Die Legende vom versunkenen Käfer
Einheimischer brach mit VW im Königssee ein - unvorstellbarer U-Boot-Einsatz 30 Jahre später
30 Jahre nachdem ein betrunkener Einheimischer mit seinem VW-Käfer in den Königssees gestürzt war, wagte ein Biologe das schier Unvorstellbare und tauchte mit seinem Forschungs-U-Boot in die Tiefen des Sees hinab. Der Sohn des Biologen Sebastian Fricke und der Polizeihauptkommissar Stefan Scharf berichten über den damaligen Vorfall.
Schönau am Königssee – Kaum vorstellbar, wie lange es kalt gewesen sein muss, vor genau 60 Jahren: Der Königssee war Ende Januar komplett zugefroren, ein Berchtesgadener mit einem VW Käfer darauf in Richtung St. Bartholomä unterwegs - unerlaubt. Bei der Rückfahrt brach das Eis. Bis heute ist es das einzige Fahrzeug im Königssee. Mehr als 30 Jahre später besuchte Biologe Hans Ficke mit seinem Forschungs-U-Boot Jago den Grund des Sees.
„Nein, die Polizeiakte von damals existiert nicht mehr“, sagt Erster Polizeihauptkommissar Stefan Scharf auf Nachfrage. Scharf ist der Leiter der Polizeiinspektion in Berchtesgaden. Natürlich kennt der Dienststellenleiter die Geschichte von damals, auch wenn er damals selbst noch nicht geboren war. Scharf ist 47 Jahre alt.
Über den Vorfall mit dem VW Käfer geistern im Netz verschiedene Versionen herum, wie sich das tragische Unglück damals ereignete. Die Variante vom ortsfremden Besucher ist zumindest falsch. Auf der Suche nach der richtigen Version kann Polizeichef Stefan Scharf trotzdem behilflich sein. Viele im Ort haben die Geschichte von jenem damals 52-jährigen Autofahrer schon mal gehört, der im Januar 1964 nachts über den Königssee wollte. Der Nachtwächter der Königsseeschifffahrt verweigerte eine Überfahrt auf der Eisfläche des Königssees. Trotzdem fuhr der Salzberger über eine Böschung auf das Eis und nahm seine Fahrt über den mehrere Kilometer langen See auf - unter Alkoholeinfluss, wie es später heißt. Er wollte wohl seine Freundin am Ende des Sees besuchen, heißt es. Allerdings blieb der Versuch erfolglos. In St. Bartholomä traf er die Freundin nicht an - und kehrte wieder um.
Generell ist eine Überfahrt mit dem Auto verboten. „Heutzutage darf man den Königssee nur mit gesonderter Ausnahmegenehmigung überqueren“, sagt Stefan Scharf. „Eine offizielle Verkehrsstrecke ist das, selbst bei Eis, also nicht.“ Zumal der See im Nationalparkgebiet liegt. Die Ausnahmegenehmigung gilt etwa für die Wirtsleute auf der Halbinsel. Hinzu kommt: Der Königssee friert selten zu, das letzte Mal vor 18 Jahren. 2006 war die Eisdecke für Spaziergänger begehbar und freigegeben worden. Zehntausende Menschen kamen, um das seltene Naturereignis hautnah zu erleben.
Als der Käfer-Fahrer nachts die Rückfahrt antrat, sei er zwei Spaziergängern begegnet, die er mitnehmen wollte, weiß der Polizeichef. Diese beiden seien später Zeugen gewesen und hatten das Unglück aus der Ferne und bei Dunkelheit beobachtet. Das Duo wollte nicht bei ihm einsteigen, sondern den Weg weiter zu Fuß gehen.
Nach vorgefundenen Spuren kam das Auto auf Höhe des Nassen Palfen dann ins Schleudern. In der Nähe der Falkensteinerwand schlitterte der Käfer vom Eis direkt in den offenen See und ging unter. Bei den polizeilichen Ermittlungen wurde keine Eisabbruchstelle festgestellt. Das Auto war in die Tiefen des Sees geraten, mit ihm der 52-jährige Fahrer.
Die erste Sichtung des verunglückten VW-Käfers
Sebastian Fricke ist Dokumentarfilmer. Er hat im Regal noch den Auszug des Polizeiberichts von damals liegen, sagt er am Telefon. Fricke junior war oft auf Expeditionen unterwegs, mit seinem Vater. Er ist der Sohn von Hans Fricke, jenem Biologen, der erst mehr als 30 Jahre später das schier Unmögliche versuchte und mit seinem Forschungs-U-Boot Mitte der 1990er-Jahre zum Grund des Königssees tauchte. Mit dem gelben Tauchboot Jago unternahm er damals den Versuch, wissend, wo er abtauchen musste.
Das Polizeifoto von einst zeigte die Reifenspuren und damit die Stelle, wo der Volkswagen verschwunden sein musste. Auf YouTube gibt es einen mehrere Minuten langen Ausschnitt, der die erstmalige Entdeckung unter Wasser dokumentiert. Fast unversehrt stand das Fahrzeug mit einheimischem BGD-Kennzeichen zu diesem Zeitpunkt am Grund des Sees. Auf rund 100 Metern liegt im Königssee der Sauerstoffgehalt praktisch bei Null - keine Chance für Korrosion.
Der mittlerweile 82-jährige Biologe Fricke, der an der LMU München Honorarprofessor war, steht aufgrund gesundheitlicher Einschränkung für ein Interview nicht zur Verfügung, sagt Sohn Sebastian. Dieser hatte mal die Absicht, einen Film über das Unglück und die Expedition seines Vaters zu drehen, sagt er. Daraus sei aber nichts geworden.
Nach Frickes U-Boot-Expedition in den Königssee bestand von verschiedenen Seiten die Absicht, den Käfer irgendwann zu bergen. Das Vorhaben wurde nie umgesetzt. „Der Käfer liegt noch immer am Grund des Sees“, weiß Polizeichef Stefan Scharf. Und mit ihm sein Fahrer. Die Angehörigen hatten die Bergung der Leiche nicht veranlasst.
kp

