„Routine durchziehen und Ruhe bewahren“
„Oft fehlt der Blick fürs Gelände“: Bergwacht Marktschellenberg über Unfall-Ursachen im Bergwinter
Die heimische Bergwacht ist auch im Winter bei zahlreichen Einsätzen in den Alpen gefordert. Doch woran liegt es, dass die Unfälle überhaupt passieren? BGLand24.de hat bei der Bergwacht Marktschellenberg nachgefragt.
Marktschellenberg - Ein Unfall in den Bergen kann selbst dem besten Alpinisten passieren. Doch meist sind die Ursachen schnell klar: Selbstüberschätzung, fehlendes Wissen, Falscheinschätzung und dann Erschöpfung.
An der Ausrüstung fehlt es nicht - Unfälle in den winterlichen Alpen
An der Ausrüstung fehlt es schon länger nicht mehr. Da sind sich Franz Wembacher, der Bereitschaftsleiter der Bergwacht Marktschellenberg, und sein Vorgänger Martin Wagner einig. „Früher hatten wir da mehr Probleme, aber mittlerweile ist der Bergsport ja modisch geworden. Es sind also nicht mehr so viele nur mit Schlappen unterwegs“, so Wembacher. Teilweise haben die Bergsteiger mehr Ausrüstung dabei als eigentlich für die Tour notwendig, erklärt Wagner.
Nur gelegentlich kommt es noch vor, dass es doch an Ausrüstung fehlt. Einmal ging etwa eine ältere Dame mit Turnschuhen auf den Berg und „beim Bergabgehen hat sie sich dann nicht mehr runtergetraut“, so Wembacher.
Oft fehlt „der gewisse Blick fürs Gelände“
Oftmals fehlt den Wanderern „der gewisse Blick fürs Gelände“ und auch der richtige Zeitpunkt zum rechtzeitigen Umdrehen wird oft übersehen. „Wichtig wäre die Tourenvorbereitung“, so Wagner. „Ich habe schon oft erlebt, dass die Leute nicht mal wissen wo sie sind.“ Eigentlich gibt es mittlerweile eine Notruf-SMS, „das sendet den Standort automatisch zurück“, aber viele kennen oder können dies nicht ausführen. „Und die kann man dann nicht mal orten. Eine allgemeine Orientierung im Gelände wäre deswegen nicht schlecht“, so Wagner.
Auch wenn viele Handyapps mit Wanderkarten immer besser werden, stimmt auch mal der Weg mit den GPS Daten nicht ganz überein. „Aber im Gebirge machen zwei, drei Meter neben dem Weg einen Unterschied. Dann wird es irgendwann finster und man kommt nicht mehr weiter“, fügt Wembacher hinzu.
Der Klassiker unter Bergwachteinsätzen
Der „Klassiker“ bei Bergwacht-Einsätzen ist „eine Mischung aus allem“: „Da ist man nach dem Aufstieg schon völlig geschwächt und kommt in ein Gelände, dem man nicht mehr gewachsen ist. Dann möchte man die Bergwacht nicht anrufen, geht weiter, stürzt ein paar Meter ab und dann dauert es noch länger, bis man gefunden wird“, so Wagner. Und oben drauf „hat man nicht mal die richtige Kleidung dabei“. Der Klassiker mit einer Mischung aus Selbstüberschätzung und Fehleinschätzung.
Eisige Verhältnisse und Lawinengefahr beurteilen
Bei einem kürzlichen Einsatz ist ein Skifahrer auf einer Eisplatte ausgerutscht und hat sich verletzt, erzählt Wembacher. „Gerade wenn es eisig wird, kommt man noch ganz gut den Berg hoch, aber halt nicht mehr zurück“, so Wagner. Wichtig sei es deswegen, bei eisigem Untergrund rechtzeitig umzudrehen. Auch die Schattenseiten der Berge sollte man deswegen nicht unterschätzen.
Auf der Sonnenseite muss allgemein die Lawinenlage beachtet werden, erklärt Wagner. Die Nordseite sei nicht so die Problematik. Im steileren Gelände kommt es jedoch zu Rutschungen. Der Lawinenlagebericht sagt dabei schon viel aus. Doch um sicher am Berg unterwegs zu sein, „muss man ein gutes Gefühl haben oder eine Ausbildung machen“, so Wembacher. Auch das Wissen zur Lawineneinschätzung und der Verschüttetensuche ist ein riesiger Ausbildungskomplex. Um eine LVS-Ausbildung kommt ein Wintersportler nicht drum rum, um sicher im verschneiten Gelände unterwegs zu sein.
Lawingenabgang und Verschüttetensuche: Routine und Ruhe bewahren
Doch was mache ich, wenn jemand von einer Lawine verschüttet wird? „Wenn man allein ist, dann so schnell wie möglich einen Notruf absetzen, auf laut lassen, das LVS-Gerät einschalten und loslegen. Dabei rennt man grob in die Richtung, woher das erste Signal kommt“, so Wagner. „Wenn man die Suche noch nicht geübt hat, sollte man sich auf einen Schritt konzentrieren. Also erst ein sauberer Notruf, wo die Lage so gut wie es geht beschrieben wird, wie viele Leute verschüttet sind und die Rückrufnummer angeben. Das ist das wichtigste. Dann folgt die sauber Grob- und Feinsuche.“
Wichtig ist dabei, die Routine durchzuziehen und Ruhe zu bewahren. „Das können ja auch die eigenen Freunde oder die Partnerin sein. Da muss man sich am Riemen reißen. Die Routine macht es da eigentlich aus. Das sehen wir auch im Dienst. Da läuft dann das Schema ab und man kann nebenbei auch noch denken. Wenn das nicht geht, dann vergisst man etwa, dass da noch fünf Leute im absturzgefährdeten Gelände stehen. Die gehören da aber weg und gleichzeitig muss man reanimieren. Das muss beides auf einmal gehen“, erzählt Wagner.
Und wo stecke ich mein Handy ein, ohne das LVS-Gerät zu stören? In die Deckeltasche des Rucksacks oder noch besser die seitliche Tasche am Oberschenkel. So ist der Notfall-Anruf griffbereit.
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