„Zählung darf nicht sterben“
„Rapide weniger geworden“ – Welche Aufgabe die Wasservögel-Zähler vom Chiemsee haben
Die Wasservögelzähler vom Chiemsee brauchen neue, zusätzliche Leute. Zwei von ihnen berichten, was sie an dieser wichtigen ehrenamtlichen Arbeit fasziniert und warum sie dringend nach neuen Freiwilligen suchen.
Gstadt – Am Samstag waren sie wieder im Einsatz: 15 Freiwillige, die rund um den Chiemsee am Seeufer stehen und ihre Augen auf das Wasser richten. Im Visier haben sie die Wasservögel, die sich auf dem bayerischen Meer tummeln. Die Helferinnen und Helfer befolgen die Regeln exakt: Man steht immer an einem fixen Datum an fix definierten Plätzen und hält Ausschau: Die vogelkundigen Chiemgauerinnen und Chiemgauer halten fest, was sie sehen, von Schwänen und verschiedenen Entenarten bis hin zu Wasservögeln wie Blässhühnern, Kormoranen und seltenen Exemplaren wie Ohrentauchern.
Wenn es in Skandinavien zu kalt wird
Bei den Zählungen zwischen September und April geht es vor allem darum, die so genannten Rastvögel zu zählen. Der Chiemsee ist Rastgebiet für überwinternde und durchziehende Wasservogelarten. „Im Herbst kommen sie vor allem aus Skandinavien und Russland, wo es ihnen im Winter zu kalt ist. Sie überwintern hier oder fliegen weiter in wärmere Gebiete“, erklärt Ulrike Riedel vom Landesbund für Vogelschutz. Die Juristin im Ruhestand hat sich im Lauf vieler Jahre zu einer engagierten Vogelkundlerin entwickelt und koordiniert die Freiwilligentruppe.
Zu dieser zählt am westlichen Chiemseeufer Nikola Bichler. Die freiberufliche Kartiererin, Mutter und Großmutter wendet gerne einen Halbtag im Monat für das Vogelzählen auf. Sie ist über eine Singvogelführung in ihr Ehrenamt gerutscht. Dabei habe sie noch „Vogelpapst“ Michael Lohmann kennengelernt, der die Zählungen vor rund 50 Jahren initiiert hat und auch Bichlers Leidenschaft für die Wasservögel entzündete. „Ich beobachte gerne, vor allem Vögel. Mir macht das Spaß, besonders in der Gruppe, wenn man sich gegenseitig auf etwas aufmerksam macht“, sagt sie über ihre Zählungen in der Region Gstadt. Sie finde es außerdem toll, wenn sie Seltenheiten entdecke.
„Die Wasservögel sind in den letzten Jahren insgesamt rapide weniger geworden“, fasst Bichler eine wesentliche Beobachtung der 15 Vogelkundigen zusammen. Eine auffällig weniger hier rastende Vogelart sei der Kormoran. „Wir hatten bei der Tiroler Ache eine große Brutkolonie. Die gibt es nicht mehr. In Osternach hat sich ihre Zahl stark verkleinert. Vorher waren hier 150 Nester und jetzt nur noch 40“, schildert Nikola Bichler. Dass Chiemseefischer über die hungrigen Kormorane schimpfen und Jäger mit ihren Schüssen die Vögel aufschrecken, ist ihr bewusst. Doch Bichlers Herz schlägt für die Wasservögel und das sei mehr als ein Hobby.
Zähldaten gehen an das Umweltamt
„Wir liefern unsere Zähldaten an das Landesamt für Umwelt. Deutschland muss diese Daten an die EU leiten. Wie die Wasservogelarten sich entwickeln, wird international beobachtet“, sagt die Vogelfreundin aus der Region nördlicher Chiemgau. So wie sie sammeln Naturschützer auch an Seen wie dem Starnberger See und dem Bodensee Daten über den Wasservogelbestand. Beamte aus den Naturschutzbehörden können nicht immer draußen sein und zählen, unterstreicht Ulrike Riedel deren Rolle. Artenschutz gehe nur mit vogelkundigen Beobachtern.
Nun brauchen auch die Vogelzähler dringend Verstärkung. Die 15-köpfige Gruppe ist in die Jahre gekommen und benötigt mehr Vogelkundige – oder solche, die es noch werden wollen. „Wer sich fürs Mitmachen interessiert, kann sich einfach bei der Regionalgeschäftsstelle Inn-Salzach wenden“, lädt Ulrike Riedel Interessierte ein. (Kontakt: inn-salzach@lbv.de sowie 08634-625333).
„Die Zählung darf nicht sterben“
Der Wille der Chiemseer Vogelzählertruppe ist ungebrochen stark. Eine Statistik werde umso wertvoller, ja älter sie werde, sagt Nikola Bichler. Wichtig sei, dass durchgehend gezählt werde, also Jahr für Jahr jeden fixen monatlichen Samstag von September bis April. Auch wenn sie jetzt nur 15 Leute seien, steht für Bichler und Riedel fest: „Wir machen weiter. Die Zählung darf nicht sterben.“




