Keine Änderung des Bebauungsplans
Kein Discounter für Tuntenhausen: Aldi will kommen, darf aber nicht
Das Nahversorgungszentrum für Tuntenhausen ist vom Tisch: Es wird keinen Discounter und vorerst auch keine Erweiterung des Edeka-Marktes geben. Voraus ging eine hochemotionale Debatte im Gemeinderat. Wo es Aldi nun stattdessen hinzieht?
Tuntenhausen – Soll der Bebauungsplan am Moorweg geändert werden, um ein zweistöckiges Bürogebäude zu errichten? Mit dieser Frage beschäftigte sich der Tuntenhausener Gemeinderat in seiner jüngsten Sitzung. Beantragt wurde die B-Plan-Änderung von der Eder Familienholding GmbH. Ein positives Votum hätte den Weg für ein großes Nahversorgungszentrum mit Discounter (Aldi), erweitertem Edeka-Markt, neuen Büroflächen für die Eder GmbH und einem Beratungszentrum der VR-Bank geebnet. Doch mit einem 11:10-Votum entschied sich der Rat gegen eine Änderung des Bebauungsplanes und damit vor allem gegen einen Discounter.
Nahversorgung weist Defizite auf
Bürgermeister Georg Weigl (CSU/FW) ordnete die Beratung in die jüngere Geschichte der Gemeinderatsentscheidungen ein, denn nicht zum ersten Mal stand die Frage nach einem Discounter für Tuntenhausen auf der Tagesordnung. Schon im Juli 2019 wurde über die Verbesserung der Nahversorgung in der Gemeinde diskutiert und eine Aldi-Ansiedlung als kritisch angesehen. Mit 11:9-Stimmen sprach sich der Rat einzig für eine Verkaufsflächenerweiterung des örtlichen Edeka-Marktes aus.
Im Februar 2021 war Aldi Süd nach wie vor daran interessiert, in Tuntenhausen einen Markt mit rund 1.200 Quadratmetern Fläche zu eröffnen, um ein überörtliches Einzugsgebiet von Aßling bis Emmering und von Rott bis Großkarolinenfeld zu erschließen. Die Eder Familien Holding, die 2017 bereits den Edeka-Markt gebaut hatte, war bereit, in das Projekt zu investieren. Der Gemeinderat lehnte es mit 11:10 Stimmen ab.
Einen Monat später – am 11. März 2021 – konkretisierte der Gemeinderat seinen Beschluss, um klar zu machen, dass zwar ein Discounter abgelehnt werde, aber eine Erweiterung des Edeka-Marktes erwünscht sei. Der Rat erteilte Bürgermeister Georg Weigl (CSU/FW) damals einstimmig das Mandat, Gespräche mit der Regierung von Oberbayern und dem Wirtschaftsministerium zu führen. Ziel war eine sinnvolle Erweiterung des Marktes. In späteren Gemeinderatssitzungen wurde Weigl von Räten immer wieder ermahnt, das Thema zur Chefsache zu machen, um eine schnelle Lösung zu finden. Damals allerdings stand die Corona-Pandemie im Fokus der Gemeinderverwaltung.
Neue Stellungnahme der Regierung Oberbayerns
Zwei Jahre später präsentierte der Bürgermeister nun das Ergebnis seiner Bemühungen um eine Stärkung des Nahversorgungszentrums. Gemeinsam mit dem Investor Peter Eder und der Tuntenhausener Bauverwaltung hatte er in den vergangenen Monaten zahlreiche Gespräche geführt: mit dem Wirtschaftsministerium und der Regierung Oberbayerns. Im Februar gab diese eine neue Stellungnahme ab: Sie revidierte ihre einstige Ablehnung des Vorhabens als „nicht mit dem Landesentwicklungsplan vereinbar“ und zu groß für Tuntenhausen.
Da der Eder-Profimarkt mit seiner überregionalen Bedeutung für die Versorgung der Landwirte als Spezialfall und nicht als Nahversorger bewertet werden müsse, könne ein weiterer Einzelhandelsbetrieb gebaut werden, heißt es in der neuen Stellungnahme. Eine klare räumliche Trennung könne durch die Zufahrt zum Discounter von der Sindlhauser Straße und grüne Barrieren (Hecken) erfolgen. Eine „überörtliche Agglomeration“ liege also doch nicht vor. Außerdem erläuterte die Regierung von Oberbayern, dass fast alle Nachbargemeinden über einen Vollsortimenter und einen Discounter verfügen.
45 Prozent der Kaufkraft fließen aus Tuntenhausen ab
Genau dorthin fließen gegenwärtig etwa 45 Prozent der Kaufkraft aus Tuntenhausen. Eine Haushaltsbefragung der CIMA Beratungs + Management GmbH (München) hatte 2019 deutliche Defizite in der Nahversorgung der Gemeinde aufgedeckt. So gaben 70 Prozent der Befragten an, dass sie Angebote im Nahversorgungsbereich vermissen und im Umland einkaufen.
Die neue Stellungnahme der Regierung Oberbayerns machte es nun möglich, das Thema erneut auf die Tagesordnung zu heben. Mit dem Ziel, die eigene Kaufkraft in der Gemeinde zu halten, mit kurzen Wegen zudem für mehr Nachhaltigkeit zu sorgen und endlich auch den sozial schwächeren Familien mit geringem Einkommen vor Ort die Möglichkeit zu eröffnen, günstigere Lebensmittel zu kaufen, wie Georg Weigl erläuterte: „Wir sind eine Flächengemeinde und sollten die Einkaufsmöglichkeiten für unsere Bürger verbessern.“
Sorge um Konkurrenz für geplanten Dorfladen
Maria Breuer (UW Ostermünchen) sprach sich für das Projekt aus, auch wenn der von den Bürgern ebenfalls gewünschte Drogeriemarkt im Komplex nicht entstehen könne. „Wir haben den Bürgermeister beauftragt, mit der Regierung Oberbayerns Gespräche zu führen. Er hat eine Lösung erreicht. Also können wir jetzt nicht dagegen sein“, betonte Franz Reil (CSU/FW).
Anna Fernández Diarte (UW Ostermünchen) bekräftigte ihre Ablehnung eines Discounters. Sie befürchtet auch, dass sich ein gestärktes Nahversorgungszentrum in Tuntenhausen negativ auf die neue Ostermünchener Mitte und den geplanten Dorfladen auswirken könnte. „Bei Aldi kauf ich nicht. Aldi will ich auch nicht“, brachte Theresia Englhart (Frauenliste) ihre Einstellung auf den Punkt.
„Man kann den Kunden doch nicht vorschreiben, wo sie einkaufen“, war Andreas Gigglinger (CSU/FW) entrüstet, der eine eigene Metzgerei in Schmidhausen betreibt. Er fürchtet die „Konkurrenz“ in Tuntenhausen nicht, sondern betonte vielmehr: „Wir haben die Chance, einen Discounter und ein VR-Beratungszentrum hierher zu kriegen.“ Das sei ein gutes Signal für die Gemeinde, betonte auch der Bürgermeister. Während sich vielen Banken vom flachen Land zurückzögen, setzte die VR-Bank in Tuntenhausen auf eine dauerhafte Präsenz. Ob dann die Filialen in Ostermünchen und Schönau weiter bestehen würden, fragte Stefan Hofbauer (UW Ostermünchen) nach. Das müssten die Gemeinderäte direkt bei der Bank nachfragen, so der Bürgermeister.
„Wenn ich Discounter höre, bekomme ich einen dicken Hals“, wetterte Landwirt Josef Bodmaier (WG Hohenthann). „Sie tragen ihren Preiskampf auf dem Rücken der Landwirte aus, vor allem die kleinteilige Landwirtschaft hier in unserer Region leidet darunter.“ Der Bürgermeister gab ihm recht, machte aber zugleich darauf aufmerksam, dass die Kunden auch jetzt schon bei Discountern in den Nachbargemeinden einkauften. Margit Kraus (Liste 83104) warnte davor, dass man mit einem Discounter vor Ort, die „Menschen in Versuchung führe“, dort einzukaufen: „Auf dem Rücken der Landwirte, mit dem Wissen um Hungerlöhne in der dritten Welt und um dem Einsatz von Pestiziden. “
Es geht ums „Wohlergehen der gesamten Gemeinde“
Bernhard Kleinmaier (UL Tuntenhausen) ist selbst Landwirt. „Zwar habe ich auch mit dem Preisdruck zu kämpfen, doch wir wurden in den Gemeinderat gewählt, um uns fürs Wohlergehen der gesamten Gemeinde zu engagieren. Deshalb sehe ich in der Ansiedlung eines Discounters mehr Vor- als Nachteile für unsere Bürger. Und heute ist unsere letzte Chance, das zu entscheiden.“ Margit Kraus wiederum betonte die Verantwortung, „über den Tellerrand hinauszuschauen“ und appellierte an den Rat: „Andere bezahlen die Rechnung dafür, dass die Kunden bei Aldi billig einkaufen können. Wer dafür die Hand hebt, hebt die Hand gegen unsere Bauern.“
Bürger verstehen Entscheidung nicht
Christian Birmoser (UL Tuntenhausen) empfahl einen Perspektivwechsel: „Ich bin von vielen Bürgern gefragt worden, warum wir einen Discounter ablehnen. Wir haben in Tuntenhausen ein Gewerbegebiet und sollten es auch nutzen. Die Eder Landtechnik braucht neue Büros. Es muss sowieso gebaut werden.“
Anton Messerer (FWG Beyharting) sieht für den Dorfladen in Ostermünchen keine Gefahr. Er befürwortete den Wunsch nach einer Erweiterung des Nahversorgungszentrums auch aus kaufmännischer Sicht, denn: „Sie schafft zusätzliche Frequenz.“
Verdacht auf „Gefälligkeitsgutachten“
Marcus Straßer (Liste 83104) kennt als Vorsitzender der Nachbarschaftshilfe die Notlage mancher Menschen in der Gemeinde. Trotzdem kritisierte er, dass das Thema „Discounter“ erneut auf die Tagesordnung gesetzt wurde, obwohl sich der Gemeinderat bereits mehrfach dagegen ausgesprochen habe. Die Stellungnahme der Regierung habe für ihn zudem den „Anschein eines Gefälligkeitsgutachtens“. Zudem sieht er im neuen Dorfladen in Ostermünchen die Chance, gemeinsam mit den Landwirten regionale Lebensmittel preiswert anzubieten.
Nach einer emotionalen Debatte stellte der Bürgermeister die Änderung des Bebauungplanes „Moorweg“ zur Abstimmung. Sie wurde mit 11:10-Stimmen abgelehnt.
Ist jetzt auch der Profimarkt gefährdet?
Eine Erweiterung des Edeka-Marktes und der Bau eines Bürogebäudes wären nach geltendem Bebauungsplan trotzdem möglich. Ob diese Projekte jetzt in Angriff genommen werden, wollte Peter Eder, Inhaber der Eder GmbH, vorerst offen lassen. Er wohnte der Gemeinderatssitzung bei. „Wir müssen unsere Pläne nun noch einmal überdenken“, sagte er gegenüber OVB. Alle Nachbarorte hätten bereits Discounter. Aldi werde nun vermutlich nach Aßling gehen, denn die Gemeinde bemühe sich seit langem darum, ihn in den Ort zu holen. „So wird uns noch mehr Kaufkraft abgezogen. Und wir müssen beobachten, welche Auswirkungen das auf unseren Profimarkt haben wird.“
