Neue Ansätze bei der Behandlung psychischer Leiden
Krankhafte Angst überwinden: Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg therapiert im virtuellen Raum
Große Angst vor Menschenansammlungen? Schweißausbrüche, wenn es heißt, vor den Kollegen einen Vortrag zu halten? Panikattacken, wenn eine Spinne die Wand hochklettert? Das kbo-Inn-Salzach-Klinikum therapiert solche Angststörungen jetzt auch in virtuellen Realitäten.
Wasserburg – Zu Virtueller Realität (VR) als Behandlungsmethode wird am kbo-Inn-Salzach-Klinikum (ISK) bereits seit 2016 geforscht. Mit Professor Dr. Peter Zwanzger und Dr. Julia Diemer sind zwei ausgewiesene VR-Spezialisten am Klinikum tätig, die sich bereits seit 2009 mit der Therapie durch Virtuelle Realität wissenschaftlich auseinandersetzen. VR wird schon seit den 1990er Jahren als Methode in der Psychotherapie untersucht, die Technik war jedoch lange nur im Forschungskontext verfügbar, berichten sie.
Am kbo-Inn-Salzach-Klinikum setzen Therapeuten VR nun auch als Teil der Behandlung psychisch Erkrankter ein. In Wasserburg bieten die Fachbereiche Psychosomatik und Allgemeinpsychiatrie ihren Patientinnen und Patienten im Rahmen des regulären Therapieprogramms ein ergänzendes Behandlungskonzept mit VR an. Hilfreich kann dies nach Angaben der Klinik zum Beispiel bei der Behandlung von Phobien und anderen Angststörungen durch Exposition sein. Das bedeutet, dass die Betroffenen sich unter therapeutischer Anleitung mit ihrer Angst auseinandersetzen und lernen, mit dieser umzugehen. Eine eigentlich sehr aufwändige Therapiemethode, die durch VR deutlich leichter im Therapiealltag umgesetzt werden kann.
Die Psychologische Psychotherapeutin Dr. Julia Diemer forscht am kbo-Inn-Salzach-Klinikum nicht nur zum Einsatz von VR in der Psychotherapie, sie setzt das neue Tool auch in ihrer klinischen Praxis ein: „Virtuelle Realität als Teil eines Behandlungskonzeptes ist nicht nur für unsere Patientinnen und Patienten oftmals ein hilfreicher Baustein ihrer Therapie. Auch allen behandelnden Therapeutinnen und Therapeuten steht mit der VR eine innovative Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung.“ Sie spricht von „sehr guten Erfolgen“, die mit diesem Baustein erreicht würden.
Ergänzendes Therapieangebot
Der Einsatz von VR am kbo-Inn-Salzach-Klinikum ist nicht auf Angststörungen begrenzt. Probleme in der sozialen Interaktion sind auch bei vielen anderen Patientinnen und Patienten ein wichtiges Thema. Mit Hilfe gezielter Übungen können mit VR soziale Kompetenzen und Selbstsicherheit trainiert werden. Dabei wird die VR-gestützte Therapie in die normale Behandlung eingebettet und mit Übungen in der Realität kombiniert, berichtet das ISK in einer Pressemitteilung. Damit fungiere VR als ergänzendes Therapieangebot im Rahmen eines umfassenden Behandlungsprogramms. Dass die Therapie am kbo-Inn-Salzach-Klinikum nun auch in der Praxis als Therapieform angewandt werden könnten, bedeute einen großen Nutzen für betroffene Patientinnen und Patienten, so Zwanzger und Diemer.
Im Einzelnen isei es möglich, ganz bestimmte Szenarien auf Patienten gezielt zuzuschneiden. So können beispielsweise ein schüchterner Betroffener, der unter anderem ein soziales Kompetenztraining durchlaufen müsse, seine sozialen Skills auch mithilfe von VR-Expositionen stärken: Mittlerweile hochrealistische Szenarien, im Rahmen derer man durch eine Stadt spaziert, in einem öffentlichen Park Leute ansprechen kann und dabei verschiedenen Schwierigkeiten ausgesetzt ist, die Anforderungen an die Selbstsicherheit stellen, sind nun ganz einfach möglich, so die Klinik.
Üben vor Auditorium
Dabei sei es spannend zu sehen, wie Patienten in diesen sozialen Situationen immer besser zurechtkommen, so Zwanzger. Beispielsweise sei es möglich, die Konfrontation mit sozialen Herausforderungen unterschiedlich schwierig zu gestalten. So könne das Ansprechen eines Passanten einfach sein, in dem diese Person freundlich und hilfsbereit reagiere. Auf der anderen Seite sei es auch möglich, den Passanten barsch und zurückweisend zu „programmieren“ und so den Schwierigkeitsgrad nach oben zu regulieren – eine ideale Maßnahme, um die Kompetenzen des Patienten langsam und vorsichtig zu steigern. Aber auch das Sprechen vor einem Auditorium kann geübt werden, so Zwanzger. Auch hier gibt es freundliches und schwieriges Publikum, je nachdem auf welchem Level der Therapie der Patient oder die Patientin sich befindet. Natürlich können auch viele andere Situationen prämiert werden: enge Räume, große Höhen, all das ist nun mit moderner Technologie möglich, freut sich der Ärztliche Direktor.
Im VR-Therapiezentrum sind nach Klinikangaben mittlerweile drei Simulatoren sowie zwei Forschungsgeräte im Einsatz. Die Simulatoren sind je nach Bedarf auf unterschiedlichen Stationen lokalisiert, damit die Patienten zu ihrer Exposition einen kurzen Weg haben, so Magdalena Sich, Psychologin am kbo-Inn-Salzach-Klinikum. Eine solch umfassende Versorgung und Ausstattung ist in einer Psychosomatischen Versorgungsklinik die erste Ihrer Art in Bayern, berichtet das ISK.
Schritt von der Forschung in die Praxis
Doch die Entwicklung gehe weiter. So sind Diemer und Zwanzger Teil des Referats „Digitale Psychiatrie und Psychotherapie“ der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), das sich zum Ziel gesetzt habe, gerade im Bereich psychische Gesundheit digitale Versorgung zu entwickeln und weiterzubringen, Vernetzungen auf Bundesebene zu schaffen sowie Fort- und Weiterbildungen für Ärzte und Therapeuten zu organisieren. „Für uns als großes Versorgungsklinikum der Region ist die VR-Therapie nicht nur ein sehr interessantes Forschungsfeld, sondern hat nun auch den Schritt von der Theorie in die Praxis unserer behandelnden Therapeutinnen und Therapeuten geschafft“, so Zwanzger.