Bewirtschaftung untersagt
Konflikt an der Kampenwand: Warum ein Wald die Erneuerung der Bahn verhindern kann
Wald ist nicht gleich Wald. Es gibt normalen Wald, Schutzwald und Naturwald. Letzterer sorgt in Aschau gerade für Sorgenfalten, denn er könnte die Erneuerung der Kampenwandbahn verhindern. Warum das so ist, erläutert Joachim Keßler, von den Bayerischen Staatsforsten, im OVB-Interview.
Aschau im Chiemgau – In Bayern wurden rund 83.000 Hektar ökologisch besonders wertvoller Wälder unter dauerhaften Schutz gestellt. Zu diesem „Netzwerk wilder Waldnatur“ zählen auch Waldbereiche direkt an der Kampenwandseilbahn. Seit fast 70 Jahren wachsen sie im Einklang mit der touristischen Nutzung des Gebietes. Nun soll die Bahn erneuert werden. Doch ausgerechnet der angrenzende Naturwald könnte das verhindern.
Dabei wurde der erst im Dezember 2020 ausgewiesen, also drei Jahre nachdem die seilbahnrechtliche Bau- und Betriebsgenehmigung für die Kampenwandseilbahn 2017 erteilt wurde. Ob das ein Widerspruch ist, klärt gerade der Verwaltungsgerichtshof München. Warum der Bergwald an der Kampenwand jetzt als Naturwald unter besonderem Schutz steht, erläutert Joachim Keßler, Leiter des Forstbetriebes Ruhpolding der Bayerischen Staatsforsten, im OVB-Interview.
Seit Dezember 2020 gibt es in Bayern die neue waldrechtliche Kategorie der „Naturwaldfläche“. Warum wurde sie eingeführt?
Joachim Keßler: Mit dem Zweiten Gesetz zugunsten der Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern hat der Bayerische Landtag beschlossen, im Staatswald ein grünes Netzwerk einzurichten, das zehn Prozent der Staatswaldfläche umfasst und aus naturnahen Wäldern mit besonderer Bedeutung für die Biodiversität besteht, also den sogenannten Naturwaldflächen. Diese Naturwälder sind als neue Schutzkategorie im Bayerischen Waldgesetz verankert. In diesen Naturwäldern soll sich die Natur frei entwickeln können, also ohne lenkenden Einfluss des Menschen. Eine forstwirtschaftliche Nutzung, also das Fällen von Bäumen, um Holz zu ernten, findet auf diesen Flächen nicht statt.
Wie wurden ausgerechnet diese Flächen an der Kampenwand ausgewählt?
Joachim Keßler: Die Flächen wurden vom Bayerischen Forstministerium ausgewiesen. Im Vorfeld haben die regionalen Ämter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) und die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) in Zusammenarbeit mit der Staatsforsten Vorschläge unterbreitet, welche Waldbestände besonders schützenswert sind. Dazu gehören auch die alten, artenreichen Bergmischwälder an der Kampenwand. Durch die steile Lage ist die Waldbewirtschaftung hier von Natur aus sehr schwer. Und so konnte sich über die Jahrhunderte eine wilde Natur entwickeln. Wir finden an der Kampenwand neben der naturnahen Baumzusammensetzung von Bergahorn, Buchen, Tannen und Fichten auch einen hohen Anteil an stehendem und liegendem Totholz. Es gibt eine vielfältige Fauna, viele Insekten, Pilzarten, Fledermäuse, Spechte, Birk- und Auerwild, Rehe, Rot- und Gamswild. In diesem Jahr hat im Bereich der Kampenwand auch wieder ein Steinadler erfolgreich gebrütet.
Also konnten sich Flora und Fauna auf der Kampenwand trotz der Bahn und trotz des Bergtourismus entwickeln?
Joachim Keßler: Das ist das Besondere an unserer Kulturlandschaft. Die Natur entwickelt sich an der Seite bestehender Nutzungen durch den Menschen, an der Kampenwandbahn genauso wie an den Autobahnen. Das ist nicht ungewöhnlich.
Nun sollen mit den Naturwäldern einerseits Rückzugsorte für Tiere und Pflanzen geschaffen werden, andererseits will man sie aber für den Menschen erlebbar machen. Das Betreten der Wälder, sportliche Freizeitnutzung oder Radverkehr werden vom Gesetz nicht eingeschränkt. Ist das nicht ein Widerspruch?
Joachim Keßler: Ein Widerspruch ist es nicht, eher ein Maximalkompromiss. Wir wollen die Natur schützen, gleichzeitig aber etwas über die Natur lernen und die Menschen aufklären, indem wir es ihnen ermöglichen, die Natur zu sehen und zu spüren. Das ist natürlich ein Spagat, den wir beispielsweise auch in den Nationalparks machen. Die Erlebbarkeit der Naturwälder an der Kampenwand ist aufgrund der Steillage aber eher eingeschränkt möglich.
Der Naturwald reicht bis an die Trasse der Kampenwandseilbahn heran. Was hat das für Konsequenzen?
Joachim Keßler: Im Naturwald gelten klare, gesetzlich definierte Spielregeln. Bäume dürfen nur zur Verkehrssicherung und zum Waldschutz nach Absprache mit dem AELF und einer gemeinsamen Begutachtung der einzelnen Bäume entnommen werden. Wir mussten beispielsweise im vergangenen Jahr einen Verkehrssicherungshieb vornehmen, weil die Gefahr bestand, dass Bäume auf die Seile der Kampenwandbahn fallen. Auch aufgrund von Borkenkäferbefall wurden bereits Bäume gefällt.
Das Besondere im Naturwald ist: Die eingeschlagenen Bäume verbleiben auf der Fläche. Das bedeutet im Falle des Borkenkäfers, dass die Stämme entrindet werden, um den Schädling abzutöten. Die Larve oder der Jungkäfer vertrocknen an der frischen Luft. Der Stamm verbleibt im Wald.
Mit dem geplanten Neubau der Kampenwandseilbahn ist ein Zielkonflikt entstanden. Einerseits soll die Technik der Trasse erneuert, andererseits der Naturwald geschützt werden. Die Entscheidung, ob dafür überhaupt Bäume entnommen werden dürfen und welche Ausgleichsmaßnamen dafür erforderlich wären, müssen die genehmigenden Behörden treffen. Die Bayerischen Staatsforsten haben darauf keinen Einfluss.
