Alles versucht, um an Personal zu kommen
Lehrermangel, vereinsamte Schüler: So will die Grundschule Prien das neue Schuljahr meistern
Schulschiff der Franziska-Hager-Grundschule Prien auf voller Fahrt: Schulleiterin Claudia Decker trotzt allen Stürmen des neuen Schuljahres. Wie, erklärt sie im Interview mit den OVB-Heimatzeitungen
Prien – Größere Klassen, Kürzungen bei Unterrichtsfächern wie Musik, Kunst oder Sport, bei Förder- und Differenzierungsangeboten wie auch bei Arbeitsgemeinschaften: Vor dieser Konsequenz für Schulen aufgrund des akuten Lehrermangels hatte der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) noch vor dem Start ins neue Schuljahr gewarnt. Bayernweit sollen rund 4000 Lehrer fehlen. Wie sich vor diesem Hintergrund die Franziska-Hager-Grundschule Prien organisiert und vorbereitet hat, erfuhren die OVB-Heimatzeitungen im Interview mit Rektorin Claudia Decker.
Vor dem neuen Schuljahr waren viele Schulleiter auch in Bayern im Stress, ihr Kollegium für das neue Schuljahr ausreichend zu besetzen. Wie ist es Ihnen ergangen?
Claudia Decker: Das ist tatsächlich ein großes Problem, das wir auffangen müssen. Schon in den beiden zurückliegenden Corona-Jahren mussten wir darum kämpfen, unsere Unterrichtsstunden zu belegen. Jetzt hatten wir noch mehr Mühe, für das neue Schuljahr ausreichend vorzusorgen. Wir haben versucht, von allen Seiten Lehrer zu bekommen. Heuer arbeiten wir sogar mit zwei studierten Lehrkräften, die in Rumänien und der Ukraine ihr Examen gemacht haben, aber fließend Deutsch sprechen. Sie übernehmen hier Klassen als sogenannte Substitutionskraft.
Was erwarten Sie vom Staat, um diesem Dilemma ein Ende zusetzen?
Decker: Ein Mittel wäre sicherlich, die wirtschaftliche Situation der Lehrer zu verbessern. Auch Grundschullehrer brauchen die Gehaltsstufe A 13 statt A 12, um den Beruf attraktiv zu machen. Diese Besoldungsgruppe wäre es aus meiner Sicht auch wert, weil die Lehrer so viel Energie in ihre Arbeit einbringen.
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Jeder Gymnasiallehrer fängt mit A 13 an und erreicht dann automatisch A 14. (A 12 laut Bay. Beamtenbund monatlich rund 3900 Euro Einstiegsgehalt; A 13 entspricht rund 4600 Euro/Monat; A 14 bis rund 6400 Euro/Monat; Anm. d. Red.). Zudem sollte die Schülerzahl pro Klasse auf maximal 20 Kinder gesenkt werden. Wenn wir den Bedürfnissen der Kinder wirklich gerecht werden wollten, müsste für jede Klasse so wie in der Förderschule ein Lehrerteam bereit stehen. Weil die Kinder diese Betreuung brauchen. Dann wäre ein Lehrerausfall auch leichter zu kompensieren.
Mit wie vielen Lehrern beschult die Franziska-Hager-Grundschule im neuen Jahr wie viele Schüler?
Decker: 20 Lehrer werden 330 Schüler betreuen. Darunter sind auch Teilzeitkräfte. Die gute Nachricht: Wir konnten alle Klassen mit Lehrern besetzen, wir müssen keine Stunden ausfallen lassen. Allerdings werden vereinzelte zusätzliche Förderstunden für ausländische Kinder gestrichen.
Offenbar werden die Schulen weiterhin mit dieser Situation zu kämpfen haben – das bayerische Kultusministerium hat eine Werbekampagne gestartet, um Abiturienten zum Lehramtsstudium zu locken…
Decker: …das ist mehr als nötig, denn wir werden weiter daran arbeiten müssen, es sind ja so viele Stellen noch unbesetzt. Zusätzliche Arbeitsgruppen, um ein Profil zu schärfen, oder mit den Kindern zum Beispiel die Themen Demokratie oder Umwelt zu bearbeiten oder Theater und Musik zu machen – das alles ist nicht mehr möglich.
Erschwerend kommt sicherlich dazu, dass die Kinder aufgrund des Distanzunterrichts in den zurückliegenden Jahren 2020 und 2021 schon Defizite erfahren mussten…
Decker: …ja, gerade die Kleinen waren davon betroffen, weil sie die Situation nicht so gut kompensieren konnten. Es gab wochenlang nur Videokonferenzen als Ersatzunterricht.
Davon sind einige Schüler regelrecht vereinsamt, weil das in ihrer Familie aus verschiedenen Gründen nicht aufgefangen werden konnte. Wir haben auch Schüler, die den Lehrstoff zuhause nicht adäquat bearbeiten konnten, die zum Teil auch nicht an den Videokonferenzen teilgenommen haben. Da gibt’s deutliche Wissenslücken…
… wie wollen Sie das kompensieren?
Decker: Wir haben eine erhöhte Zahl von Kindern, die das Schuljahr wiederholen. Unser Ziel ist, dass wir vor allem bei den sozialen Kompetenzen von vorne wieder anfangen, um die Kinder dort abzuholen, wo sie gerade stehen. Wir wollen ihnen das Gefühl der Geborgenheit geben, aber andererseits auch die Fähigkeiten, ihre Wünsche zu artikulieren. Es gab einige Fälle, in denn es unter Schülern nicht nur einen gröberen Umgangston gab, sondern auch Prügeleien. Das bedingt, dass wir dort wieder mit der Basisarbeit anfangen.
Was ist darunter zu verstehen?
Decker: Zum Beispiel Bedürfnisse deutlich machen, Wünsche zu artikulieren, oder sagen, dass sie anderer Meinung sind, bei Streitpunkten in der Klasse einen Konsens finden, und das Wichtigste: Dass sich die Kinder sozusagen wieder als aktiv erleben, und nicht nur als Opfer dieser Situation. Wir sind eine Modellschule für soziales Lernen, für Demokratie, das heißt, dass wir uns auf den Weg machen zu prüfen, wie können wir die Kinder einbringen, wie können sie selbst wirksam sein, wie können wir die Basis für Demokratie legen. Das wird eins unserer Ziele für das neue Schuljahr sein.