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Zeitreise als Beruf

Wie Archäologen in einer historischen Stadt wie Wasserburg im „Untergrund“ arbeiten

Ein gut erhaltenes Rinderskelett – ausgegraben in Erding.
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Ein gut erhaltenes Rinderskelett – ausgegraben in Erding.

Dieser Mann ist ein Zeitreisender: Ulrich Schlitzer (43), Archäologe und seit zwei Jahren Wasserburger. Durch seinen Beruf wandelt er zwischen vielen Jahrtausenden hin und her, entdeckt Überreste früherer Zivilisationen.

Wasserburg Er arbeitet diskret, weil er keine „Schatzsucher“ oder „Grabräuber“ anlocken will. „Meist ist es das 1000. Pfostenloch, das wir finden, manchmal sind es Scherben und etwas seltener eine intakte Grabgrube mit vollständiger Bestattungssituation samt Beigaben“, erzählt der Neu-Wasserburger, der aus München zugezogen ist, über die Bodendenkmäler, mit denen er zu tun hat.

Sein „Sax“ ist eine Waffe, ein einschneidiges Schwert. Das Bild zeigt eine frühmittelalterliche Männerbestattung (Erding).

Wenn Schlitzer fertig ist, atmet Bauherr auf

Wenn er und seine Mitarbeiter von PLANAteam Archäologie fertig sind mit der Arbeit, die sich am Denkmalschutzgesetz Bayerns (Artikel 7, Bodendenkmäler) orientiert, atmen die Bauherren auf. Dem Pool, dem Gewerbegebiet oder dem Einfamilienhaus steht im Idealfall dann nichts mehr im Wege.

PLANATeam, dessen Firmensitz in Wasserburg ist, ist in ganz Oberbayern tätig und hat sich spezialisiert auf archäologische Begleitung, wenn jemand bauen will und eine „denkmalschutzrechtliche Erlaubnis“ zur Auflage seitens der Behörde bekommt. Während Schlitzer und seine Leute graben, zeichnen, befunden, dokumentieren, muss der Bauherr die Füße stillhalten.

„Die meisten Bauwerber kommen auf uns zu und beteiligen uns ganz am Anfang des Verfahrens – oder deren Architekten. Es gilt das Veranlasserprinzip: Wer eine Baustelle verursacht, hat entsprechend die Ausgrabung zu veranlassen und zu bezahlen“, so der 43-Jährige, der studierter Vor- und Frühgeschichtler ist.

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Als Grundlage für die Begleitung eines Bauvorhabens dient unter anderem der Bayerische Denkmal-Atlas. In den Karten sind alle bekannten und vermuteten Denkmäler – auch untertägige – enthalten. Die sogenannten Denkmalflächen sind rot schraffiert. Sie werden festgelegt, weil die Topographie oder alte Ortsnamen darauf schließen lassen: Hier könnte was sein. Oder Bewuchsmerkmale in landwirtschaftlichen Feldern, die auffällig sind und auf beispielsweise Mauerreste hindeuten. „So etwas wird durch Luftaufnahmen sichtbar“, erklärt Schlitzer.

Bronzezeitliche Gewandnadeln und weitere Trachtbestandteile – diese Grabbeigaben wurden in Erding gefunden und sind die Überreste aus einer Brandbestattung.

Boden ist das beste Archiv

„Alle Flächen, an denen wir gegraben und untersucht haben und nichts gefunden haben, werden bereinigt. Ebenso jene Flächen, auf denen etwas zum Vorschein kommt, was wir dann ausgraben.“ Er spricht von „Not- und Rettungsgrabungen“, damit nichts zerstört wird oder verloren geht. Forschungsgrabung macht er nicht. „Wenn was in der Erde bleiben kann, lassen wir es drin. Der Boden ist das beste Archiv“. Doch heutzutage seien Bodendenkmäler durch Flächenfraß, Baudrang und tieferes und invasiveres Bauen stärker bedroht als noch vor 100 Jahren.

In Bayern gibt es kein Schatzregal

Tonscherbe, Münzen, Waffen – was auch immer zutage kommt, gehört dem Grundstückseigentümer. „Ein Schatzregal gibt es in Bayern nicht. Wir erfassen, dokumentieren und reinigen die Funde, geben sie bei der Denkmalschutzbehörde ab, wo sie registriert und katalogisiert werden. Dann kann sie der Eigner haben“, so Schlitzer. Dieser müsse sie konservieren, ordnungsgemäß lagern und wissenschaftlich zugänglich machen. „Viele sagen: Bevor ich mir das ans Bein binde, überlasse ich den Fund lieber dem Staat“, weiß er aus Erfahrung. „Der Staat schiebt auch hier einen Riegel vor: Auf eBay verticken ist nicht erlaubt.“ Die meisten Sachen hätten oft keinen materiellen Wert – einen wissenschaftlichen dagegen schon.

Archäologe Ulrich Schlitzer bei einer Ausgrabung in Erding. Er vermisst die Archäologie – so heißt das im Fachjargon.

„Rechnung mit vielen unbekannten Variablen“

Die Grabungsdauer hänge stets von mehreren Faktoren ab: Komplexität, Bodenbeschaffenheit und Kontext, also ob man es etwa mit einer Grabstätte oder den Resten einer ganzen Siedlung zu tun habe. „Das ist eine Rechnung mit vielen unbekannten Variablen. Ich kann anhand meiner Erfahrungswerte immer nur Schätzungen abgeben“, sagt Schlitzer.

Anhand einer Drohnenaufnahme in Erding zeigt er, wie er und sein Team arbeiten. Zu sehen sind dunkle Flecken: Pfostenlöcher. Hier standen einst Pfahlbauten. Das Holz in der Erde verrottet, zurück bleiben Bodenverfärbungen.

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Zuerst zieht der Bagger den Oberboden ab. Dabei wird festgestellt, ob darunter Archäologie im Erdreich verborgen ist oder nicht. Bei einer „positiven Befundlage“ wird die abgezogene Oberfläche vermessen und dokumentiert. Rund um die archäologischen Strukturen wird mit dem Minibagger sodann eine Arbeitsgrube angelegt, die im Schnitt zwischen 50 Zentimeter und einen Meter tief ist. „Archäologie ist oft sehr oberflächennah. Wir graben auch nicht tiefer als die geplante Bautiefe.“

Dieses Drohnenbild zeigt frühbronzezeitliche Hausgrundrisse, aufgenommen bei Poing. Die dunklen Punkte sagen uns: Hier steckten Holzpfähle in der Erde.

In der Arbeitsgrube wird per Hand weiter gegraben, meistens mit Schaufel und Spitzhacke. Nachdem alles gezeichnet, fotografiert, beschrieben und ausgenommen wurde, ist das Bodendenkmal entfernt.

Unter Wasser 2500 Jahre alte Bauhölzer

Stößt PLANAteam etwa auf einen Brunnen, der doch tiefer geht, wird eine konservatorische Überdeckung gemacht. Dann bleibt der Brunnen im Boden erhalten und darüber kann neugebaut werden.

Luftsauerstoff und die Feuchtigkeit an Land zersetzen organisches Material, wie Leder, Holz oder Textilien. Unter Wasser jedoch können Hölzer von Gebäuden oder Booten Jahrtausende erhalten bleiben, wenn die Umweltbedingungen passen. Schlitzer arbeitet auch als Unterwasserarchäologe und hat an der Roseninsel im Starnberger See 2500 Jahre alte Bauhölzer aus der Keltenzeit ausgegraben, die inzwischen als prähistorische Pfahlbauten UNESCO-Weltkulturerbe sind. „So etwas findet man an Land nicht.“ Es sei denn, ein Moor wurde trockengelegt, da könne man Organisches aufspüren, das lange im Wasser stand und erhalten blieb.

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Da es in Bayern viele Schotterflächen aus eiszeitlichen Ablagerungen (vor 10.000 Jahren) gibt, gräbt PLANAteam meist nacheiszeitliche Funde aus. „Nach der Eiszeit begann der Mensch in unseren Breiten vor etwa 7500 Jahren sesshaft zu werden, das Leben wandelte sich. Die Leute tingelten nicht mehr durch die Gegend als Jäger und Sammler, sondern wurden Bauern. Sie bauten etwas Dauerhaftes aus Holz zum Wohnen, hatten Vorratsgefäße aus Keramik für Lebensmittel“, erklärt Schlitzer.

Auch mal eine Flakstellung

Die meisten Funde stammen aus den sogenannten Metallzeiten (Bronze- und Eisenzeit), der Römerzeit und dem Mittelalter. Manchmal ist auch eine unterirdische Flakstellung aus dem Zweiten Weltkrieg dabei.

Auch unter Wasser ist Archäologe Ulrich Schlitzer tätig. Das Bild zeigt ihn an der Roseninsel im Starnberger See. Er arbeitet an Hölzern aus der Keltenzeit.

Puzzleteile zusammensetzen

„Was wir in der Erde vorfinden, müssen wir interpretieren, manchmal ist es nur ein Puzzleteil wie eine Tonscherbe oder ein Knochen. Die Quellenlage ist eingeschränkt, vieles geht in den Jahrtausenden durch den Verfall verloren“, sagt der Wasserburger. Manchmal finde sich Literatur, doch seien überlieferte Schriftquellen oftmals gefiltert und subjektiv gefärbt – ein Umstand, mit dem auch Historiker in der Forschung ihre liebe Mühe haben.

Aus der Vorgeschichte (Prähistorie) gibt es keine Schriftquellen, denn alles vor den Römern war schriftlos, so Schlitzer.

Spektakuläre Funde

172 menschliche Schädel, entdeckt heuer bei den Sanierungsarbeiten der Wasserburger Stadtmauer – das war der spektakulärste Fund für Ulrich Schlitzer in seiner Laufbahn. Der Archäologe hat mit seiner Grabungsfirma, die Schädel und auch Langknochen vorsichtig frei gelegt, dokumentiert, gesammelt und kartiert. Nun werden sie in München anthropologisch untersucht, etwa auf Verletzungen und Todesursachen. Die Schädel könnten aus mehreren Jahrhunderten stammen und sind dorthin umgebettet worden; es handelt sich um die Überreste von Männern, Frauen und Jugendlichen, teilweise verziert oder beschriftet.

Der Efeu an der Stadtmauer wurde Mitte des 19. Jahrhunderts gepflanzt; danach können sie laut Schlitzer dort nicht mehr deponiert worden sein. Grund für die Umbettung könnten Kanalisationsarbeiten rund um die Kirche gewesen sein; da wurden Gräber aufgelöst. Oder die Beinhäuser wurden im Zuge der bayerischen Säkularisation 1802/1803 aufgelöst und die Schädel in der Erde an der Stadtmauer in geweihter Friedhofserde umgebettet, denkt Schlitzer laut nach. Ob es sich wirklich um alte Schädel handelt, sieht man beispielsweise daran, dass keine Kauflächen mehr vorhanden sind, weil Leder weich gekaut wurde. Oder dass es keine Amalgamfüllungen gibt.

„Klar kann es theoretisch bei solchen Funden Indizien auf antike Kriminalfälle geben. Aber meist ist der Kontext sehr eindeutig.“

Spannende Grabfunde

Ein spannender Fund aus Schlitzers Studentenzeit war ein Grab, das er ausgrub: mit vollständigem Skelett und mit Schwertern, Ketten und Gold ausgestattet.

Außergewöhnlich war auch folgende Fundsituation eines Skelettes: Der Mensch wurde einst auf dem Bauch bestattet, mit gekreuzten Händen und Beinen – mutmaßlich gefesselt niedergelegt. „Früher hatte man Angst vor Wiedergängern“, erklärt Schlitzer und ergänzt: „Die Archäologie muss sich jedoch zurückhalten und darf keine wilden Thesen verbreiten.“ Man habe nur eine eingeschränkte Quellenbasis, logische Schlussfolgerungen und ethnologische Vergleichsbeispiele zur Verfügung.

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