„Kalte Schnauzen“ in Bergnot
Keine Menschen, sondern Tiere: Notrufe über Hunde beschäftigen Bergretter zunehmend
Berchtesgadener Land/Traunstein - Immer häufiger sind es Tiere, die in den Bergen Teil eines Rettungseinsatzes werden. Bergretter sind dann oft gefordert. Der Regionalleiter der Bergwacht Chiemgau, Alpinrechtsexperte Dr. Klaus Burger, spricht im Interview über Familienmitglieder mit „Kinderstatus“, für die sich Herrchen und Frauchen schon mal selbst in Gefahr begeben. Der Alpinretter ist selbst Hundebesitzer - und hat seinen treuen Begleiter in den Bergen verloren.
Rettungsgesetzlich ist die Bergwacht in Bayern nur für Personenrettungen zuständig. Wieso rücken die Einsatzkräfte trotzdem immer wieder bei Tieren, vor allem Hunden, in Notlagen aus?
Dr. Klaus Burger: Die Aufgaben und Zuständigkeiten der Bergwacht Bayern ergeben sich aus verschiedenen Rechtsquellen. Es ist richtig, dass die Bergwacht nach dem Bayerischen Rettungsdienstgesetz explizit für die Personenrettung zuständig ist. Von Aufgaben im Katastrophenfall mal abgesehen. Die Aufgabe Tierrettung lässt sich also rein aus dem Rettungsdienstgesetz nicht begründen. Tierrettungen sind aber als Rettungsaufgabe im Satzungsrecht der Bergwacht Bayern verankert. Das ist gut so.
Wieso?
Burger: Tieren in Not zu helfen, lässt sich bereits aus den Vorgaben des Tierschutzgesetzes ableiten, wonach niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf, auch nicht durch Unterlassen. Tiere sind Mitgeschöpfe. Deshalb ist jedermann im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren verpflichtet, Tieren bei vermeidbaren Schmerzen oder Leiden beizustehen. Auch die Feuerwehr oder die Polizei sind bei Tieren in Notlagen gefordert: Man muss nur mal an die Rettung von Hunden aus völlig überhitzten Fahrzeugen denken.
Betreibt die Bergwacht hier vor allem Marketing im eigenen Sinne - weil Medien und Konsumenten solche Geschichten lieben?
Burger: Absolut nicht. Richtig ist freilich, dass Medien Tierrettungen gerne erzählen - besonders die mit gutem Ausgang. Treuherzige Hundeaugen sind ein Blickfang, so ist das nun mal. Absolut nicht richtig ist es aber, dass wir Tiere retten, um Marketing zu betreiben. Erstens ist Tierrettung unsere Aufgabe, neben vielen anderen Herausforderungen. Zweitens: Tierrettung gehört sich. Und drittens hat die Presse einen rechtlichen Anspruch auf Auskunft. Tierrettungen sind offensichtlich Nachrichten wert.
Tierrettungen sind heutzutage keine Seltenheit mehr: Der Weg mit Hund in die Alpen wird allein schon mit etlichen Hundewanderführern, Info-Webseiten und Hundekursen für Bergsteiger geebnet. Ist das ein Problem?
Burger: Für die Bergwacht jedenfalls nicht. Die Hundeführerliteratur ist mittlerweile reichhaltig. Das ist Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, so schätze ich das zumindest ein. Wir wissen, dass es immer mehr Menschen in die Berge zieht. Ich behaupte, dass die Zahl der Hundebesitzer in Deutschland, Österreich, in der Schweiz oder auch in Südtirol tendenziell steigt. Da bleiben Notrufe über kalte Schnauzen in Bergnot nicht aus. Es gilt für uns, was für die Personenrettung gilt: Hilfe nach dem Maß der Notlage, ohne zu fragen, ohne zu bewerten und ohne zu urteilen.
Wo Hunde sind, sind auch Menschen…
Burger: Ja, in der Praxis ist es so, dass sich der tierische Notfall schnell zu einem menschlichen Rettungsfall entwickelt. Tiere und insbesondere Hunde sind doch Familienmitglieder mit „Kinderstatus“. Hundebesitzer versuchen, Tiere aus misslicher Lage zu befreien, und begeben sich oft selbst in große Gefahr. Das ist zumindest unsere Erfahrung.
In welcher Regelmäßigkeit finden entsprechende Einsätze statt?
Burger: Tierrettungen gab es in der Bergrettung in den Alpenländern schon immer. Richtig ist, dass in Bayern das Meldebild ‘Kalte Schnauze in Bergnot’ zunimmt. Ja, es ist richtig: Hunderettungen sind keine Seltenheit mehr. Deshalb haben wir auch mögliche Szenarien in die zentrale Aus- und Fortbildung unserer Einsatzleiter mit aufgenommen, um rechtlich handlungssicher zu sein. Die Rückmeldungen unserer Lehrgangsteilnehmer bestätigen, dass die Tierrettung im Gebirge und im unwegsamen Gelände in ganz Bayern virulent ist.
Im Berchtesgadener Land sind in den vergangenen Jahren etliche Hunde in teils spektakulären Einsätzen gerettet worden. Woran erinnern Sie sich besonders?
Burger: Meine Erinnerungen an Tierrettungen sind vielfältig: lustig, traurig, skurril und auch herzzerreißend. So erhielt ich nicht nur einmal spätabends Anrufe, dass Herrchen seinen Hund am Berg aus den Augen verloren hat. Der Familienfriede zuhause sei nun gestört, Frau und Kinder könnten nicht einschlafen. Was tun? Auch das ist Bergwacht. Persönlich liebe ich Tiere. Ich bin selbst seit langem Hundebesitzer, auch eine Katze wohnt bei uns. Hund und Katze vertragen sind erstaunlicherweise prima. Dramatisch war für mich, als mein Hund aus unerklärlichen Gründen am Berg abstürzte. Die Rettung zog sich hin, da parallel eine Personenrettung lief - und Personenrettungen Vorrang haben. Keine schöne Geschichte, und mit sehr traurigem Ausgang.
Ein streunender Hund, der im Gebirge ausbüxt: Begründet ein solcher ein Bergrettungsszenario, um die Bergwacht auf den Plan zu rufen?
Burger: Grundsätzlich gilt: Tiere sind Mitgeschöpfe, denen man in Notlagen beisteht. Freilich erfordert unsere organisierte Hilfe stets eine Notlage des Tieres. Streunende Hunde ohne Notlage begründen kein Bergrettungsszenario. Im Bergwald käme es dann zu einem Zielkonflikt mit dem Jagdschutz. Also: Kein Anspruch auf eine Tierrettung, wenn sich das Tier nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in einer Notlage befindet.
Wann ist eine Tierrettung denn rechtlich überhaupt vertretbar?
Burger: Es ist die Pflicht des Einsatzleiters, vorrangig Kräfte für Personenrettungen vorzuhalten und nicht Kräfte bei einer möglicherweise aufwendigen isolierten Tierrettung zu binden. Im Falle einer isolierten Tierrettung, also ohne Notfall des Begleiters, ist dann ein angemessenes Risikomanagement im Einsatz erforderlich. Anders ausgedrückt: Bei der Personenrettung gehen wir schon mal ans Limit, und manchmal auch darüber hinaus. Bei Tieren gestaltet sich die Güterabwägung anders, die roten Linien im Einsatz sind vorgelagert. Es ist aber nicht selten, dass sich der tierische Notfall zu einem menschlichen Notfall entwickelt. Sei es, Herrchen oder Frauchen begeben sich selbst ungesichert und überfordert in absturzgefährdetes Gelände. Oder aber sie sind wegen der Notlage des Tieres in einer psychischen Ausnahmesituation, mit eingeschränktem Urteils- und damit Handlungsvermögen. Dann handelt es sich vorrangig um eine Personenrettung aus hilfloser Lage: Eine unserer primär zugewiesenen gesetzlichen Aufgaben.
Bringen sich Herrchen und Frauchen oft selbst in Gefahr?
Burger: Ja, es gibt zahlreiche Beispiele. Nach der Alarmierung beobachten wir öfters, dass Hundebesitzer ihren noch sicheren Standort aufgeben. Besteht Telefonkontakt, was ja meistens der Fall ist, müssen wir nachhaltig einwirken, auf uns, also die Rettung, zu warten. Das klappt nicht immer. Neulich hatten wir eine Alarmierung über eine Tiernotlage, kurze Zeit später eine zweite Alarmierung über die Notlage des nun suchenden Hundebesitzers.
Wie schaut es bei der miauenden Katze auf dem Baum aus? Solche Tierbergungen gibt es doch immer wieder. Zurecht?
Burger: Ja, Notrufe über Katzen in luftiger Höhe bleiben nicht aus, übrigens auch bei Feuerwehren. Hier gilt aber nicht nur für die Bergrettung: Sich selbst nicht gefährden und zu hinterfragen, ob denn überhaupt eine Notlage des Stubentigers besteht. Oftmals ist das ja schon sehr fraglich. Für uns ist die miauende Katze auf dem Baum eigentlich kein Rettungsszenario, von krassen Ausnahmefällen mal abgesehen.
Wer kommt bei Tierrettungen am Ende für die Kosten auf? Sollten Bergbegeisterte den eigenen Vierbeiner hier speziell versichern?
Burger: Isolierte Tierrettungen sind Sondereinsätze und müssen von den Alarmierenden beziehungsweise den Tierhaltern bezahlt werden. Dies kommunizieren wir auch. Geld spielt dabei aber erfahrungsgemäß bei Herrchen oder Frauchen kaum eine Rolle. Wer mit seinem Vierbeiner regelmäßig am Berg unterwegs ist, sollte daran denken, sich mit versicherungsrechtlichen Fragen zu befassen. Berge ohne Abgrund sind nun mal keine Berge. Der Deutsche und der Österreichische Alpenverein bieten aktuell nun eine spezielle Hundebergeversicherung als optionale Zusatzversicherung für Alpenvereinsmitglieder an. Auch das bestätigt auf gewisse Weise die länderübergreifende Zunahme des Meldebilds „kalte Schnauze in Bergnot“.
kp

