. Wir orientieren uns an den Fakten. Deshalb müssen wir leider feststellen, dass die Talfahrt erstmal weitergeht. Und das Abwärtsrisiko wächst jetzt ganz aktuell durch die furchtbaren Geschehnisse in Israel und Gaza. Wenn sich die Krise zu einem Nahost-Konflikt ausweitet, können wir alle Prognosen sowieso wieder in die Tonne treten. Natürlich würden wir uns sehr freuen, wenn wir hierzulande im nächsten Jahr ein Wachstum von über einem Prozent erreichen würden. Aber ohne durchgreifende Reformen erscheint uns das unrealistisch. 

Region Rosenheim zeigt sich pessimistischer als Bayern

Wie sehen Sie die Problematik in Bezug auf die Region Rosenheim? Wovor fürchten sich die Unternehmen?

Gößl: Die Wirtschaft in der Region ist etwas pessimistischer als die bayerischen Unternehmen insgesamt. Wir haben hier das Chemiedreieck, da ist die Stimmung wegen der hohen Energiepreise unterirdisch. Aber alle Sektoren, die energieintensiv sind, fürchten um ihr Überleben am Standort: Chemie, Papier und Pappe, Glas und Keramik, Gießereien und Metallbearbeitung oder auch Baustoffe. Über alle Branchen hinweg gibt es auf dem Stockerlplatz drei Risiken: Der Arbeitskräftemangel, die Energiepreise und die Bürokratie.

Wie schlimm sieht es auf dem Stockerl aus?

Gößl: Der Mangel an Arbeitskräften ist ein Thema, das auf die gesellschaftliche Alterung zurückgeht und sich deshalb sogar noch verschlimmern wird. Voraussichtlich werden uns bis 2030 in Summe mehr als eine Million Arbeitskräfte alleine in Bayern fehlen. Einfach deshalb, weil mehr Landsleute in Rente gehen, als Schulabgänger nachkommen. Das spüren auch die Firmen in der Region. Gut 60 Prozent haben das als eines der Hauptprobleme angegeben.

Dann haben wir das zweite Thema Energiepreise und die Unsicherheit, die damit verbunden ist. Wer jetzt nochmal seinen Tank zu Hause voll macht, der merkt das sofort. Im vergangenen Jahr sagten fast 80 Prozent der Betriebe, dass die Energiepreise ihr größtes Geschäftsrisiko sind. So schlimm ist es im Moment nicht. Jetzt sind es in der Region um Rosenheim um die 60 Prozent. Aber: Die Preise sind in den letzten Wochen wieder stark gestiegen. Niemand weiß, was die nächsten Monate passiert. 

Ein drittes Thema ist die Bürokratie, genauer gesagt der Regulierungswahn. Jeder einzelne Schritt ist immer noch unglaublich aufwändig. Da ist die Stimmung in den Unternehmen regelrecht explosiv, auch und gerade in der Region. Das ist zum Teil pure Verzweiflung, die ich hier heraushöre. Und der Verwaltungsseite geht es nicht besser. Unser Land marschiert geradewegs in einen Regulierungsbankrott.

Einer der Folgen daraus ist laut ihrer Umfrage, dass 24 Prozent der regionalen Firmen Stellen abbauen. Ist das aus ihrer Sicht jetzt der richtige oder nur der natürliche Weg?

Gößl: Die Fakten sind wie folgt: Wir sind das einzige Industrieland, das wirtschaftlich schrumpft. Das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der Bundesregierung ist an einem Tiefpunkt angelangt. Die Weltwirtschaft schwächelt. Diese Kombination führt zu massiver Verunsicherung. So entsteht der Zwang bei besonders betroffenen Firmen, wie zum Beispiel im Bau, Arbeitsplätze abzubauen. Das ist eine normale Reaktion. Umso wichtiger wären klare, verbindliche Reformkonzepte. Ich bin überzeugt: Die Wahrheit über die Lage muss vom Kanzler selbst kommuniziert werden, alle Fakten und Herausforderungen müssen auf den Tisch.

Was wäre ihrer Meinung nach der richtige Ansatz?

Gößl: Verlässlichkeit: Das ist die beste Medizin gegen Verunsicherung. Statt Überregulierung brauchen wir Incentivierung, also Anreize über Preise. Mit dem Inflation Reduction Act in den USA werden klimafreundliche Investitionen über Steuergutschriften angereizt, einfach und schnell. In Europa schreiben wir Anträge und warten Monate auf Genehmigungen. Was ist wohl erfolgreicher? 

Mit dem angesprochenen Inflation Reduction Act sehen Experten bereits eine neue Ära des Staatsinterventionismus kommen, wie sehen Sie das?

Gößl: Nicht in den USA, sondern was wir in Deutschland aktuell erleben, ist die neue Ära eines Staatsinterventionismus. Der Staat kommt mit immer mehr Detailregelungen und stört damit die Abläufe. Diese Detailsteuerung bemängeln wir und übrigens auch mindestens 80 Prozent der Ökonomen. Die sagen: Lasst uns über den CO2-Preis steuern, aber gib den Leuten bitte nicht vor, wann sie welche Technologie einsetzen müssen. Letzteres ist im Kern eine Kommandowirtschaft und die geht in die Hose. Jedes Jahr kommen mehr neue Regulierungen aus Brüssel als alte gestrichen werden. Im Juni waren das fast fünf neue Rechtsakte auf einen gestrichenen. Das ist ein Irrweg.

Bei der Bildung der neuen Landesregierung haben Sie bei der IHK nun mutige Schritte gefordert? Wie sehen diese Schritte aus?

Gößl: In der Energiepolitik volle Fahrt für die Errichtung aller Stromnetze, Verteilnetze in der Region ebenso wie die Übertragungsnetze von Nord nach Süd. Wir brauchen von jedem alles: Sonne, Wind, Wasser, Biomasse, Geothermie. Genehmigungsrechtlich müssen wir unsere Geschwindigkeit verdreifachen. Weiterhin sollten schnellstmöglich die bayerischen Standorte für neue Gaskraftwerke festgelegt und dem Bund vorgeschlagen werden. Ein weiterer Punkt ist Bürokratieabbau. Da hatten wir vor der Wahl ein gutes Gespräch mit Ministerpräsident Markus Söder. Er meinte, er werde sich für ein Belastungsmoratorium einsetzen. Das heißt erst einmal eine Pause-Taste für neue Regeln. Er sprach von zwei Jahren. Da nehmen wir ihn jetzt beim Wort.

Manfred Gößl (rechts), Hauptgeschäftsführer der IHK für München und Oberbayern zu Gast im OVB zum Gespräch mit den Redakteuren Daniel Pichler (links) und Korbinian Sautter.

Wie groß ist die Hoffnung, dass sich wirklich was ändert, zumal sich die Landesregierung vermutlich relativ ähnlich aufstellen wird?

Gößl: Offensichtlich lernen wir Menschen erst, wenn der Schmerz bereits eingetreten ist, wenn wir Fehler selbst gemacht haben und diese erkennen. Unsere Rückenübungen machen wir dann, wenn der Rücken schmerzt, statt präventiv und regelmäßig. So ist es in vielen Dingen, auch in der Politik. Der Handlungsdruck muss spürbar sein, er wird vorher nicht erkannt. 

Hat es schon bisher genug weh getan? Oder brauchen wir noch mehr Schmerzen?

Gößl: Wenn ein politischer Entscheidungsträger jetzt immer noch nicht erkannt hat, wie hoch die Notwendigkeit für durchgreifende Reformen ist, muss er oder sie mit ideologischen Scheuklappen durch das Leben laufen.

Coronakrise, Energiepreise und Kriege. Sie haben nun zahlreiche Problem angesprochen. Inwieweit ist der aktuelle Krisenzyklus noch normal?

Gößl: Das neue Normal ist das alte Normal: Es besteht aus Höhen und Tiefen, aus guten und aus schlechten Zeiten. Die Zehnerjahre waren golden. Nach der Finanzkrise 2008/2009 ging es bis zur Corona-Pandemie wirtschaftlich bergauf: eine friedliche Zeit in Europa, gute Zusammenarbeit mit den USA bis zur Präsidentschaft von Donald Trump, ein stark wachsendes China, geburtenstarke Jahrgänge im Arbeitsleben, Zuwanderung aus Deutschland und Europa nach Bayern. Jetzt geht es darum, wieder in der Wirklichkeit der Herausforderungen anzukommen, Rahmenbedingungen anzupassen, unsere Leute zu überzeugen, dass wir nach einem gemeinsamen harten Training bestehen können. Das gelingt mit den besten Fachkräften, Fleiß, Technologieoffenheit und einem Staat, der sich auf das Wesentliche beschränkt.

Ist das auch Ihr positiver Appell für die Zukunft?

Gößl: Ja, zusammen mit Ehrlichkeit und Verlässlichkeit. Damit beginnt alles. Vielleicht die gute Nachricht zum Schluss. Heute vor 100 Jahren war die Situation katastrophal. Im Oktober 1923 hatten die Leute Billionen-Geldscheine, sind mit Schubkarren voll wertlosem Bargeld zum Einkaufen gefahren. Die Hyperinflation und Arbeitslosigkeit führte zur Verarmung. Die Demokratie in Bayern war abgeschafft. Kommunisten und Nazis bereiteten Putschversuche vor. Das ist gerade mal 100 Jahre her. Danach gab es die Währungsreform im November. Es wurde getauscht. Eine Billion altes Geld gegen eine Rentenmark. Und es kamen die sogenannten goldenen 20er Jahre. Wenn man sich das vor Augen führt, muss man feststellen: Wir haben doch tolle Bedingungen, um wieder durchzustarten. Ja, wir werden wahrscheinlich wieder durch Fehler und Schmerzen lernen müssen. Aber wir sind lernfähig, weil wir eine Demokratie sind. Aber wir müssen das auch gemeinsam einfordern, jeder an seiner Stelle.

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