Kläger-Anwalt lehnt Vorsitzende wegen Befangenheit ab
Ortsumfahrung Laufen: Erster Verhandlungstag am Verwaltungsgerichtshof enttäuschend für Kläger
Am ersten Verhandlungstag zur Laufener Ortsumfahrung am Verwaltungsgerichtshof München lief fast alles gegen die acht Kläger und ihren Anwalt Dr. Wolfgang Patzelt.
München/Laufen - Wollte man die Sache mit einem Fußballbild darstellen, so stand es bereits 8 : 0 für Straßenbauer und Regierung, als die Vorsitzende Richterin erstmals einen Punkt im Verfahren entdeckte, der für die Klägerseite sprach. Unabhängig vom Inhalt dessen knapp 300-seitiger Klageschrift lehnte Vorsitzende Judith Müller vieles mit dem Argument ab, es sei nicht ausreichend dargelegt und substantiiert oder schlicht nur behauptet. Selbst deren Sachverständigen Dr. Martin Vieregg stellte sie kein gutes Zeugnis aus. Am Ende eines langen Verhandlungstages platzte Klägeranwalt Patzelt schließlich der Kragen: Er stellte einen Befangenheitsantrag gegen die Vorsitzende.
Der Sitzungssaal 1, genutzt vom 8. Senat, war am vergangenen Freitag voll besetzt. Die Kläger gegen die geplante Ortsumfahrungsvariante 4 waren fast alle anwesend, dazu weitere Gegner dieser „Naturlandtrasse“. Die führt westlich um Laufen herum, an Froschham, Oberheining und Daring vorbei hinunter an die bestehende B 20 bei Niederheining. Das Staatliche Bauamt Traunstein war mit vier Vertretern plus Diplom-Biologen und Bau-Ingenieur dabei. Die Regierung von Oberbayern vertrat Oberregierungsrat Timm Guggenberger und Oberlandesanwalt Marcus Niese, gleichsam als Gegenspieler von Klägeranwalt Dr. Wolfgang Patzelt. Sie alle schleppten Kisten und Schachteln voller Akten ins Gericht.
Klageschrift wurde auseinandergenommen
Gegenstand der Verhandlung war Patzelts umfangreiche Klageschrift; die wurde von den drei Richtern Stück für Stück auseinandergenommen. Ein wesentlicher Inhalt der Klage: Die unterlassene Verfahrensverbindung mit der Bahn. Hier mochte Müller den „räumlichen Zusammenhang“ der Trasse 4 mit der Bahn nicht erkennen: „Sie können unabhängig voneinander geplant werden.“ Anders wäre es beispielsweise, wenn Gleis und Straße durch denselben Tunnel müssten. Mit Blick auf das Bündelungsgebot, den Kosten und möglichen Synergie-Effekten widersprach Patzelt deutlich: „Wo, wenn nicht hier?“
Dr. Martin Vieregg als Sachverständiger der Klägerseite erinnerte an die früheren Varianten 1 und 5 und einer möglichen gemeinsamen Planung „aus einem Guss“. Doch hier sei das Kind schon bei der Planung in den Brunnen gefallen. Dem Einwand von Oberlandesanwalt Niese, die zwei Vorhaben träfen „örtlich und zeitlich nicht aufeinander“, widersprach Patzelt: „Seit 2008 gab es Gespräche mit der Bahn.“ Vieregg betonte, dass es „in Laufen so laufen könnte“ wie in Dorfen: „Eine gemeinsame Planung und alles in einen Graben legen.“
Gutachten lauft Richterin „laienhaft“
Zur von Patzelt monierten „Abweichung vom vordringlichen Bedarf im Bundesverkehrswegeplan“, erklärte Müller die verschiedenen Schritte von Bundesverkehrswegeplan, Straßenbedarfsplan und Fünf-Jahres-Plan, der schließlich in ein Gesetz und dem Niederschlag im Bundeshaushalt münde. So führt laut Müller auch dieses Klägerargument „ins Leere“. Gleiches galt für Verkehrsentwicklung und Kosten, für die Patzelt festgestellt hatte, dass im Jahr 2020 Zahlen aus 2017 verwendet worden waren. Viereggs Verweis auf den „Internetauftritt des Bundesverkehrswegeplans“ zerpflückte Müller: Im Internet stehe lediglich ein Projekt-Informationssystem, und Zahlen zur Verkehrsbelastung gebe es im Bundesverkehrswegeplan gar nicht. Ein solches Gutachten werfe kein gutes Licht auf den Verfasser, es sei „laienhaft“.
Veraltete Grundlagen zu Natur und Artenschutz
Beim Thema Natur und Artenschutz räumte die Vorsitzende erstmals ein: „Hier sieht es besser für sie aus.“ Denn nicht zu Unrecht verweise der Anwalt auf veraltete Daten und Grundlagen. Urteile des Bundesverwaltungsgerichts mussten an diesem Tag geschätzt ein Dutzend Mal herhalten. Eines davon nennt einen Fünf-Jahres-Zeitraum als maximalen Abstand einer naturfachlichen Bewertung. „Wenn das nicht ausreicht, das Ding aufzuheben, dann verstehe ich die Welt nicht mehr“, kommentierte Patzelt diesen Umstand.
Die Vorsitzende räumte Diplom-Biologen Klaus Demuth daraufhin eine umfangreiche Darstellung all jener Bestandaufnahmen, die er innerhalb von 13 Jahren gemacht hat. Er betonte: „Vor Terminen hat es immer eine Plausibilitätsprüfung gegeben.“ Und vor dem Erörterungstermin Ende 2018 eine Drohnen-Befliegung. Bei der Darstellung der wertvollen Hangleite nahe Niederheining, widersprach Kläger Otto Wittscheck sowohl beim Abstand als auch beim Zustand des alten Buchenwaldes.
„Liebevoll erzählt“, merkte Patzelt zu Demuths Vortrag süffisant an, doch habe der „keinerlei Relevanz“. In mündlicher Verhandlung würden von Behördenseiten „Sachen aufgetischt“. Als wollte er den Klägeranwalt bestätigen, verteilte Niese ein vierseitiges Schriftstück, das die Begehungen dokumentieren sollte. „Da ist ja nicht mal eine Unterschrift drauf“, kommentierte Patzelt diese „Frechheit“. Würde er so handeln, er flöge wohl sofort raus. Das Gericht räumte dem Beklagten, also dem Bauamt und der Regierung ein, das Nötige bis zum Termin am 28. April 2023 nachzureichen.
Klageschrift nicht gründlich genug ausgearbeitet?
Relativ einig waren sich Klägeranwalt und Richterin in einem: den Anforderungen an die Beteiligten. Während Patzelt anmerkte, er habe den knapp zweihundertseitigen Planfeststellungsbeschluss über Weihnachten in der geforderten Zehn-Wochen-Frist bearbeiten müssen, klagte Müller, dass sich solche Planfeststellungs-Verfahren für das Gericht „an der Grenze der Überforderung“ bewegten. Dazu noch die „katastrophale“ elektrische Akte, die lediglich für „die Justiz“ sinnvoll sei. Eine weitere Kritik am Kläger folgte auf dem Fuß: „Sie haben sich unglaubliche Mühe gemacht“. Doch nur die Anfangsstrecke der 288 Seiten sei gut, dann aber folgten Überlegungen und „viele pauschale Verweise“ zu Planung, Planfeststellungsbeschluss und Sachverständigen-Gutachten.
Diesen Vorwurf, sich nicht intensiv mit der Sache befasst zu haben, wollte Patzelt nicht hinnehmen. Er spekulierte, man wolle ihm hier „einen Strick draus drehen.“ Ein ergänzendes Sachverständigen-Gutachten sei in der Zehn-Wochen-Frist jedenfalls nicht zu machen. Doch Müller setzte ihre Kritik fort: „Behauptungen ins Blaue“ nannte sie Patzelts Darstellung bahnnaher Gebäude als „Schwarzbauten“ oder zumindest „planabweichend gebaut“. Das gehe zu weit, weil Behörden daraufhin einen „Wahnsinnsaufwand“ hatten betreiben müssen. Unabhängig vom Zustand dieser Gebäude: „Eigentum bleibt Eigentum.“
Scharfe Kritik der Richterin
Bei Patzelts Behauptung, die Alternativ-Variante 2a sei bewusst schlecht geplant worden, reagierte Müller in erster Linie auf unrichtige Begrifflichkeiten. So habe es sich bei einer Umweltverträglichkeitsprüfung aus dem Jahr 2007 eben nicht um eine „Planung“ gehandelt. Bei dieser Gelegenheit räumte die Vorsitzende gleich mit einem im langen Verfahren hundertfach verwendeten Begriff auf: „Bei Ortsumfahrungen gibt es kein Linienfindungsverfahren.“ Zur Erinnerung: Eine 2a ginge westlich der Bahn entlang, um den Friedhof herum und dann durch den Wald die Bahn kreuzend südlich von Mayerhofen zur B 20.
Der Klägeranwalt beharrte weiter auf differierende Anforderungen im Variantenvergleich. Nicht zuletzt habe man den Wert der Grundstücke sehr unterschiedlich berechnet, was sich bei vier gegenüber acht Millionen im Kostenvergleich enorm auswirke. Richterin Dr. Irene Steiner, die Müller mehrfach unterstützte, hielt Patzelt vor, „selber zu planen“, dabei gehe es nur um den Vergleich der Varianten 4 und 2a. Auch hier bemängelt Müller: „Eine Wiedergabe der Einwände aus dem behördlichen Verfahren ist keine Auseinandersetzung mit der Planfeststellung.“ – „Was soll ich denn noch schreiben?“, fragte ein verärgerter Anwalt, habe er doch auf zehn Seiten „jede Position detailliert dargestellt“. Nach Müllers Anwurf von „Copy-and-Paste“ reagierte Patzelt genervt: „Jetzt überspannen sie den Bogen“. Wenig später deutete er erstmals einen Befangenheitsantrag gegen Müller an.
„Hätte nie genehmigt werden dürfen“
Klare Worte fand die Vorsitzende beim Thema Wasser, denn die Trasse 2a führt durch ein im Flächennutzungsplan als Wasserschutzgebiet ausgewiesenes Areal südlich des Friedhofs und westlich der Bahn. „So was hat Bindung für alle Vorhabensträger.“ Müller verwunderte, dass dieser Umstand in der Planfeststellung nur als „geringer Vorteil“ für die Trasse 4 gewichtet worden war. Aus ihrer Sicht „hätte 2a nie genehmigt werden dürfen.“
Etwas „ungünstiger“ schnitt die Außenvariante 4 bei den Umweltauswirkungen aus. Die 4 hat eine Länge von 4,8 Kilometer, 2a nur 4 Kilometer. Der Einschnitt in die wertvolle Hangleite wird bei 4 mit 4800 Quadratmeter, bei 2a mit 2270 Quadratmeter angegeben, anderseits würde bei 2a ein Waldgebiet durchschnitten. Müller sprach dann bei den Lärm-Immissionen selbst vom „ersten Einwand, den wir für berechtigt halten“. Aus Patzelts Sicht „fehlerhaft“, weil veraltete Prognosen und Einwohnerzahlen von 2014 herangezogen worden seien. „Probleme mit der Logik“ erkannte hier Richterin Steiner. Wenn man von Regierungsseite einerseits schreibe, Laufens Innenstadt zu entlasten, andererseits bei Nummer 4 sei die Belastung am geringsten, vergleiche man „Äpfel mit Birnen“.
Oberstaatsanwalt Niese räumte diesen Fehler ein: „Es ist uns selbst aufgefallen.“ Man werde hier „nachbessern“. Auch dazu übergab der Vertreter des Freistaates ein Blatt mit einem „neuem Absatz“. Dagegen und gegen den Umstand, dass das Gericht dem Beklagten „Tipps“ gebe, wie ein fehlerhafter Planfeststellungsbeschluss zu „heilen“ sei, „wehrte“ sich Patzelt und formulierte endgültig seinen Befangenheitsantrag. Während seine „Argumentationskette“ und sein „Abgleich mit dem Planfeststellungsbeschluss“ als „bloßes Zitieren“ gesehen werde, gebe man in dieser mündlichen Verhandlung der Beklagtenseite Gelegenheit, ausführlich Stellung zu nehmen, ohne dass entsprechende Unterlagen in der Planfeststellungsakte vorlägen. Patzelts Eindruck nach vielen Stunden: man sei hier „chancenlos“.
Ohne eine Entscheidung über den Befangenheitsantrag beendete Judith Müller gegen 18 Uhr diesen ersten Sitzungstag. Der gefühlte „Spielstand“ an diesem Punkt: 15 zu 2. Am kommenden Freitag sollen die einzelnen Klagen der Grundbesitzer behandelt werden.
Hannes Höfer