Bildhauer Christian Huba
„Schildkröte wiegt so viel wie mein Fiat Panda“: Aschauer Mega-Totems schippern nach Kanada
Ein Milliarden-Projekt für Toronto – eine richtig große Nummer für Christian Huba. Der Aschauer Bildhauer erhielt vor gut vier Jahren den Auftrag, Holzskulpturen für ein Groß-Projekt in Kanada zu schaffen. Jetzt ist er fertig und sein Werk unterwegs nach Toronto. Was nun mit den Totems made in Aschau passiert.
Aschau/Toronto – Sie sind verpackt in Kisten und unterwegs nach Kanada. Mit dem Laster nach Hamburg, von Hamburg mit dem Containerschiff über den Atlantik bis nach Toronto. Für Bildhauer Christian Huba geht damit ein langes Projekt zu Ende. Zwölf Monate hat er an den sieben Tierskulpturen aus Holz gearbeitet. Wobei allein zwei Monate auf die Entwürfe entfallen sind.
Tonnenschwere Lärchenstämme
„Bei der Ausführung kam ich an meine körperlichen Grenzen, weil ich Lärchenstämme händeln musste, die mehr als eine Tonne wogen“, sagt der Bildhauer. Nur mit Hebewerkzeug und Flaschenzug war es ihm möglich, das Holz in eine solche Größe zu bringen, damit er es in seiner Werkstatt bearbeiten konnte.
Die Skulpturen haben eine tiefe symbolische Bedeutung für die indigene Bevölkerung Kanadas: Bär, Biber, Otter, Wolf, Adler, Moschus (ein Fisch) und Schildkröte. Jedes der Tiere stehe für einen bedeutenden Clan aus der dortigen Region. Der Auftrag an Huba kam direkt aus Toronto. Denn dort entsteht in einem alten Industriehafen ein neuer Stadtteil, die Portlands, mit Wohnsiedlungen und einem Park mit Spielplatz, wo die Tiere im Frühjahr zur Eröffnung aufgestellt werden sollen.
Eine ganz besondere Herausforderung sei die große Schildkröte gewesen. „Sie besteht aus fünf Teilen und wiegt so viel wie mein Fiat Panda.“ Die einzelnen Teile aus runden Stämmen herauszuarbeiten und passgenau zusammenzufügen, sei eine handwerklich sehr anspruchsvolle Angelegenheit gewesen.
Plötzliche Wendung mittendrin
Und nicht nur körperlich habe dieses Projekts den Bildhauer gefordert. „Das ganze Thema hat mich sehr beschäftigt“, sagt er. Zunächst klang sein Auftrag plausibel: „Ich sollte Holzskulpturen populärer einheimischer Tiere anfertigen.“ Doch kurz nachdem er die Entwürfe abgegeben hatte, kam es zu einer Änderung. Der Auftraggeber, die kanadische Behörde Toronto Waterfront, stellte Huba eine Gruppe ausgewählter Personen der „First Nations“ – so nennen sich die Ureinwohner Kanadas – an die Seite.
Für Huba begann zu diesem Zeitpunkt ein völlig neuer Schaffensprozess. Im Austausch stand er seitdem mit Shelley Charles. Sie sei als Sprecherin der indigenen Gemeinschaft Torontos ausgewählt worden, um Huba beim Entwerfen der Tiere zu unterstützen. Ein halbes Jahr andauernde Korrespondenz begann. „Ich hatte das Gefühl in einem politischen Mienenfeld zu stecken“, sagt Huba. Denn seine ersten Entwürfe stießen bei Shelley Charles und der indigenen Gemeinschaft auf Kritik.
Er lernte, dass ein Tier nicht auf dem Rücken liegen dürfe, weil das den Tod symbolisiert. Ein auf dem Bauch liegendes Tier stehe wiederum für Krankheit. „Ich habe dann versucht, in ihre Kultur einzutauchen. Aber das ging ihnen zu weit. Eine zu große Annäherung wollten sie gar nicht“, erinnert sich der Bildhauer. Der Künstler solle nicht die Kultur kopieren. Wichtig sei die Berücksichtigung der indigenen Symbole und Werte – ein „Dialog zwischen den Kulturen und allen Gesellschaftsschichten“.
Dunkles Kapitel der kanadischen Geschichte
Gleichzeitig habe sich Huba immer wieder gefragt: Warum kam es auf einmal zu dieser Einbeziehung der Indigenen? „In dieser Zeit ging mir viel durch den Kopf.“ Eine konkrete Antwort auf seine Fragen bekam er aus Toronto aber nie. Er setzte sich intensiv mit der kanadischen Geschichte und Kultur auseinander und stieß dabei auch auf ein sehr dunkles Kapitel in der jüngeren Vergangenheit.
Im Juni 2021 erschütterte ein grausiger Fund Kanada und die Welt: In der Nähe eines Klosters in Kamloops (Provinz British Columbia) wurde ein Massengrab mit 215 Kinderleichen gefunden, wo früher ein staatliches Internat stand. Dabei handelte es sich um die sogenannten Residential Schools, die ab dem 17. Jahrhundert bis in die 1990er-Jahre betrieben wurden. In diesen kirchlichen Umerziehungslagern, die von der kanadischen Regierung finanziert und verwaltet wurden, sollten Kinder indigener Abstammung die Traditionen der Kolonialisten erlernen. Entrissen von ihren Familien erlebten sie Gewalt und sexuellen Missbrauch. Der Fund der toten Kinder entflammte in Kanada eine Debatte, die indigene Bevölkerung forderte die Regierung zur Aufarbeitung auf.
Aufarbeitung und Wiedergutmachung
Bis heute dauert die Aufarbeitung an, beziehungsweise kommt jetzt erst richtig in Gang. Wie auf der Homepage der Stadt Toronto nachzulesen ist, hat die Metropole von 2022 bis 2032 einen ersten Wiedergutmachungsplan, einen „Reconciliation Plan“, gestartet. Dabei sollen vor allem die „Förderung von Wahrheiten und Gerechtigkeit“ im Vordergrund stehen. Mit Maßnahmen zur Verbesserung der Beziehungen, Aufteilung der Macht und finanziellen Wiedergutmachung will die Stadt die Sichtbarkeit und das allgemeine Wohlergehen der First Nations, Inuit (indigene Völkergruppen in der Arktis) und Métis (Menschen mit gemischt indigener und europäischer Abstammung) in Toronto stärken.
Einbinden der Indigenen in Toronto
Waterfront Toronto unterzeichnete mit der Mississaugas of the Credit First Nation (MCFN) eine Absichtserklärung zur Revitalisierung der Uferpromenade von Toronto. Denn das Gebiet liegt auf deren ursprünglichen Territorium, für welches sie mit 145 Millionen kanadischen Dollar entschädigt wurden. Darin werden bestimmte Ziele festgelegt, darunter die Anerkennung und Achtung der Rechte der dort angesiedelten indigenen Gruppen, die Suche nach wirtschaftlichen Möglichkeiten für diese und die Zusammenarbeit, um sicherzustellen, dass bei der Entwicklungsarbeit die indigene Geschichte, Kultur und anhaltende Präsenz in der Region anerkannt und gefeiert wird.
Rückkehr zu den eigenen Wurzeln
„Es ist wichtig, sich damit auseinander zu setzen“, sagt Christian Huba. Auch wenn es sich um „schreckliche“ Ereignisse der Geschichte handele. Aber genau dieser Hintergrund hätte diese Arbeit für ihn so einzigartig gemacht. „Es hat eine tiefe gesellschaftspolitische Bedeutung. Für mich eine Marke im Leben.“
Mit dem Projekt kehrt Christian Huba gleichzeitig zu seinen eigenen Wurzeln zurück. Denn als er im Alter von 14 Jahren seine Ausbildung zum Bildhauer begann, machte er in den ersten drei Jahren ausschließlich Tierskulpturen. „Ich glaube jetzt – nach vier Jahrzehnten bildhauerischem Schaffens – erst richtig ‚angekommen‘ zu sein. Ich wollte schon als Kind Tierarzt werden und als Christ war mir Franziskus, der Patron der Tiere, der liebste Heilige und die Geschichte von Noah‘s Arche die Eindrücklichste.“
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