Ein Ort mit zwei Gesichtern
Sechs Jahre Bauzeit: ein Rundgang in der neuen Dokumentation Obersalzberg „Idyll und Verbrechen“
Elf Jahre hat es gedauert zwischen Idee und Fertigstellung: Viele Verzögerungen, Kostensteigerungen und Lieferschwierigkeiten später ist der Erweiterungsbau der Dokumentation Obersalzberg nun fertig - „endlich“, heißt es am Berg. Das größte Exponat: Mehrere hundert Meter Originalbunker. Leiter Dr. Sven Keller: „Es gibt keine offenen Baustellen mehr.“
Berchtesgaden - Schon Tage davor stehen immer wieder Spaziergänger vor den großen Panoramascheiben und versuchen ihr Glück, einen Blick ins Innere zu werfen. Mit wenig Erfolg. Die Scheiben verhindern einen Durchblick. Drinnen wartet die neue Dauerausstellung mit 350 Exponaten auf doppelt so großer Fläche (800 Quadratmeter) und modernster Technik. Der Obersalzberg gilt als Täterort. Orte und Landschaften tragen zwar keine Schuld in sich, aber Geschichte. Die Verantwortlichen wollen diese aufarbeiten.
Rundgang durch die Doku Obersalzberg




Der Berg wird noch immer von Rechten heimgesucht, bestätigt Historiker Sven Keller. Nicht wegen der Ausstellung, sondern etwa wegen Hitlers Berghof. An diesen erinnert zwar nur noch eine Mauer. Eingebunden in das Gesamtkonzept ist der Ort aber weiterhin nicht.
Kosten von mehr als 30 Millionen Euro
Mehr als 30 Millionen Euro hat die Doku, ein in den Hang gesprengter Lern- und Erinnerungsschauplatz, gekostet. Die Vorgängerausstellung: Sprengte in der Vergangenheit Besucherrekorde. Ende der 1990er-Jahre viel zu klein gebaut, kamen bereits in den ersten Jahren bis zu viermal so viele Menschen wie erwartet - rund 170000 pro Jahr. Am Ende zählten die Verantwortlichen 3,2 Millionen - Söder kam zum Gratulieren, später zum Spatenstich. Jetzt präsentiert er sich wieder als Wahlkämpfer für die Landtagswahl - eine Stunde lässt sein Zeitplan zu. Auf dem Parkplatz, wo das eigens aufgebaute Festzelt steht, müssen Handwerker alte Pflastersteine erneuern - alles soll perfekt wirken.
Schon vor Jahren hatte das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin (IfZ) in der Bevölkerung zur Suche nach Originalexponaten für den Neubau aufgerufen: Hitler-Zierkissen, Kinder-Gasbett, Fotoalbum. Die Historiker sind fündig geworden: Hunderte Exponate sind Teil der Dauerausstellung geworden, die vor allem durch multimediale Elemente glänzt. Viele Projektoren werfen Text-Infos an Wände. Sensoren erlauben die Bedienung von lichtgesteuerten „Knöpfen“. Auf einem übergroßen Medientisch, der in Kooperation mit dem Leibniz-Institut für Wissensmedien in Tübingen entwickelt wurde, lassen sich Propagandabilder von Hitlers Leibfotografen Heinrich Hoffmann aufwändig dekonstruieren. „Dieser Bereich bietet so viel Inhalt wie ein Buch“, sagt Sven Keller. Das Leitmotiv der neuen Ausstellung: „Idyll und Verbrechen“.
Obersalzberg als Hitlers Rückzugsort
Der Obersalzberg war im Nationalsozialismus zum Rückzugsort für Hitler geworden. Er rief hier seinen zweiten Regierungssitz ins Leben. Bewohner wurden vertrieben. Für den Bau der mehr als sechs Kilometer langen Bunkeranlagen und weiterer Maßnahmen kamen tausende Zwangsarbeiter zum Einsatz. Einige hundert Meter Bunker stehen nun der Öffentlichkeit zur Verfügung. Die Ausstellung zeigt die Geschichte des Obersalzbergs unaufdringlich, aber mit charakteristischer Formensprache und schräger Linienführung, die, ganz bewusst, Irritation hervorrufen soll: Auf dem Berg wurde Hitler einerseits als volksnaher “Führer” verehrt, andererseits traf er hier politische Entscheidungen, die zum Tod zahlloser Menschen führten. Sven Keller sagt: “Im Zentrum steht der Gegensatz zwischen der idyllischen Bergregion und den Tatorten der von hier aus betriebenen Mordpolitik.”
In der neuen Dauerausstellung werden viele Einzelschicksale behandelt: In Freilassing, Bad Reichenhall und Salzburg ließ Hitler Juden sowie Sinti und Roma verfolgen. Die Dokumentation zeigt dabei die Schicksale von Opfern nationalsozialistischer Ideologie - anhand von Bildern, Texten und Exponaten. Die Lebensläufe wurden oft über Jahre recherchiert. Schlüsselexponate leiten durch den zwar offenen, aber zusammenhängenden Raum ohne Zwischenwände. Es existieren mehrere Blickachsen auf das Zentrum der Ausstellung als Ziel. Die Durchgänge werden breiter, je weiter man sich nähert - dem im Mittelpunkt des Ausstellungsraums liegenden letzten Kapitel, den „Tatorten“ der NS-Verbrechen.
Die Austellungsgestalter arbeiten zudem die Zeit nach Hitler auf: Jahrzehntelang wurde Andenkenkitsch im Ort als souvenirwürdig gewertet. Berchtesgadens Umgang mit der eigenen Geschichte galt lange Zeit als fragwürdig. Die Haltung schwankte zwischen Vermarktung und Verdrängung. Ob Spazierstock mit Berghof-Motiv, Postkartensammlung oder Klickfernseher mit NS-Gebäuden - selbst in den 1970er-Jahren war das keine Seltenheit.
Seltenheitswert hat hingegen jene lebensgroße Madonna aus dem „Göring Train“, weiß Sven Keller. Sie war in einem Eisenbahnwaggon gefunden worden. Der Zug war voller Kunstwerke. Hitlers Komplize Hermann Göring wollte damit seine Kunstsammlung in Sicherheit bringen. Nun steht sie als Leihgabe auf dem Obersalzberg - geschützt von dickem Sicherheitsglas.
Die Dokumentation Obersalzberg ist ab Donnerstag (28. September) geöffnet. Einlass ist täglich von 9 bis 17 Uhr.
kp