Umsetzung kann allerdings dauern
Was tun gegen Sturzfluten? Wie Mittenkirchen für künftige Extremwetter gerüstet werden soll
Hochwasserrückhaltebecken, innerörtlicher Gewässerausbau und die Ertüchtigung der Brücken sollen Mittenkirchen vor künftigen Sturzfluten schützen. Doch noch ist das reine Theorie. Warum es bis zu zehn Jahre dauern kann, ehe die Menschen wirklich sicher sind.
Bruckmühl – Am 26. Juli 2021 traten die Wildbäche am Irschenberg über ihre Ufer, schossen als Sturzflut aus dem Wald über die Felder und auf einer Länge von etwa sechs Kilometern über alle Ortschaften am Fuße der Irschenberger Leite. Doch was hat sich in den vergangenen 17 Monaten getan? Sind die Menschen inzwischen geschützt? Dr. Florian Pfleger von der Bietergemeinschaft cfLab GmbH und SKI GmbH & Co.KG informierte jetzt den Bruckmühler Marktgemeinderat, wie weit die Planer mit dem Sturzflut-Risikomanagement vorangekommen sind.
Ziel der konzeptionellen Arbeit ist es, Möglichkeiten für den optimalen Schutz der Menschen von der Vagener Au über Mittenkirchen, Thalham und Götting bis nach Oberstaudhausen zu finden. Dafür wurden die Ereignisse des 26. Juli ausgewertet, Bodenbeschaffenheit, Abflussrichtungen und Überschwemmungsgebiete ermittelt. „Berechnungsbasis ist die Niederschlagsmenge eines heftigen Regens von etwa einer Stunde“, erläuterte Pfleger. Am Beispiel der Untersuchungen für Mittenkirchen veranschaulichte er, wie Konzeptideen entwickelt werden.
Wasser fließt vom Hang in die Talsohle Mittenkirchen
Die Menschen haben es erlebt: Der Ortskern von Mittenkirchen liegt in einer topografischen Mulde zwischen Irschenberg und der Dammkrone des Goldbachs. Das Oberflächenwasser aus den Hängen der Irschenberger Leite fließt in die Talsohle. Hirschgraben, Kachelauergraben und Thalhamer Graben ufern über die Felder in den Ort aus. Hainerbach und Goldbach können die Niederschlagsmengen nicht abtransportieren. Brücken werden durch Verklausungen zu Nadelöhren, Grundstücke und Häuser bis zu einer Höhe von etwa einem Meter überflutet.
Um künftig vor einem 100-jährlichen Hochwasser geschützt zu sein, müsste der Hainerbach eine Abflussmenge von circa 18 Kubikmetern pro Sekunde schadlos abtransportieren können. Diese Leistungsfähigkeit hat der Hainerbach in Mittenkirchen aber aktuell nicht. Engstellen sind dabei vor allem verrohrte Straßendurchflüsse und Brückenbauwerke. „Die Brücke am Vagenerau Weg hat unter Berücksichtigung von Sicherheitsansätzen eine planmäßige Leistungsfähigkeit von etwa zwei Kubikmetern pro Sekunde“, machte Pfleger auf die größte Problemstelle aufmerksam.
Doch wie kann Abhilfe geschaffen werden? Beispielsweise durch Rückhaltebecken, die den Abfluss von 18 auf mindestens 4,5 Kubikmeter pro Sekunde drosseln. „Wir haben für den Schutz von Mittenkirchen drei theoretische Rückhaltestandorte untersucht, ohne in dieser Planungsphase die Eigentumsverhältnisse zu berücksichtigen“, betonte der Ingenieur für Wasserbau und Hydraulik, der auf die Ermittlung von Hochwassergefahrenflächen und Wildbachgefährdungsbereichen spezialisiert ist.
Effektiv: Wassermassen in Staubecken zurückhalten
So könnte am Thalhamer Graben ein Becken mit einem Einstauvolumen von 51.000 Kubikmetern entstehen. Damit ließe sich der Abfluss auf acht Kubikmeter pro Sekunde drosseln. Das reicht nicht aus. Ein Rückhalt am Kachelauer Graben – oberhalb des Trinkwasserhochbehälters am Forellenweg – könnte weitere 6.500 Kubikmeter einstauen. In Kombination mit dem Rückhaltebecken am Thalhamer Graben würde so der Abfluss auf 4,5 Kubikmeter pro Sekunde gedrosselt.
Ein drittes Becken könnte – aus Hangrichtung gesehen – kurz nach der letzten Bebauung am Forellenweg, mit jeweils einem Becken links und rechts des Hainerbachs entstehen. „Das wäre ein sehr effektiver Standort. Dort könnten wir auch den Abfluss des Hirschgrabens auffangen. Das Becken hätte theoretisch ein Einstauvolumen von 39.000 Kubikmetern und würde den Abfluss auf 4,5 Kubikmeter pro Sekunde drosseln“, erläuterte Pfleger.
Ein innerörtlicher Gewässerausbau ohne Rückhaltebecken würde nach seinen Berechnungen nicht ausreichen, um die Wassermassen zu bändigen. „Geprüft wird auch ein Teilausbau der Gewässer in Kombination mit Rückhaltebecken“, so der Planer.
Auch die Umleitung der Hangabwässer über eine Kombination aus Geländemodellierung und Flutmulde entlang des Thalhamer Grabens in Richtung Kropfbach wurde untersucht. Dafür müssten das Gelände parallel zur Irschenberger Leite über Kilometer modelliert und der Kropfbach in Linden so ausgebaut werden, dass er die gesamten Wassermassen sicher zur Mangfall leiten kann, ohne die Abflusssituation in den Bereichen um den Kropfbach zu verschlechtern.
Goldbach muss ausgebaut werden
Der Goldbach wiederum, so erklärte Pfleger auf Anfrage aus dem Marktgemeinderat, müsse vermutlich vor dem Ortsbereich von Mittenkirchen gedrosselt und in einen zusätzlichen Flutgraben abgeleitet werden.
Wie für Mittenkirchen erarbeiten die Planer auch für die anderen betroffenen Orte Schutzkonzepte, die dem Marktgemeinderat ebenfalls vorgestellt werden. Diesen theoretischen Konzepten folgen Prüfungen von Landschafts- und Trinkwasser-Schutzgebieten, Geologie und verlegten Leitungen aller Sparten. Daraus werde eine technisch-fachliche Vorzugsvariante abgeleitet, die dem Rat mit einer Grobkostenschätzung vorgelegt werde. Das Gesamtkonzept für die Marktgemeinde Bruckmühl werde im Laufe des Jahres 2023 fertig.
Marktgemeinde will alle Modelle prüfen
„Wir müssen uns alle denkbaren Modelle anschauen“, betonte Bürgermeister Richard Richter (CSU/PW), auch wenn es teilweise schwerfalle, sie sich vorzustellen. „Die Brücken sind die Schwachpunkte, da müssen wir zwischen Neubau, Abriss und eventuell auch neuer Verkehrsführung abwägen.“ Sobald das Konzept ausgereift sei, solle eine Infoveranstaltung für die Bürger der Orte am Fuße des Irschenbergs stattfinden.
Hochwasserschutzprojekte sind langwierig
Michael Stahuber (CSU/PW) schätzte den Zeitraum für Konzepte, Entscheidungen, Grundstücksverhandlungen und Umsetzung der Schutzmaßnahmen auf mindestens zehn Jahre. Er fragte nach, ob wichtige Maßnahmen wie die Ertüchtigung der Brücken nicht vorgezogen werden sollten. Dr. Florian Pfleger gab ihm Recht, dass beispielsweise die Brücke an der Vagener Au mit einer Leistungsfähigkeit von nur zwei Kubikmetern „nicht so bleiben könne“ und hier Handlungsbedarf bestehe: „Ansonsten hängen alle Entscheidungen miteinander zusammen.“





