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Ende für LK Wasserburg und Aibling

50 Jahre Landkreis Rosenheim: „Schwere Geburt“ mit Protesten, Demos und Verzweiflung

Plauderten aus dem Nähkästchen ihrer Erinnerungen: (von links) stellvertretender Landrat Josef Huber, der frühere Landrat Josef Neiderhell und der aktuelle Chef des Landratsamtes, Otto Lederer.
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Plauderten aus dem Nähkästchen ihrer Erinnerungen: (von links) stellvertretender Landrat Josef Huber, der frühere Landrat Josef Neiderhell und der aktuelle Chef des Landratsamtes, Otto Lederer.

Emotionen und Erinnerungen standen im Mittelpunkt des Festakts zum 50-jährigen Bestehen des Landkreises Rosenheim in der heutigen Form. Im Wasserburger Rathaus schlug die Stunde der Zeitzeugen. Und Landtagspräsidentin Ilse Aigner gab auch kritischen Tönen Raum.

Wasserburg – 1972 entstand der Landkreis Rosenheim in seiner heutigen Form. Der Gebietsreform waren turbulente Jahre zuvorgegangen: Proteste, Demos, verzweifelte Versuche, die Auflösung der Landkreise Wasserburg und Aibling zu verhindern. Im historischen Rathaussaal von Wasserburg fand am Samstag, 24. September, der Festakt aus Anlass des Jubiläums statt. Ein Grund zum Feiern? Ja, so der Tenor bei den geladenen Gästen. Trotzdem gab es auch kritische Töne, denn vor 50 Jahren war es nicht immer fair zugegangen.

Aktuelle und ehemalige Bürgermeister, frühere und jetzige Landräte, Kreisräte von damals und heute sowie Vertreter des Landratsamtes versammelten sich im historischen Rathaussaal. Im Fokus standen neben Landtagspräsidentin Ilse Aigner Zeitzeugen. Sie brachten die Stimmung vor 50 Jahren gut auf den Punkt: die Sorge um Identitäts- und Bedeutungsverlust. Und in der Tat verloren in den folgenden Jahrzehnten die ehemaligen Kreisstädte Wasserburg und Aibling Behörden, Ämter und Institutionen – jedoch nicht an Bedeutung, wie die Reden ebenfalls zeigten. Denn der neue Landkreis investierte Millionen in die Infrastruktur, rettete Schulen und Kliniken. Die Landtagspräsidentin nannte den Landkreis Rosenheim „die „Kraftregion in Südostoberbayern“. Ohne die Gebietsreform hätten die vielen kleinen Landkreise und Orte keine Chance gehabt, die großen Herausforderungen der Zeit zu stemmen, zeigte sie sich überzeugt.

„Ich bin eine von Euch“: Landtagspräsidentin Ilse Aigner hielt eine emotionale und humorvolle Rede.

Es war eine schwere Geburt

„Ich bin eine von Euch“, unterstrich Aigner die Doppelfunktion ihrer Rolle beim Fesakt: 1990 wurde sie in den Kreistag gewählt, sie war also als Ehemalige gekommen und als Landtagspräsidentin. „In der Kommunal- und Kreispolitik habe ich politisch das Laufen gelernt“, betonte sie. Mit Blick in den Saal, in dem sich 160 Gäste versammelt hatten, rief sie gerührt: „Lauter vertraute Gesichter.“

Dass die Region nicht nur eine der schönsten in Deutschland sei, sondern auch strukturell so gut aufgestellt, habe sie auch der Gebietsreform zu verdanken, so Aigner auch angesichts der Tatsache, dass Anfang der 70er Jahre zwei Drittel der bayerischen Kommunen weniger als 1000 Einwohner hatten. Unmöglich sei es in diesen Orten gewesen, die infrastrukturellen Aufgaben finanziell und allein zu stemmen.

So manche Grenzziehung bis heute nicht zu verstehen

Trotzdem: Bei der Auflösung der Landkreise Wasserburg und Aibling und der Zusammenlegung vieler Orte habe es manchmal auch an Fingerspitzengefühl gefehlt. So manche Grenzziehung verstehe sie bis heute nicht – wohl auch weil, sie am grünen Tisch gezogen worden sei. Bis heute seien unter anderem in ihrem Heimatort Feldkirchen-Westerham die Nachwirkungen zu spüren: In puncto gegenseitiger Liebe sei in beiden Gemeindeteilen noch Luft nach oben, erzählte Aigner schmunzelnd.

Kampf um Identität und gegen Bedeutungsverlust

Sie sparte in ihrer Rede auch die vielen Proteste, die die Gebietsreform begleitet hatten, nicht aus. „Es war eine schwere Geburt.“ Ein besonderes Opfer musste der Altlandkreis Wasserburg bringen, er wurde auf vier Landkreise aufgeteilt. Der Verlust des Landkreissitzes setzte der Innstadt schwer zu. Einige Orte wie Griesstätt und Albaching wehrten sich erfolgreich gegen die Auflösung. Edling erkämpfte sich vor Gericht später die Eigenständigkeit zurück.

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Doch ohne die Reform wäre die Region ein Flickerlteppich kleiner, wenig handlungsfähiger Orte geblieben, die moderne Landkreisverwaltung von heute nicht möglich gewesen, so Aigner.

„Mit Gewalt durchgedrückt“

Trotzdem verdeutlichten Zeitzeugen wie der ehemalige Landrat Josef Neiderhell, dessen Vater von 1978 bis 1984 ebenfalls dieses Amt bekleidete, dass es Anfang der 70er Jahre nicht immer fair zugegangen ist. Den Verlust des Altlandkreises Wasserburg habe der damalige bayerische Innenminister Bruno Merk „mit Gewalt durchgedrückt“. Franz-Josef Strauß habe versprochen, der Landkreis bleibe selbstständig. Der stellvertretende Landrat Josef Huber, nach eigenen Angaben „schon ewig“ in diesem Amt, unterstrich ebenfalls, viel sei damals hinter verschlossenen Türen gelaufen, sachgerecht sei es bei der Auflösung des Landkreises Wasserburg nicht zugegangen. Trotzdem müsse heute festgestellt werden: „So wie es jetzt ist, so passt es.“

Niederhell erinnerte sich an die Aufbauarbeit seines Vaters, der dafür kämpfte, den neuen Landkreis zu einen. Dass dies gelungen sei, hätten auch die vergangenen zweieinhalb Jahre gezeigt, so Lederer. In der Pandemie und jetzt im Ukraine-Krieg mit seinen Folgen hätte sich die Menschen im Landkreis aufgrund ihrer Solidarität als eingeschworene Gemeinschaft bewiesen. Lederer zeigte sich überzeugt, dass der neue Landkreis seit 1972 viel für die Menschen getan habe: Eine halbe Milliarde Euro sei in neue, sanierte und ausgebaute Schulen geflossen, für die Kliniken in Rosenheim, Wasserburg, Aibling und Prien sei gemeinsam mit der kreisfreien Stadt Rosenheim eine zukunftsfähige kommunale Gesellschaft gegründet worden, das Landratsamt zu einer modernen Dienstleistungsbehörde ausgebaut und der Tourismus im neuen Verband Chiemsee-Alpenland erfolgreich vereint worden. Für die Herausforderungen der Zeit – Energiekrise, Klimawandel, Flüchtlingszuwanderung, Naturschutz und neue Mobilitätsformen – sei der Landkreis in seiner heutigen Form gut gerüstet.

Zeitzeugen wie der stellvertretende Landrat Josef Huber (links) und der frühere Landrat Josef Neiderhell (rechts) erinnerten sich gemeinsam mit dem jetzigen Chef des Landratsamtes, Otto Lederer.

Aus dem Nähkästchen der Erinnerungen geplaudert

Trotz Lederers Appell, den Blick nach vorne zu richten, bereitete der Ausflug in die Vergangenheit den Gästen sichtlich Spaß. Niederhell und Huber warfen sich im Gespräch mit Moderator Florian Schrei die Bälle zu, plauderten aus dem Nähkästchen ihrer Erinnerungen, bewiesen viel Humor im Umgang mit den schwierigen Jahren nach der Reform. Die Stimmung zeitweise: wie auf einem Klassentreffen. Dazu spielte das Turmalin-Quintett virtuos auf, den farblichen Rahmen gab ein in den Grüntönen des Landkreises dekorierter historischer Saal. Irritierend war nur, dass beim Festakt der Bürgermeister von Wasserburg, vertreten durch seinen Stellvertreter Werner Gartner, nicht auf der Rednerliste stand.

Gut gelaunter Ehrengast: Landtagspräsidentin Ilse Aigner, umrahmt von Landrat Otto Lederer (links) und Wasserburgs Bürgermeister Werner Gartner.

„Jede Menge gebracht„: Zahlen zur Gebietsreform

„Jede Menge gebracht“ hat der neue Landkreis den Bürgerinnen und Bürgern, zeigte sich Landrat Otto Lederer in seiner Rede überzeugt. Er unterstrich dies mit Zahlen: Der erste Haushalt des neuen Landkreises habe 40 Millionen Euro umfasst, der aktuelle weise ein Gesamtvolumen von 378 Millionen auf. Die Investitionen seien von zehn auf 49 Millionen Euro verfünffacht worden. Der Landkreis habe in den vergangenen 50 Jahren 1,1 Milliarden Euro investiert. Eine halbe Milliarde sei allein in die Bildung geflossen: in den Ausbau der Schullandschaft. Vier Berufsschulen würden heute alle Ausbildungsbereiche im Landkreis abdecken. Der 2010 gegründet Tourismusverband Chiemsee-Alpenland habe die Übernachtungszahlen von 2,8 auf 3,5 Millionen in 2019 gesteigert.

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