210 Kilometer radelnd durch den Landkreis Rosenheim
Klitschnass und durchgefroren: So erlebten zwei OVB-Redakteure die Wendelsteinrundfahrt
Rund 210 Kilometer und 3000 Höhenmeter gilt es bei der Wendelsteinrundfahrt auf dem Rennrad zu bewältigen. Zwei Redakteure der OVB Heimatzeitungen stellten sich bei Kälte und Dauerregen der im Landkreis Rosenheim einzigartigen Herausforderung.
Rosenheim – Wenn Sie sich schon einmal selbst einer sportlichen Herausforderung gestellt haben, dann kennen Sie vielleicht den Moment, in dem Sie davon überzeugt sind, es nicht mehr zu schaffen. Der Körper rebelliert, der Magen krampft sich zusammen, die Muskeln zittern und der Kopf beginnt jede Sekunde zu hinterfragen: Warum mache ich das eigentlich? Warum bin ich überhaupt hier und welcher Idiot hat sich eingeredet, dass diese Tortur am Ende auch noch Spaß machen soll?
Die Wendelsteinrundfahrt, bei der traditionell circa 210 Kilometer und 3000 Höhenmeter mit dem Rennrad rund um den bekannten Berg zurückzulegen sind, bot reichlich Potenzial für genau solche Momente. Doch hat man nach rund acht Stunden Quälerei im Dauerregen irgendwie das Ziel erreicht, wandelt sich plötzlich das Gedankenkarussell und kreist bereits um das kommende Jahr.
Der bange Blick auf das Regenradar
Die erste Überwindungskunst bei der diesjährigen Ausgabe der Wendelsteinrundfahrt braucht es gleich am Samstagmorgen, wenn der Wecker hartnäckig darauf besteht, um 5 Uhr aufzustehen. Nach dem ersten Griff zum Handy mit bereits voreingestellten Wetterradar ist klar: Jede Stunde werden durchschnittlich zwölf Liter Regen pro Quadratmeter auf mich herunterprasseln.
Nicht die besten Voraussetzungen für die erste Rennradfahrt über 200 Kilometer aber die Hoffnung stirbt bekanntermaßen zuletzt. Erster Gedanke gegen die Resignation: Wir sind ja den ganzen Tag unterwegs. Vielleicht zieht es ja noch auf.
Dieser Hoffnungsschimmer wird spätestens dann genommen, wenn um 7 Uhr der Startschuss fällt und um 7.02 Uhr sämtliche „wetterfesten“ Jacken, Trikots, Hosen, Schuhe und Socken komplett durchnässt sind. Schon jetzt machen sich die ersten Anfälle partieller Amnesie breit und es will einem nicht mehr einfallen, warum genau man sich für die Runde über Samerberg, Priental, Sudelfeld, Tegernsee und Spitzingsattel angemeldet hat.
Ist in den ersten Anstiegen die Kraft noch nicht das Problem, so ist es die Kälte, die sich bei den typischerweise radelenden Leichtgewichten unter den klitschnassen Sachen ausbreitet. Der wärmende Tee, die frischgebratenen Rühreier oder die allseits beliebten „Kasspatzn“ bei den Verpflegungsstationen sind wichtige Helfer auf dem langen Weg durch den Landkreis Rosenheim.
Doch die Momente des Zweifelns kommen zurück. Auslöser ist ein spitzer Stein auf dem steilen Anstieg von Oberaudorf auf den Sudelfeldpass. Ein lauter Knall reißt einem aus dem so hart erkämpften Rhythmus. Das Hinterrad hat einen Platten. Zum Glück ist ein Servicewagen in der Nähe und hilft beim zügigen Wechsel des vorsorglich mitgenommenen Ersatzschlauches.
Das Wetter hat unterdessen kein Mitleid und lässt den durchweichten Fahrern kleine Bäche auf dem Asphalt entgegenströmen.
Nach rund sechs Stunden, einem verklemmten Rücken, tauben Händen und Füßen und einem Krampf in den Adduktoren, steht der letzte lange Anstieg zum Spitzingsattel auf dem Programm.
Die verlockende Aussicht auf „nur“ noch 50 Kilometer wird mit einem zweiten platten Reifen schnell getrübt. Diesmal im Valepp-Tal, an der hintersten Ecke; kein Servicewagen, kein Schlauch, kein Handyempfang. Doch diesmal kommt die Hilfe von den Leidensgenossen. Fast jeder Fahrer bleibt stehen und fragt, ob er helfen kann. Einer hat noch einen Schlauch übrig, ein anderer hilft beim Einsetzen des Hinterreifens, der sich mit eiskalten Fingern nicht mehr so einfach an seinen angestammten Platz schieben lässt.
Der Schmerz weicht den Glücksgefühlen
Das Meistern der vermeintlich letzten Hürde setzt noch einmal ungeahnte Kräfte frei. Wind und Regen als ständige Begleiter sowie sämtliche Schmerzen werden von Glücksgefühlen überlagert, die vom so lange ersehnten Zielstrich in Au bei Bad Aibling ausgelöst werden.
Im Zielbereich sind nicht mehr viele Fahrer versammelt. Einige haben die so einladend wirkenden Möglichkeiten, die Marathonstrecke zu verkürzen und „nur“ 50, 120 oder 165 Kilometer zu fahren, dankend angenommen oder sind erst gar nicht angereist. Doch nach den durchlebten Momenten der Zweifel, bringt es ein Radler auf den Punkt, was in dem Augenblick den Verbliebenen in den Gesichtern abzulesen ist: „Nächstes Jahr machen wir wieder mit, und zwar bei schönem Wetter.“
Streckenlängen, Teilnehmer und Helfer: Alle Fakten zur Wendelsteinrundfahrt 2022
Am Samstag, den 20. August, starteten mit 1057 Radfahrer rund die Hälfte der gemeldeten Teilnehmer zur jährlich im August stattfindenden Wendelsteinrundfahrt.
Doch dass die Veranstaltung trotzdem bei jedem Wetter stattfindet, war keine Frage - Fahrzeuge und Genehmigungen für Deutschland und Österreich und über 250 Helfer waren schon seit Wochen organisiert und die Lebensmittel für die Versorgung der Teilnehmer standen bereit.
Am Samstag entschieden sich 117 Sportler für die kürzeste Variante mit 50 Kilometer über Irschenberg, Seehamer See zurück nach Au. Für alle anderen galt es zuerst den Samerberg zu überwinden, der schon einen Vorgeschmack auf die noch folgenden Höhenmeter gab, bevor in Sachrang die erste Verpflegungsstation wartete. Dann ging es über Oberaudorf und dem Sudelfeld hinab nach Bayrischzell und zur nächsten Station an der Krugalm bei Fischbachau.
Kurz danach teilte sich die Strecke und die meisten Teilnehmer folgten dieses Jahr wetterbedingt der insgesamt 120 Kilometer langen Route über Niklasreuth nach Au.
Wem es bis dahin noch nicht gereicht hat, der hatte noch die Entscheidung zwischen einer 165 Kilometer Variante und der langen Marathonstrecke mit 208 Kilometern und 3000 Höhenmeter.
Rund 90 Hartgesottene kämpften sich auf dieser Route im Regen über die Valepp zum Spitzingsattel, bevor es auch für sie zurück zum Biergarten am Ziel in Au ging.
Für die ehrenamtlichen Helfer an den Kontrollstationen und Versorgungsstationen war dieses Jahr vieles anders. Regen- statt Sonnenschirme und anstelle von gekühlten Erfrischungsgetränken fragten die Radfahrer nach heißem Tee und Gemüsebrühe. Die vergleichsweise geringe Teilnehmerzahl änderte aber nichts an der guten Stimmung. Denn die meisten Sportler sind Stammgäste, die sich jedes Jahr wieder auf eine gesellige und wettbewerbsbefreite Rundfahrt freuen.
