Wirtschaft in der Region
Rosenheims planvoller Weg zur CO₂-Neutralität
Bayern strebt bis 2040 Treibhausgas-Neutralität an; die Stadtwerke Rosenheim haben ihr Energiekonzept mehrfach aktualisiert, um Fortschritte und Zukunftspläne zu dokumentieren.
Rosenheim - Bayern will bis 2040 Treibhausgas-Neutralität erreichen. Wie wir alle wissen, braucht es dafür kluge Maßnahmen. Die Stadtwerke Rosenheim haben bereits 2008 ein eigenes Energiekonzept erarbeitet und dieses in 2011, 2020 und jetzt erneut zielführend fortgeschrieben. Die Rosenheimer haben ihre aktuelle Fassung gerade neu definiert – auch um zu dokumentieren, welche Meilensteine in welchem Zeitraum bereits erfolgreich umgesetzt wurden. Im Gespräch erklärt Dr. Götz Brühl, wo die Stadtwerke heute auf dem steinigen Weg zur Klimaneutralität stehen und was morgen geplant ist.
Herr Dr. Brühl, welche Bilanz der Stadtwerke-Maßnahmen ziehen Sie bislang?
Eine durchweg positive. Wir kommen dem Ziel, Rosenheim mit CO₂-neutralem Strom und neutraler Wärme zu versorgen, Stück für Stück näher. Gemessen an 1990 sparen wir schon seit fast sechs Jahren rund 50 Prozent CO₂ bei der Strom- und Wärmeversorgung unserer Stadt ein. Die Vielzahl unserer Maßnahmen wird uns Ende der 2020er Jahre eine Reduzierung der CO₂-Emissionen auf rund 80 Prozent erreichen lassen. Die restlichen 20 Prozent haben wir fest im Blick, allerdings werden sich diese sicher als besonders anspruchsvoll erweisen. Die genannten Einsparungen wurden auf Basis unserer bisherigen Energiekonzepte erzielt, die eine breite Diversifizierung der Energiearten und Anlagen mit sich brachten.
Was ist die derzeitige Ist-Situation und welche Erfolge sind bereits zu verzeichnen?
Wir haben beispielsweise jetzt alle neuen iKWK-Systeme (innovative Kraft-WärmeKopplung) in Betrieb genommen. Diese erzeugen hocheffizient Strom und Wärme und bestehen je aus einem Gasmotor, einer Großwärmepumpe (als erneuerbare Energiequelle) und einem Elektrokessel als elektrischer Wärmeerzeuger. Fast 10 Prozent der gesamten Fernwärmemenge können über diese Pumpen direkt aus der Umweltwärme des Mühlbachs erzeugt werden. Das alles spart pro Jahr 16500 Tonnen CO₂!
Aus den Maßnahmen zur Fernwärme konnten wir Kältelösungen entwickeln und haben in den vergangenen Jahren, neben dem Fernwärmenetz, auch die Fernkälte-Versorgung ausgebaut. Unsere Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen sind vielseitig und können im Sommer mittels Absorptionskälteanlagen auch für angenehme Kälte sorgen. Die erste Kältelösungen im KU‘KO ging bereits 2018 in Betrieb. Seit 2020 werden das Quartier Bahnhof Nord und das Landratsamt über diese Technik heruntergekühlt. Im ersten Quartal 2023 ist eine dritte Anlage an den Start gegangen. Bei allen Umsetzungen wird Wasser als Kältemittel eingesetzt. Mit unserem eigens entwickelten Verfahren zu Biomassevergasung können wir seit einiger Zeit Holzgas aus Holz gewinnen. Dadurch haben wir Zugriff auf ein brennbares Gas, das in unseren Gasmotoren klimaneutral Strom und Wärme erzeugt. Weil dieses Verfahren in der anfänglich ausschließlichen Verwendung von Wald-Restholz so gut funktioniert hat, haben wir uns gefragt, ob man das Holzgas auch aus verschiedenen Althölzern extrahieren könnte – einem Wertstoff der sonst eher als Abfall beseitigt wird. Die in der Region ansässige Firma Zosseder hat mit uns zusammen ein Projekt gestartet, in dem wir Versuchsreihen mit Schwemm- und Palettenholz, Bauabbruchholz und sogar mit Altmöbeln durchführen. Sollten wir es schaffen, dass das Holzgas aus diesen Althölzern die gleiche Güte wie das Gas aus den Wald-Resthölzern aufweisen kann, könnten wir die umweltfreundlichen Holzgas-Mengen für unsere Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen nochmals deutlich erhöhen. Darüber hinaus haben wir die Restwärmenutzung in unserem Müllheizkraftwerk nochmals genau unter die Lupe genommen. Das KfW-geförderte Technologieprojekt „ECO3“ sorgte für eine Neuerung in unserer Kraftwerks-Technik. So kann, dank eines neuen Abgaswärmetauschers, rund ein Megawatt mehr an Wärme erzeugt werden, ohne zusätzlichen Brennstoff einsetzen zu müssen. Der Tauscher nutzt bisher nicht genutzte Restwärme aus dem Abgas. Eine Optimierungsmaßnahme, die ebenfalls zur CO₂-Reduktion beiträgt.
Auch das Geschäftsfeld der Energievermarktung bauen wir weiter aus. Es braucht viel Erfahrung, um zu wissen, wann man Strom am besten kauft, verkauft oder selbst verbraucht. So vermarkten wir unsere grüne Energie gebündelt an der Strombörse. Wir versuchen dort den erneuerbaren Strom bestmöglich zu verkaufen, der von unseren 600 ländlichen Anlagenbetreibern mit ihren Biogas-, Photovoltaik-, Wasserkraft-, Holzvergaser-, und Windkraftanlagen im Landkreis produziert wird. Eine Terawattstunde grüne Energie können wir so pro Jahr anbieten, das ist viermal so viel, wie Rosenheim braucht.
Was planen Sie für die Zukunft im Strom und Wärmebereich?
Viel Zukunftspotenzial sehen wir beispielsweise in der Biogaserzeugung unserer landwirtschaftlichen Betriebe. Dort, wo sich die notwendigen Gasaufbereitungsanlagen für die einzelnen Biogasbetriebe nicht rechnen, wollen wir einspringen und Sammelleitungen verlegen, an die mehrere räumlich zusammenliegende Biogasanlagen angeschlossen werden können. In diese Leitung speisen die umliegenden Landwirte ihr produziertes Rohgas ein. Das Gas soll dann zu einer von uns zu errichtenden Aufbereitungsanlage transportiert werden, wo das Rohgas bearbeitet und als Biomethan ins Gasnetz eingespeist werden kann. Wasserstoff ist mittelfristig ein großes Thema. Eine Umrüstung unserer Gasmotoren auf reinen Wasserstoff wäre heute schon möglich. Sollte der Ausbau von Wind- und Photovoltaikanlagen in Deutschland weiter fortschreiten, kann sich bei uns eine eigene Wasserstoff produktion lohnen. Wir würden dann in einem Elektrolyseur, einen Wasserstoff speicher und die Motor-Umrüstung investieren, um selbst Wasserstoff erzeugen und speichern zu können. Allerdings ist mit einer Anbindung Rosenheims an ein zukünftiges Fern-H2-Netz erst in frühestens 15 Jahren zu rechnen.
Sehr interessant ist auch die Möglichkeit Klärschlamm aus dem Rosenheimer Klärwerk zu nutzen, anstatt diesen entsorgen zu müssen. Das Abfallprodukt aus dem Rosenheimer Klärwerk kann mittels unserer Fernwärme getrocknet werden, um anschließend als Brennstoff im Müllheizkraftwerk für die Strom-, Fernwärme- und Dampferzeugung zum Einsatz zu kommen. Das ist die Idee hinter einem Modell zur thermischen Klärschlammverwertung. Der anfallende Klärschlamm würde so lokal entsorgt – und zugleich ließe sich auf diesem Weg die Rückgewinnung des in Klärschlamm-Asche vorhandenen Phosphors vorbereiten. In Zukunft wollen wir außerdem weitere, dezentrale Wärmelösungen schaffen. Wovon Menschen und Unternehmen im Stadtgebiet längst profitieren, soll zukünftig auch in den Außenbezirken möglich werden. Auch hier möchten wir Wärme als Produkt anbieten können, ohne dass sich die Kunden um die notwendigen Investitionen und die technischen Details kümmern müssen. Die bestehenden Gasheizungen würden dabei in den Haushalten erhalten bleiben und eine Basis zum Ausbau bilden: Wir würden die Heizungen mit einer Luftwärmepumpe zu einem Hybrid-System ergänzen. Die Wärmepumpe wird dann circa 80 Prozent der benötigten Wärme erzeugen – an sehr kalten Tagen übernimmt die Gasheizung diese Funktion. Wir werden dabei nicht nur die Beheizung, Investition, Wartung, Instandhaltung und den Betrieb der Erzeugung übernehmen, sondern auch die Steuerung der Optimierung. So können wir die dezentralen Wärmelösungen in unser Gesamtsystem einbinden. Unser Gasnetz ist und bleibt sehr wichtig, auch wenn wir zukünftig weniger fossiles Erdgas transportieren werden, dafür aber beispielsweise Biomethan. Das ist zum herkömmlichen Erdgas chemisch identisch und kann die Verbraucherinnen und Verbraucher über das bisherige Netz ebenfalls erreichen. Eines ist klar: Stromerzeugende Gasmotoren müssen das Stromnetz im Winter gravierend entlasten.
Warum bauen Sie auf so viele verschiedene Möglichkeiten?
Ganz einfach: das verschafft uns Verlässlichkeit und Flexibilität, denn je mehr Energieformen in die Versorgung einfließen, desto sicherer und preisstabiler kann diese gewährleistet werden. Wir können die Energieversorgung Rosenheims in dieser sich wandelnden Welt mit unseren stabilen Energiesystemen jederzeit sichern. Selbst im Falle schwerer Störungen wären wir in der Lage, rasch wieder zu einem verlässlichen Betrieb zurückzukehren.



