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Nach SPD-Antrag

Problematische Straßennamen in Rosenheim? Wer sich auf eine neue Adresse einstellen muss

In Koblenz hat man bereits einige Straßennamen umbenannt. Auch in Rosenheim gibt es 34 fragliche Namen. Jetzt soll über das weitere Vorgehen diskutiert werden.
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In Koblenz hat man bereits einige Straßennamen umbenannt. Auch in Rosenheim gibt es 34 fragliche Namen. Jetzt soll über das weitere Vorgehen diskutiert werden.

In Rosenheim gibt es rund 600 Straßennamen. Einige davon wurden nach Persönlichkeiten benannt, die nach ihrem Tod geehrt werden sollten. 34 Straßennamen sollen jetzt überdacht werden. Wer sich künftig auf eine neue Adresse einstellen muss – und warum der Prozess wohl mindestens drei Jahre dauern wird.

RosenheimDr. Christian Höschler hatte in den vergangenen Monaten einiges zu tun. Der Leiter des Stadtarchivs Rosenheim hat sich jeden der insgesamt 600 Straßennamen in der Stadt angeschaut. Hintergrund war ein SPD-Antrag aus dem Jahr 2021. In diesem forderte die Fraktion die Verwaltung auf, eine Liste mit Rosenheimer Straßennamen zu erstellen, die einen Bezug zum Nationalsozialismus haben. „Ziel war die Identifizierung von möglicherweise problematischen Straßennamen“, heißt es aus dem Rathaus.

2023 ans Stadtarchiv übergeben

Dem Antrag wurde zugestimmt, ein Kriterienkatalog für die Untersuchung der Rosenheimer Straßennamen erstellt. 2023 wurde die Aufgabe offiziell an das Stadtarchiv gegeben – das sich seitdem mit dem Thema auseinandersetzt. In einer Datenbank wurde also jeder einzelne Straßenname aufgenommen. Zu einigen ließen sich umfassende Details ausfindig machen, in anderen Fällen musste mit hohem Aufwand recherchiert werden, um überhaupt an Informationen zu gelangen.

„Unser Ziel war es, die Namen sämtlicher Straßen in Rosenheim in ihrer Bedeutung nachvollziehen zu können“, teilt Christian Höschler in dem Bericht mit. Und zwar ohne Beschränkung. Während man sich also in Hamburg beispielsweise nur mit Straßennamen auseinandersetzte, die einen NS-Bezug hatten und in Berlin nur Straßen mit antisemitischen Bezügen angeschaut wurden, nahm das Rosenheimer Stadtarchiv jeden einzelnen Straßennamen genauer unter die Lupe.

„Wir haben die 587 Straßennamen systematisch erfasst, geschichtswissenschaftlich eingeordnet und auf potenzielle Belastungen geprüft“, erklärt Höschler. Ziel sei es gewesen, fragliche Straßennamen zu identifizieren. Also beispielsweise dann, wenn Straßen nach Persönlichkeiten benannt wurden, die den Krieg verherrlicht haben, für ihre rassistische oder antisemitische Haltung bekannt waren oder Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert haben.

34 fragwürdige Straßennamen

„Insgesamt haben wir 34 Straßen als fraglich – also diskussionswürdig – eingestuft“, sagt Höschler. Darunter seien solche mit ideologischem Hintergrund, militärischer Prägung oder eben umstrittenen Namensgebern. „Eine abschließende Bewertung dieser Straßennamen ist damit aber noch nicht gegeben“, erklärt der Leiter des Stadtarchivs. Vielmehr handelte es sich bei diesen 34 Straßennamen, um diejenigen, über die noch einmal diskutiert werden sollte.

Auf der Liste stehen neben der Anton-Kathrein-Straße unter anderem auch die Carl-Orff-Straße, die Georg-Aicher-Straße, der Hermann-Gröber-Weg, die Jahnstraße und die Kardinal-Döpfner-Straße. Die Gründe, warum es diese Straßennamen auf die Liste geschafft haben, liefert Christian Höschler gleich mit.

Einige Straßennamen, über die in nächster Zeit noch einmal diskutiert werden soll.

So setzte Anton Kathrein beispielsweise Zwangsarbeiter in der NS-Zeit ein und unterstützte die SS. Der Komponist Carl Orff war ein Nutznießer des NS-Regimes und nahm Aufträge seitens der NS-Machthaber an. Georg Aicher – ein Ehrenbürger der Stadt Rosenheim – war Mitglied in zahlreichen NS-Organisationen. Der deutsche Maler Hermann Gröber war Nationalsozialist und Mitglied der NSDAP. Kardinal Döpfner wird ein Fehlverhalten im Zusammenhang mit Missbrauchsfällen in der Katholischen Kirche vorgeworfen.

Judenfeindliche Äußerungen

Und die Jahnstraße? Die wurde nach dem deutschen Pädagogen und Politiker Johann Friedrich Ludwig Christoph Jahn (1778 – 1852) benannt. Für den Begründer der deutschen Turnbewegung gehörten Juden nicht zu Deutschland, das geht aus den Recherchen des Stadtarchivs hervor. Auch auf die Franzosen schlug Jahn rhetorisch gerne ein – er war damit in der Zeit der Befreiungskriege gegen Napoleon und während der Nachwehen des Wiener Kongresses allerdings bei weitem nicht der einzige.

Drei mögliche Handlungsoptionen

Neben der Übersicht über die fraglichen Straßennamen hat das Stadtarchiv auch drei Optionen ausgearbeitet, wie das weitere Vorgehen aussehen könnte. Sollte die Namensgebung beispielsweise als „nicht tragbar erachtet“ werden – etwa bei Personen mit stark belastender NS-Vergangenheit – müsste über eine Umbenennung nachgedacht werden.

Ist der Name, nachdem die Straße benannt ist, problematisch, aber nicht untragbar, könnten Zusatzschilder oder QR-Codes angebracht werden, die Aufklärung leisten, ohne einen Straßennamen zu ändern. Vorreiter ist hier beispielsweise die Stadt Amberg. Dort entscheid man sich dazu unter den Straßenschildern den Hinweis „Die Benennung der Straße ist nach heute geltenden Maßstäben umstritten. Weitere Informationen unter amberg.de/strassennamen oder dem QR-Code.“ anzubringen.

Die dritte Option: Nicht-Handeln. Nämlich dann, wenn ein Straßenname nach Abwägung aller vorliegenden Informationen im Ergebnis nicht als hinreichend problematisch erachtet wird.

Die Langbehnstraße wurde nach dem in Rosenheim gestorbenen deutschen Schriftsteller Julius Langbehn benannt. Ihm wird unter anderem extremer Antisemitimus vorgeworfen.

Um über das weitere Vorgehen zu entscheiden, hat sich eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich unter anderem aus Stadträten und Akteuren des Historischen Vereins Rosenheim sowie des Historischen und Heimatvereins Pang zusammensetzt. Die Arbeitsgruppe soll sich halbjährlich treffen. Auftakt ist im Mai. In diesen Treffen soll unter anderem darüber diskutiert werden, wie mit den 34 fraglichen Straßennamen umgegangen werden soll. Hierfür ist ein Zeitraum von etwa drei Jahren angesetzt.

Emotional aufgeladene Diskussion

„Straßennamen erzählen Geschichten. Manchmal auch solche, die man lieber nicht hören möchte. Doch gerade deshalb kommt ihnen eine besondere Bedeutung zu“, sagt Christian Höschler. Aber der Leiter des Stadtarchivs weiß auch, dass die öffentliche Diskussion über fragliche Straßennamen häufig emotional aufgeladen ist. Umso wichtiger sei das Vorgehen der kommenden Jahre.

Lob von SPD und Grünen

Lob für seine Arbeit gab es in der jüngsten Sitzung des Stadtrats von Stadträtin Gabriele Leicht (SPD) und Stadtrat Karl-Heinz Brauner (Grüne). „Ich bin begeistert, wie über die Erinnerungskultur diskutiert wird“, sagte Brauner. Er sprach von einem „Umdenken in der Gesellschaft“, das ihn hoffnungsfroh stimme.

„Ich finde, wir sollten die Sache nicht weiter verfolgen“, sagte hingegen Georg Kaffl (CSU). Schon jetzt sei das Thema mit viel Aufwand verbunden und habe Personal gebunden. „Wir sollten die Straßennamen nicht ändern“, unterstrich der Stadtrat. „Es geht nicht darum, die Straßennamen abzuschaffen, sondern darüber zu diskutierten“, widersprach Robert Multrus, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler /UP.

Letztendlich sprachen sich die Stadträte mit 34:8 Stimmen für das weitere Vorgehen aus. Über die 34 fraglichen Straßennamen sollen also in den kommenden Monaten intensiv diskutiert werden. Welche Straßen am Ende des Tages umbenannt werden, wird sich zeigen.

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