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Glanz und Glamour im Gebirge

„Man braucht dicke Eier“ - Mo will als erste Berchtesgadener Dragqueen durchstarten

Im Gespräch: Morita Maschinella und Sebastian Brandstätter: Wunsch nach einer offenen Gesellschaft.
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Im Gespräch: Morita Maschinella und Sebastian Brandstätter: Wunsch nach einer offenen Gesellschaft.

„Für immer 29 Jahre“, sagt Morita Maschinella und lacht. Sie ist Berchtesgadens erste und bislang einzige Dragqueen. Mo ist zwar kein gebürtiger Berchtesgadener, lebt aber schon sein ganzes Leben im kleinen Örtchen. Für ihn war es schwierig, in die Rolle der mit viel Make-up versehenen Kunstfigur zu schlüpfen. Jetzt traut er sich. Sein großer Wunsch: Ein Christopher Street Day in Berchtesgaden. 

Berchtesgaden - „In Berchtesgaden braucht man dicke Eier“, sagt Morita Maschinella. Auf Instagram folgen ihr mehr als 1300 Leute. Dort präsentiert sich Mo ganz in seinem Element. Seit vergangenem Jahr schlüpft er in die Rolle der Kunstfigur: „Shine bright like a diamond“, steht unter seinem ersten Posting. Auf dem Bild hat sich Mo das erste Mal für die breite Öffentlichkeit in das Outfit einer Dragqueen begeben, inklusive Hashtag: #dragisnotacrime. 

Schwierige Schulzeit

Mo ist in Berchtesgaden zur Schule gegangen. Seine Jugendzeit sei keine einfache gewesen, gesteht er bei einer Podiumsdiskussion, dem „Queer Talk“, im Rathaus von Schönau am Königssee. Mo hat sich anders gefühlt, zumindest anders als die anderen. „Ich habe immer gerne mit Barbies und Puppen gespielt“, sagt Mo. Nicht jeder Junge kann das von sich behaupten. Sein Outing hatte Mo sehr spät, weil die Angst größer war - in einem kleinen Ort wie Berchtesgaden kann man schnell zum Gossip der anderen werden.

Mit 15 Jahren orientierte er sich nach Salzburg, 25 Kilometer entfernt. Wenn Berchtesgaden ein Kaff ist, ist Salzburg eine Großstadt - 7500 Einwohner gegen 150000 Einwohner. „Ich bin oft heimlich rübergefahren. Ein paar Stunden frei sein“, sagt Mo. Dort konnte er abends ausgehen, fand Freunde und Bekannte. Mo steht auf Männer.

Nachholbedarf für die Kirche

Die Rolle als Dragqueen hat er erst später für sich entdeckt: „Wieso sollen sich auch nur Frauen schön anziehen und in einen Rock schlüpfen dürfen“, fragt Mo. „Ich glaube nicht, dass Gott Hass schiebt auf Leute, die anders denken und anderes tun.“ In Sachen Kirche hat Mo einige Vorbehalte. Für Pfarrer und Co. gebe es noch viel Nachholbedarf, um jene Menschen zu erreichen, die die Glaubensgemeinschaft schon seit Langem verloren hat. Ein Pfarrer aus der Region hatte für die Veranstaltung abgesagt. „Weil er zu viele Beerdigungen hatte“, weiß Oskar Saitz, der sich als trans bezeichnet und im falschen Körper zur Welt kam.  

„Wir haben nun endlich eine Stimme“, freut sich Florian Niederseer aus Unken. Er kennt Mo schon länger. Im österreichischen Unken, knapp 30 Kilometer entfernt, hat sich bereits vor längerem eine queere Community gefunden. Mo hatte dort mal reingeschnuppert und Kontakt geknüpft: Seitdem entsteht ein deutsch-österreichisches Netzwerk queerer Menschen, die sich in der LGBTQIA+-Szene beheimatet fühlen und gemeinsam mehr Aufmerksamkeit einfordern. „Denn nicht nur unter Sozialpädagogen und Lehrern gibt es erfahrungsgemäß noch großen Nachholbedarf“, weiß Mo. 

Die, die lange Zeit auf der Suche nach der eigenen Identität waren oder noch immer sind, haben beim „Queer Talk“ am Königssee nun das erste Mal ein Podium. So auch Sebastian Brandstätter, der sein halbes Leben lang die Angst hatte, allein auf dieser Welt zu sein. „Ich habe dann Landflucht betrieben“, sagt der Mittzwanziger, der in Salzburg lebt. 

Mo aus Berchtesgaden schlüpft regelmäßig in die Rolle von Dragqueen Morita Maschinella. In seinem Heimatdorf Berchtesgaden hat der Rollentausch Premiere.

Morita Maschinella ist Mos Künstlername. Sein Dragqueen-Dasein konnte er in den vergangenen Monaten nur außerhalb ausleben. „Ich hatte bereits einige Auftritte“, sagt Morita, rotes Haar, Sonnenbrille, pinkes Oberteil. Das Laufen mit Absatzschuhen fällt Mo leicht. Er hatte viel Zeit, daheim zum Üben. Beim größten Event für queere Menschen im Bundesland Salzburg, dem Pride Festival, nahm Mo im vergangenen Jahr teil. Er posiert auf einem Bild mit Fächer im halboffenen Kleid vor einem Truck in Regenbogenfarben. Demnächst wird er bei einer Veranstaltung in Passau dabei sein.

In einem weiteren kurzen Clip auf Instagram zeigt er seine Vorher-Nachher-Verwandlung vor dem heimischen Spiegel. Stundenlang kann das Make-up bei der Verwandlung zu Morita Maschinella dauern - je nachdem, wie aufwändig es sein soll. Schminken bereitet ihm Freude. In der Firma, für die er arbeitet, wissen die Kollegen über das ungewöhnliche Nebenbei-Hobby Bescheid.

„Nicht gut“, sagt Morita Maschinella. Was sie meint: Heute sitzt der Haaransatz der Perücke nicht. Morita Maschinella ist das etwas peinlich. Es gibt aber einen guten Grund: „Es musste sehr schnell gehen, ich habe erst spät erfahren, dass ich hier einen Auftritt habe“, sagt die Dragqueen. 

In Berchtesgaden bekannt

Mo ist in seinem Heimatort Berchtesgaden durchaus kein Unbekannter mehr. Er ist seit vielen Jahren im Jugendbereich und bei der Organisation größerer Musik-Veranstaltungen tätig. Mo war damals selbst noch ziemlich jung, als er begann, sich gemeinsam mit und für andere Jugendliche zu engagieren. Das will Morita Maschinella auch künftig tun. Sie verfolgt „einen Traum“.

Als Dragqueen will sie irgendwann gutes Geld verdienen, „so viel, dass ich langfristig eine Auffangstation für Jugendliche in Berchtesgaden eröffnen kann“, sagt sie. Ihnen genau das zu bieten, was sie brauchen, was sie niemals hatten - so wie Mo selbst - sagt der Travestiekünstler. Ein „Lebenstraum“ wäre es für Morita Maschinella, wenn eines Tages eine Christopher-Street-Parade „durch mein Heimatdörfchen Berchtesgaden“ ziehen würde. Alle, die sich bislang nicht trauten, vereint auf der Straße. „Kommt raus und lebt“, sagt die Dragqueen. Mo ist froh, diesen Weg eingeschlagen zu haben.

kp

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