Gespräch mit Anja Petrick
Stephanskirchner Hundetrainerin verrät, warum Hundehalter Fernseh-Tipps ignorieren sollten
Manche Hunde haben kein Benehmen - woran das liegt, erklärt die Hundetrainerin Anja Petrick aus Stephanskirchen. Was gegen aufgeregte Tiere hilft und warum Halter Erziehungstipps aus dem Fernsehen nicht befolgen sollten.
Stephanskirchen – Jule ziert sich. Die leeren Plastikflaschen findet sie blöd. Anja Petrick lockt. Und redet Jule gut zu. Und lockt. Und lockt. Das Lagotto Romagnolo-Mädchen fasst sich ein Herz, huscht durch die Flaschen. Ein Riesenlob, ein kurzes Knuddeln und eine Handvoll Leckerli sind der Lohn.
Ute Kolb freut sich. Sie ist Jules Halterin und gerade sehr stolz auf ihren einjährigen Vierbeiner. Denn die Kleine trabt noch mehrfach durch die an dünnen Seilen baumelnden Plastikflaschen. Zwar nur von einer Seite, zurück nimmt sie den Weg um das Hindernis, aber immerhin.
Üben, üben, üben – und das Loben nicht vergessen
Anja Petrick kann mit dem Umweg auf dem Rückweg gut leben. Denn Jule hat gelernt, dass manche Sachen zwar erstmal blöd sind – die Berührung fremder Gegenstände an Gesicht und Schultern fänden vermutlich auch nicht alle Menschen unbedingt prickelnd –, letztlich aber nicht gefährlich. Jule hat es selbst gelernt. Sie konnte schnüffeln, wurde – mit einem Leckerli – immer wieder herangeführt, bekam schon für das Annähern ein Lob und für das erste zaghafte Durchstecken der Nase eine Belohnung. Hätte es nicht funktioniert, hätten Ute Kolb, Anja Petrick und Jule es irgendwann noch einmal probiert.
Geduld mit Zwei-und Vierbeinern
Ute und Christian Kolb bekamen Jule als Welpen. Und landeten auf Empfehlung einer Freundin bei Hundetrainerin Anja Petrick in der Welpenschule. „Uns gefällt der Umgang mit den beiden Enden der Leine besonders gut“, sagt Ute Kolb. Anja Petrick erziehe über Lob, Wertschätzung, Wiederholungen und viel Verständnis. Für Zwei- und Vierbeiner. „Ich möchte, dass meine Kunden ihre Hunde verstehen lernen. So gut, dass sie auch eine Notsituation regeln können“, sagt Anja Petrick. Druck helfe wenig, denn der erzeuge immer Gegendruck.
Anja Petrick kam 2000 auf den Hund. Da trabte Linus in ihr Leben. Und sie mit ihm in die Hundeschule. Eine, in der auch mit Druck und Gewalt gearbeitet wurde. Wohl habe sie sich dabei nicht gefühlt, sagt Anja Petrick im Rückblick. Es dauerte eine Weile, bis sie erfuhr, dass es anders geht.
Parallel zu ihrem Beruf als Cutterin für Film und Fernsehen machte Anja Petrick in Bernau eine Ausbildung zur Hundetrainerin. Für ein Training ohne Gewalt. „Hund und Halter sollen ein Team sein“, so ihre Sicht. Und dieses Team funktioniert umso besser, je mehr Tier und Mensch einander verstehen. „Ich muss doch wissen, was für meinen Hund Stress ist, was der Stress in ihm auslöst und mit welchen Beschwichtigungsgesten ich den Stress mindere oder auflöse“, sagt Anja Petrick.
Anja Petrick erlebt es Dank ihres Yuno – und hat auch die Rückmeldung von Kunden erhalten –, dass Hundebesitzer untereinander zunehmend aggressiv sind. „Da wird man immer öfter angepöbelt, wenn der Hund nicht entspannt bleibt und laut wird.“
Das, so befürchtet sie, wird in Zeiten der „Corona-Hunde“ noch zunehmen. Denn im Lockdown und Homeoffice holten sich viele Menschen einen Hund, denn: „Ich habe ja jetzt Zeit dafür“. Das Problem: Sie waren bei der Erziehung auf sich allein gestellt, auch Hundetraining durfte nicht stattfinden. Also wurden und werden diese Hunde gar nicht oder falsch erzogen.
Die Sendungen der TV-Kollegen seien wenig hilfreich, sagt Anja Petrick. Denn da gehe es mehr um die Aktion vor der Kamera. Der Hintergrund fehle. Jule, das Lagotto Romagnolo-Mädchen vom Anfang des Artikels wird vermutlich nie tiefenentspannt mit ihren Menschen durch Rosenheim gehen. Dazu hat sie zu viel nervöse Energie. Eine nahezu gleichaltrige Hündin der selben Rasse, auch bei Anja Petrick im Training, beherrscht das ganz problemlos. Für die entspannte Hündin mag Ballspielen das höchste Vergnügen sein, Jule wird dadurch nur noch hibbeliger. Für sie ist ein Schnüffelkurs, bei dem sie sich konzentrieren muss, besser.
Wer solche Hintergründe nicht weiß, wer einfach alles ausprobiert, was er – zusammengeschnitten – im Fernsehen sieht, läuft Gefahr, dass ihm der Hund entgleitet. Und dann ist es nichts mehr mit entspannten Spaziergängen oder kuscheln auf dem Sofa. Wenn der Hund dazu je geeignet war.
Hunde nicht auf Norm bringen wollen
Wer sich und seinen Hund gerade ertappt fühlt und sich fragt „und wie biege ich das jetzt hin?“ sollte diese Frage Anja Petrick so nicht stellen. „Wir sollten nicht alle Hunde auf Norm bringen wollen. Wir müssen ihnen ihre Persönlichkeit lassen.“ Eine Erziehung hin zu möglichst guter Allgemeinverträglichkeit sei aber natürlich wichtig. Da ist dann die Hilfe vom Profi gefragt.
Und die gibt es im Landkreis Rosenheim reichlich. Einmal „Hundetraining Rosenheim“ in die Suchmaschine eingeben und es ploppen etwa 20 Adressen auf. Und das sind sicher nicht alle. Da findet jedes Gespann aus Halter und Hund den für diese beiden passenden Lehrer. Alle vernünftig ausgebildeten und geprüften, die auch die tierschutzrechtlichen Aspekte erfüllen müssen, haben einen „Führerschein“ vom Veterinäramt, kurz „11er“ genannt.
Factbox: „Corona-Hunde“ in Tierheimen
Gibt es viele „Corona-Hunde“ in den Tierheimen? „Das stellen wir so nicht fest“, sagt Tilman Rieger vom Tierheim Ostermünchen. Dort hätten ohnehin nur sechs bis sieben Hunde Platz, die meist für längere Zeit bleiben. „Es wird niemand einen Hund im Tierheim abgeben und sagen: das ist ein Corona-Hund“, bestätigt Andrea Thomas, Leiterin des Rosenheimer Tierheims. Gründe seien zum Beispiel ein Wohnungswechsel oder eine plötzliche Allergie.
Doch nicht nur deshalb könne Thomas nicht einschätzen, wie viele Hunde während Corona gekauft wurden und nun abgegeben werden. Auch die räumliche Veränderung spielt eine Rolle. Denn das neue Tierheim in Rosenheim ist viel größer als das alte. Statt 20 Hunden kann die Einrichtung nun 36 Hunde aufnehmen. Es gebe also keine vergleichbare Statistik, was die Hunde angeht. Das Tierheim hat Thomas zufolge ohnehin ein viel größeres Problem: eine Schwemme an nicht kastrierten Katzen. Viele Leute hätten aufgrund der Energiekrise nun kein Geld mehr und würden diese abgeben. Rieger vom Tierheim Ostermünchen bestätigt, dass dort „signifikant mehr“ Fundkatzen ankommen. Er appelliert deshalb an die Regierung eine Kastrationsverordnung zu erlassen.
