Verein zieht ernüchternde Bilanz
Während Corona: Frauennotruf Rosenheim berichtet von Gewalt hinter verschlossenen Türen
Mehr Beratungsbedarf bei Frauen, Kindern und Jugendlichen, denen Gewalt oder sexueller Missbrauch widerfahren ist, hat der Frauen- und Mädchennotruf Rosenheim verzeichnet. Das führen die Beraterinnen auch auf die räumliche Enge während der Lockdowns zurück. Aber es gab auch erfreuliche Entwicklungen.
Rosenheim – 225 Frauen sowie sieben Kinder und Jugendliche, die sexuellen Missbrauch erleiden mussten, haben die Diplom-Sozialpädagoginnen des Frauennotrufs Rosenheim während des ersten Pandemiejahrs 2020 beraten, begleitet und unterstützt – 25 mehr als zuvor. Zu seiner jüngsten Jahreshauptversammlung zog der Verein Bilanz der vergangenen Jahre im Zeichen der Corona-Pandemie. „Vor allem die Intensität der Gewalt hat im letzten Jahr zugenommen“, berichtete Diplom-Sozialpädagogin Tanja Bourges. Hierdurch sei auch die Beratung der Betroffenen komplexer geworden.
Auch Kinder und Jugendliche betroffen
„Unsere Erfahrungen zeigen, dass auch sexualisierte Gewalt wieder ins Verborgene rutscht“, meint Gudrun Gallin, Leiterin der Beratungsstellen des Frauennotrufs. „Häusliche Gewalt und sexueller Missbrauch finden hinter verschlossenen Türen statt. Im letzten Jahr waren sehr viele Türen verschlossen.“
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88 Frauen, so viele wie im Vorjahr, verwies der Frauennotruf im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung zwischen den Polizeiinspektionen der Stadt und des Landkreises Rosenheim sowie des Landkreises Miesbach an die zuständige Interventionsstelle.
Opfer und Täter auf engstem Raum
Anders als 2020 waren 20 Kinder und Jugendliche mehr von Gewalt gegen ihre Mütter betroffen. „Diese mitbetroffenen Mädchen und Jungen haben einen spezifischen Unterstützungs- und Schutzbedarf, den wir besonders im Blick haben müssen“, sagt Gallin. Mädchen und Buben, die miterlebten, wie die Mutter herabgewürdigt oder misshandelt werde, zeigten meist Störungen in der emotionalen, kognitiven und sozialen Entwicklung.
Die Pandemie sei zwar nicht Verursacherin dieser „Dominanzgewalt“, aber ein verstärkender Faktor.
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Es entwickle sich „eine neue Dynamik“ beim Thema Partnerschaftsgewalt, schilderte Gallin. Die veränderten Rahmenbedingungen wirkten sich verschärfend auf gewalttätiges Handeln in der Familie aus. Opfer und Täter lebten länger als sonst auf engstem Raum zusammen, und Ausweichmöglichkeiten fehlten. Viele betroffene Frauen fänden zu Hause keinen geschützten Platz zum Telefonieren oder um den Computer zu nutzen. Hinzu komme die Wahrnehmung, stärker vom Partner abhängig zu sein. Und mehr als sonst müssten Frauen auf ihr Verhalten achten, damit die angespannte Situation daheim nicht eskaliere.
Fingerspitzengefühl war gefragt
„Natürlich hatten die Lockdowns auch Auswirkungen auf unsere Arbeit. Viele neue Probleme tauchten auf und mussten schnell gelöst werden“, berichtete Diplom-Sozialpädagogin Tanja Bourges. „Von uns waren in dieser Zeit viel Kreativität und Fingerspitzengefühl gefragt. Oft konnten wir uns mit den Klientinnen nur an neutralen, sicheren Orten treffen.“
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Gespräche geführt habe man während Spaziergängen, aber auch in Chats.
Nach den ersten Lockerungen in Sachen Corona kehrten die Mitarbeiterinnen wieder in die Beratungsstellen zurück, auch, weil persönliche Gespräche wieder möglich waren – wenngleich mit coronabedingten Einschränkungen. Aber: Ebenso habe es nach den ersten Lockerungen einen sprunghaften Anstieg der Fallzahlen gegeben.
Belastung aufgrund geschlossener Schulen
„Und auch die Zahl der Hilfe suchenden Frauen pendelt sich wieder auf ‚normalem‘ Niveau ein. Allerdings weiß niemand, wie sich diese Zahlen in Zukunft entwickeln werden“, sagte Vorstandsfrau Christiane Cremer.
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Diplom-Sozialpädagogin Nina Berger von der Fachstelle Prävention berichtete über die Belastung aufgrund der geschlossenen Schulen: Ab Mitte März waren Workshops an Schulen nicht länger möglich. Seien die Termine zunächst in der Schwebe gewesen, sei es schlussendlich zu Absagen gekommen.
Informationsmaterial für Schulen
„Da uns das Thema Prävention gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen jedoch so wichtig ist, verschickten wir Pakete mit Informationsmaterial an die Schulen“, schilderte Berger. Umso erfreulicher sei gewesen, dass man ab September den Workshop „Stop it?!“ für die Jahrgangsstufe acht ab September 2020 in 33 Klassen habe abhalten können.
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Dieser soll die Wahrnehmung eigener und fremder Grenzen im Alltag und in der digitalen Welt bewusst machen. Auch hier gehöre die Vermittlung von Unterstützungs- und Beratungsangeboten dazu. Dies geschehe gemeinsam mit der lokalen Jugendsozialarbeit.
Große Spendenbereitschaft
„‚Ausgebremst‘ durch die Pandemie mussten wir auch die Eröffnung unseres neuen Büros in Miesbach verschieben“, bedauerte Vorstandsfrau Karin Gack. „Dennoch konnten wir im Jahr 2020 19 Klientinnen aus dem Landkreis Miesbach telefonisch und digital beraten.“
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Allein aus finanzieller Sicht sei das vergangene Jahr ein gutes für den Verein gewesen. Die Gemeinschaft zeigt sich noch immer überwältigt von der Spendenbereitschaft der Rosenheimer. Im vergangenen Jahr war es dem Frauennotruf möglich, Rücklagen von rund 80.000 Euro zu bilden. Geld, das dringend benötigt werde, schließlich platze der Verein räumlich aus allen Nähten. Für das kommende Jahr ist daher ein Umzug geplant, um dem Abhilfe zu verschaffen. re