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„Er ist der Ursprung allen Übels“

Drogen, Prostitution, Gewalt: Wie für eine Rosenheimerin der Salingarten zum Schicksalsort wurde

Auf der Toilette am Rosenheimer Salingarten hat sich Linda L. zahlreiche Spritzen gesetzt.
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Auf der Toilette am Rosenheimer Salingarten hat sich Linda L. zahlreiche Spritzen gesetzt.

Dass es in Rosenheim eine Drogenszene gibt, ist bekannt. Dass ein Treffpunkt der Szene der Salingarten ist, vermuten viele. Wie schlimm es wirklich ist, schildert jetzt eine junge Frau aus Rosenheim anhand ihrer persönlichen Geschichte. Ein Einblick in ein Leben, das in eine gefährliche Spirale aus Drogen, Prostitution und Gewalt geriet.

Rosenheim – Eigentlich grenzt es an ein Wunder, dass Linda L. noch lebt. „Hinter mir liegt eine schwere Zeit“, sagt die junge Frau, die eigentlich anders heißt, aber lieber anonym bleiben möchte. Sie hat einen Ordner dabei, gefüllt mit Fotos, Berichten aus der Entzugsklinik und Gedichten. All das soll dabei helfen, zu verstehen, wer sie war und einen kleinen Einblick in ihr Leben geben. Ein Leben voller Schmerz, Gewalt und Drogen.

Linda L. hat ihre Gedanken und Gefühle in Gedichten verarbeitet – auch über die Toilette am Salingarten.

Wann genau sie auf die schiefe Bahn geraten ist, weiß die junge Frau heute nicht mehr. Sie schätzt, dass es vor etwa vier Jahren gewesen sein muss. Damals habe sie bereits Drogen konsumiert. „Es ging mir zu der Zeit schlecht“, erinnert sie sich.

Heroin, Fentanyl und Koks

Irgendwann landet sie im Salingarten. „Dort wurde mir meine erste Spritze gesetzt“, sagt sie. Fast täglich ist sie ab diesem Zeitpunkt im Park anzutreffen. Sie spritzt sich Heroin, nimmt Fentanyl und Koks. Mal im Parkhaus, mal auf der Toilette des angrenzenden Kiosks. „Es gibt wahrscheinlich keine öffentliche Toilette in Rosenheim, auf der ich mir noch keine Spritzen gesetzt habe“, sagt sie. Linda L. ist nicht die Einzige. „Wir waren in der Regel 20 Leute“, erinnert sie sich.

Irgendeiner hatte immer Drogen dabei. Als Linda L. das Geld ausgeht, verkauft sie ihren Körper. Sex für Drogen. Einige der Männer kannte sie, die meisten waren Fremde. Während sie erzählt, blättert sie durch ihr Notizbuch. Sie zeigt auf Zeichnungen. Eine davon zeigt sie, kniend. Vor ihr ein Mann mit heruntergelassener Hose.

Mehr als einmal eine Überdosis

Mit den Drogen versucht sie, das Geschehene zu vergessen. „Ich habe viel konsumiert, mir viel gespritzt“, sagt sie. Kurz wird sie leise. „Ich hatte mehr als einmal eine Überdosis“, sagt sie. Dass sie noch im Leben ist, habe sie vor allem den Rettungskräften zu verdanken, die ihr das Medikament Naloxon verabreichten. Nicht alle aus ihrem Bekanntenkreis hatten so viel Glück. „Ich habe viele Freunde durch die Drogen verloren.“

Aus dem Ordner holt sie Fotos. Sie zeigen ihren linken Arm. Blaue Flecken, dunkle Verfärbungen und rote Einstichstellen zieren die Haut. Noch schlimmer als die Blessuren sind die unsichtbaren Wunden, die psychischen. Die, die auch Jahre später noch nicht verheilt sind.

Kontrolle über Leben verloren

Linda L. holt ein neues Bild aus dem Ordner. Darauf sind zahlreiche benutzte Spritzen zu sehen. Es ist ein Foto, entstanden, als sie die Kontrolle über ihr Leben komplett verloren hatte. „Das entstand damals im Obdachlosenheim“, sagt sie. Es war in dieser Zeit, als sie beschloss, nach Frankfurt zu fahren. „Ich hatte die Nase voll von Rosenheim“, sagt sie. Frankfurt hat ein Drogenproblem. Das ist kein Geheimnis. Konsumiert wird mitten auf der Straße, die Polizei ist machtlos. Für Linda L. ist es das Paradies. Jedenfalls in den Momenten, in denen sich die Drogen in ihren Venen ausbreiten.

Um sich die Drogen zu leisten, arbeitet sie auf dem Straßenstrich. Viel erzählen aus dieser Zeit will sie nicht. Zu schmerzhaft sind die Erinnerungen, zu verschwommen das Erlebte. Irgendwann landet sie im Gefängnis, ihre Eltern holen sie aus Frankfurt ab, bringen sie direkt in eine Entzugsklinik. „Dort habe ich täglich konsumiert“, sagt sie. Sie klaut Spritzen aus dem Stationszimmer, bekommt von anderen Patienten Heroin zugespielt. Sie schubst die Pfleger, brüllt die Ärzte an, versteckt Drogen im Intimbereich und fälscht ihren Urin.

Das Gefühl der Ausweglosigkeit

Jedes kleine Detail wurde vom Pflegepersonal dokumentiert. Linda L. hat alle Unterlagen. Sie liegen bei ihr daheim, stapelweise. Hin und wieder liest sie sich durch, was die Pfleger über sie geschrieben haben. Manchmal ist es so, als ob sie über jemand anderen liest. „Aber natürlich weiß ich, dass ich das alles gemacht habe“, sagt sie. Auch diesen Teil ihres Lebens hat sie in Gedichten festgehalten. Sie schreibt über den Schmerz, das Gefühl der Ausweglosigkeit. Aber auch über die Drogen, das Glücksgefühl, das durch die Venen fließt. Das Gefühl der Schwerelosigkeit.

Doch auf jedes Hoch folgt ein Tief. Bei einer Routineuntersuchung in der Entzugsklinik wird bei Linda L. das Hepatitis-C-Virus festgestellt, kurz HCV. Ohne Behandlung kann eine Hepatitis C bis zum Leberversagen oder Leberkrebs führen. HCV wird durch Blut übertragen. Linda L. vermutet, dass es durch das gemeinsame Nutzen der Nadeln passiert ist, aber vielleicht auch durch ihre Zeit als Prostituierte.

Seit 17 Monaten keine Drogen mehr konsumiert

„Für mich war die Diagnose der Moment, wo ich mir geschworen habe, clean zu werden“, sagt sie. Bis sie sich tatsächlich an einen Substitutionsarzt wendet, vergehen noch einmal mehrere Monate. Mittlerweile geht es ihr gut. Sie hat eine Wohnung und einen Beruf. Einmal am Tag geht sie in die Praxis, um sich ihr Substitut abzuholen – Methadon, ein Ersatzstoff für Heroin. Richtige Drogen hat sie seit fast 17 Monaten nicht mehr konsumiert.

Eine Röntgenaufnahme, aufgenommen vor einigen Jahren: Deutlich zu sehen sind die Nadeln, die im Arm stecken, abgebrochen beim Konsumieren.

Sie ist stolz auf sich. Das Erreichte und darauf, dass sie aus der Drogenszene geschafft und ihrem ehemaligen Leben den Rücken gekehrt hat. Doch es gibt Momente, da kommen die Erinnerungen wieder hoch. Dann, wenn sie durch den Salingarten muss. Wenn sie auf die Menschen aus ihrer Vergangenheit trifft. „Die Szene verfolgt mich“, sagt sie. Immer wieder werde sie von den unterschiedlichsten Leuten angesprochen, ob sie Drogen möchte oder nicht mal wieder Lust auf Sex hätte - auch gerne gegen Bezahlung.

„Ich wünschte, der Salingarten würde nicht mehr existieren“, sagt sie. Der Park steht für alles, was sie versucht, zu vergessen. Trotz allem will sie nicht schlecht über die Leute reden. „Sie waren meine Familie. Ich habe mich dort geborgen gefühlt“, sagt sie.

Bilder aus schweren Zeiten: Zahlreiche Nadeln und der linke Arm mit den Einstichstellen.

Aber sie will auch, dass man aufhört, die Augen vor der Realität zu verschließen. „Rosenheim hat ein Drogenproblem und der Salingarten ist der Ursprung allen Übels“, sagt sie. Linda L. glaubt nicht daran, dass sich die Probleme durch die geplante Aufwertung des Parks in Luft auflösen. Auch, wenn sie es sich wünscht. Mehr als alles andere. Nur dann wird es ihr gelingen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen - und sich auf ihr neues Leben zu konzentrieren. Ein Leben ohne Drogen und Prostitution.

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