Klimaaktivistin im OVB-Interview
„Es reicht nicht“: Was beim Klimaschutz in Rosenheim besser werden muss
Der Klimaschutz wird auch 2023 zu den Themen des Jahres zählen. Für eine Abiturientin aus Rosenheim, die für ihren Umwelteinsatz ausgezeichnet wurde, muss heuer allerdings mehr passieren. Im Interview spricht sie über die Aktionen der „Klimakleber“ und, ob so etwas auch in Rosenheim geplant ist.
Rosenheim - Marlene Reissinger (18), Abiturientin am Ignaz-Günther-Gymnasium und Aktivistin bei „Fridays for Future“, hat den „Grünen Junior Engel“ des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz für vorbildliches und beispielgebendes Engagement im Natur- und Umweltschutz erhalten. Im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen erklärt die Klimaaktivistin warum die Freude über die Auszeichnung getrübt ist, wie sie über die Aktionen der „letzten Generation“ denkt und wie in Rosenheim das Klima besser geschützt werden kann.
Herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung. Was bedeutet Ihnen das?
Marlene Reissinger: Vielen Dank. Ich freue mich über die Auszeichnung. Es ist schön, dass der Einsatz wertgeschätzt wird. Aber es würde mir wesentlich mehr bedeuten, wenn die Politik nun auch die richtigen Schritte für die Klimagerechtigkeit einleitet. Denn die größere Auszeichnung für alle Klimaaktivisten wäre, wenn etwas dadurch passiert. Eine Auszeichnung bringt mir nichts, wenn die Welt trotzdem vor die Hunde geht.
Der Preis ist für vorbildliches Engagement, für was haben Sie sich genau eingesetzt?
Reissinger: Zunächst bin ich das nicht alleine, da steht immer ein Team dahinter. Den Preis hätte auch jeder andere bei uns bekommen können. Wir bei Fridays for Future Rosenheim organisieren Demonstrationen und Kundgebungen. An unserer Schule haben wir einen Arbeitskreis Umwelt gegründet, der sich für mehr Blumenwiesen, Hochbeete und den Insektenschutz in Rosenheim einsetzt. Zudem habe ich mich für faire Kleidertauschbörsen eingesetzt.
Ist die Auszeichnung eine Bestätigung, dass Sie auf dem richtigen Weg sind?
Reissinger: Das weiß ich nicht so recht. Ich habe zurzeit das Gefühl, dass Fridays for Future zu sehr akzeptiert wurde. Ich glaube, dass wir ein Bewusstsein für die Klimakatastrophe geschaffen haben und einiges angepackt wurde, aber das reicht noch nicht. Und im Moment wirkt es so, als werden wir ein bisschen von der Politik belächelt und nicht ernst genommen.
Bringen dann die Demonstrationen überhaupt noch was?
Reissinger: Ehrlich gesagt zweifle ich schon öfters daran. Man sagt, dass es zu einem wirklichen großen gesellschaftlichen Wandel kommen kann, wenn rund drei Prozent der Bevölkerung auf den Straßen sind. Wir haben also noch einen Weg vor uns.
Die „Letzte Generation“ wählt da gerade einen etwas härteren Weg.
Reissinger: Die Intention der Letzten Generation finde ich wichtig. Wir sind die letzte Generation die noch irgendetwas bewirken kann. Das schlechte Bild in den Medien ist oft nicht gerechtfertigt. Ich kenne einige, die zunächst bei Fridays for Future friedlich demonstriert haben und dann gemerkt haben, dass das nicht genug ist. Die haben das Gefühl nicht gehört zu werden und wollen etwas anderes probieren, damit die Leute aufwachen.
Was ist der Unterschied zwischen „Fridays for Future“ und der „Letzten Generation“?
Reissinger: Der Unterschied ist die Form des Aktivismus. Wir haben aber ein gemeinsames Ziel: die Klimagerechtigkeit.
Wie bewerte Sie denn die Aktionen der „Klimakleber“ und das Bewerfen von Kunstwerken?
Reissinger: Es geht darum, gehört zu werden und etwas zu bewirken, damit wir in einer klimagerechten Welt leben können. Kein Aktivist hat die Absicht irgendjemand zu verletzten, etwas zu beschädigen oder kaputt zu machen. Die Aktionen sind ja nicht zum Spaß. Einige der Klimaaktivisten riskieren dabei eine Haftstrafe. Ich würde mich freuen, wenn die Medien mehr beleuchten würden, dass sich kein Aktivist leichtfertig irgendwo hinklebt, sondern hinter jeder Aktion viele Gedanken stehen. Die Aktivisten halten auch immer eine Rettungsgasse frei und die Gemälde sind alle hinter Glas und werden nicht beschädigt.
Sind denn die Ziele wie das 1,5-Grad-Ziel überhaupt noch zu erreichen?
Reissinger: Nein, nur wenn es zu einer extremen Kehrtwende kommt und die Politik mehr Bereitschaft für den Wandel zeigt.
Was müsste den verändert werden?
Reissinger: Es müsste zum Beispiel die CO2-Steuer deutlich angehoben werden und dann sozial gerecht ausgeglichen werden. Es kann auch nicht sein, dass Fliegen immer noch günstiger ist als Zugfahren. Oder es müsste ein Tempolimit eingeführt werden. Das ist ein Schritt der schnell umsetzbar ist und einen großen Effekt hätte. Aber es ist nicht meine Aufgabe, Maßnahmen zu nennen. Es gibt diverse Wissenschaftler, die sich viel besser auskennen und wissen, wie wir die Katastrophe noch abwenden können.
Fahren Sie mit dem Auto?
Reissinger: Diese Frage zeigt ganz gut, was das Problem im Umgang mit Klimaaktivisten ist. Es wird erwartet, dass wir perfekt nachhaltig leben, was aber in einem nicht nachhaltigen System nicht möglich ist. Ja ich fahre Auto, weil ich keine andere Wahl habe. Damit man auf das Auto verzichten kann, müsste der ÖPNV in der Region ausgebaut werden. Es müssen mehr Anreize gesetzt werden, damit man unabhängig vom Auto werden kann.
Was kann in Rosenheim noch in Sachen Klimaschutz getan werden?
Reissinger: Dazu haben wir Oberbürgermeister Andreas März einen Forderungskatalog vorgelegt. Der soll demnächst diskutiert werden. Durch einen besseren ÖPNV könnte die Innenstadt jedenfalls autofrei werden und mehr Grünflächen angepflanzt werden. Auch die Bebauung müsste energieeffizienter werden. Dadurch wäre das Leben in der Stadt auch wieder schöner und gesünder.
Gabriele Leicht, Dritte Bürgermeisterin von Rosenheim, würdigt Reissingers Einsatz für die Umwelt in Rosenheim
„Marlene war bereits als Schülerin sehr engagiert, vor allem in ihrer Position als Schülersprecherin“, sagt Leicht. Sie habe es immer wieder geschafft andere Schüler zu motivieren - insbesondere auch die Jüngeren. „Das schafft sie durch ihr sympathisches und offenes Auftreten“ so Leicht weiter. Zudem schaffe es Reissinger, wenn sie über Themen spricht, die sie bewegen, auch bei anderen für die gleiche Begeisterung zu sorgen. „Deshalb finde ich, dass Marlene die Auszeichnung zu Recht bekommen hat, weil sie eben auch aktiv etwas für die Umwelt unternimmt.“