Zu Besuch in Teisendorf
„Keine Hoffnung für uns und unsere Kinder“: Palästinenser Mohammed (42) über die „Hölle“ von Deheishe
Der Nahe Osten ist ein Pulverfass, nicht erst seit dem 7. Oktober 2023. Nur hat sich seitdem die Situation weiter zum Schlechten gewendet, mit wenig Hoffnung auf baldigen Frieden. Der kürzliche Besuch des Palästinensers Mohammed Fararja, der in einem Flüchtlingslager bei Bethlehem im Westjordanland lebt, bei Familie Spindler in Teisendorf bat Gelegenheit, etwas über seine Lebenssituation und die der Menschen dort zu erfahren. Der 42-Jährige schildert: Es war vorher schon dramatisch. „Jetzt aber ist es die Hölle.“
Teisendorf - Mohammed ist Moslem und arbeitet seit 2003 für die lutherische Kirche im Heiligen Land. Die Reise nach Deutschland erfolgte auf Einladung der lutherischen Kirche in Schnelsen, die für den 42-Jährigen während seines Besuches gebürgt hat, und auf Weisung des lutherischen Bischofs in Palästina Sini Asar. Inzwischen ist er wieder daheim bei seiner Familie im Flüchtlingslager Deheishe.
Er gehört dank seiner Nähe zur lutherischen Kirche zu den „privilegierten“ Palästinensern: Er hat (noch) ein, wenn auch geringes, geregeltes Einkommen und gute Freunde, wie die Familie Spindler, die ihn unterstützen. Seine Eltern stammen aus Beit Shems zwischen Jerusalem und Tel Aviv, das heute zu Israel gehört.
Anfangs lebten dort nur einige Tausend Bewohner
Als im Jahr 1948 der Staat Israel gegründet wurde, verloren auch sie, wie etwa 750.000 Einwohner des vormals britischen Mandatsgebietes Palästina, ihre Heimat. Viele der von Israel vertriebenen oder aus Panik vor der Gewalt bei der Staatsgründung geflohenen Palästinenser landeten im Westjordanland, das damals zu Jordanien gehörte. Bei Bethlehem entstand das Lager Deheishe, anfangs mit nur einigen Tausend Bewohnern. Heute leben dort auf einem Quadratkilometer 17.000 Menschen.
Mohammed ist wie alle seiner vielen Geschwister in Deheishe geboren. Bei der Geburt starb die Mutter und er kam in das katholische Waisenhaus „La Crèche“ in Bethlehem. Dort sind die Töchter der Barmherzigkeit des Heiligen Vinzenz von Paul, kurz Vinzentinerinnen, bis heute tätig. Auch Familie Spindler und ihre Freunde unterstützen die Einrichtung und haben sie schon öfter besucht. „Dort finden Kinder einen Platz, die von niemandem sonst gewollt sind“, sagt Barbara Spindler.
Haustürschlüssel bis zu seinem Tod aufbewahrt
Mit sechs Jahren müssen die Kinder das Waisenhaus verlassen. Der aufgeweckte Junge Mohammed wurde im Kinderheim der lutherischen Gemeinde aufgenommen. Er besuchte dort die Schule, machte eine Ausbildung zum Hotelmanager und hat dort auch Arbeit gefunden: als Sekretär und in der Leitung eines Gästehauses. Mit seiner Frau und den drei Söhnen Elias (8), Rajan (6) und Adam (4) lebt er im benachbarten Flüchtlingslager Deheishe.
Nach Beit Shems, die Heimat seiner Eltern und vieler Menschen im Lager, kann er niemals zurück. Obwohl es nur 35 Kilometer entfernt liegt, erzählt er. Eine Mauer trennt die alte von der neuen Heimat. Sein Vater hat bis zu seinem Tod den Schlüssel zu seinem Haus in Beit Shems verwahrt, immer in der Hoffnung auf eine mögliche Rückkehr. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte.
Fünf Monate alter Sohn war Tränengas ausgesetzt
Das Leben in dem engen, dichtbesiedelten Lager ist für alle Bewohner sehr schwer und belastend. Es herrscht die Angst und die Unsicherheit. „Wir leiden alle unter den Razzien der Besatzungsarmee, die meist früh am Morgen stattfinden. Dabei dringen Soldaten in das Lager und in die Häuser ein, brechen oft die Türen auf, durchsuchen und verwüsten alles, verängstigen Kinder und Erwachsene. Bewohner werden ohne Angabe von Gründen verschleppt und kehren erst nach Jahren zurück. Nicht selten werden vor allem junge Menschen auch getötet“, erzählt der 42-Jährige.
„Bei mir im Haus gab es bis jetzt drei solcher Razzien, bei denen alles auf den Kopf gestellt wurde. Mein Sohn Elias erlitt im Alter von fünf Monaten bei einem solchen nächtlichen Überfall, bei dem er Tränengas ausgesetzt war, einen dauerhaften Lungenschaden“. Mohammeds neun Brüder wurden alle bei solchen Aktionen geschädigt, verwundet oder in ein israelisches Gefängnis gesteckt.
Situation schon vorher prekär
„Das schlimmste ist die andauernde Unsicherheit und Rechtlosigkeit. Niemand weiß, wann es ihn trifft“, erklärt der Gast. Dazu kommt die eingeschränkte Versorgung mit Wasser und Strom. Einmal im Monat gibt es Wasser, das dann gleich in die Tanks auf den Dächern transportiert wird. Elektrischen Strom gibt es nur stundenweise.
„Die medizinische Versorgung ist prekär. Alles muss selbst bezahlt werden, das Geld aber fehlt.“ Das alles gibt es nicht erst seit dem Überfall am 7. Oktober 2023, den Mohammed als friedliebender Mensch klar verurteilt, sondern immer schon. „Jetzt aber ist es die Hölle“, sagt der Gast und zeigt Bilder, die das untermalen.
Auf der Suche nach Hoffnung
Seine große Sorge ist die um die Zukunft seiner drei Söhne. Wie soll er sie unter diesen Gegebenheiten zu friedfertigen Menschen erziehen? „Welche Zukunft können sie haben, wenn es keine Perspektiven auf Besserung gibt?“, fragt er. Und erzählt, dass die Kinder sich so sehr wünschen, den Zoo in Jerusalem zu besuchen. Sie haben es versucht, als Familie einen Ausflug dorthin zu machen. Am Checkpoint hat man sie nicht durchgelassen. Die Enttäuschung war groß.
Welche Zukunft können sie haben, wenn es keine Perspektive auf Besserung gibt?
Die Tage bei Freunden in Deutschland haben ihm wieder viel Kraft gegeben, trotz der mühsamen Hin- und Rückreise. Sie dauerte von Deheishe nach Deutschland jeweils mehrere Tage und ging über Jordanien, weil Palästinenser israelische Flughäfen nicht benutzen können. Zu den fünf Stunden Flug von Amman nach Frankfurt kamen das Warten und die Kontrollen an den Grenzen und mehreren Checkpoints. Wie Familie Spindler berichtet, ist Mohammad jetzt wieder gesund bei seiner Familie angekommen.
Leider muss er jetzt befürchten, seinen Job zu verlieren, denn im Gästehaus „Abrahams Herberge“ bleiben die Touristen aus und bei der lutherischen Gemeinde wird das Geld knapp. Die Hoffnung schwindet immer weiter. (kon)


