Brutale „Abreibung“ in Reichenhaller Kaserne
Gebirgsjäger traktierten ausscheidenden Kameraden – jetzt stehen sie vor Gericht
Was als feuchtfröhlicher Abend in der Reichenhaller Gebirgsjägerkaserne begann, endete jetzt in Laufen vor Gericht. Ein knappes Dutzend Gebirgsjäger hatten einen Kameraden über einen längeren Zeitraum traktiert, aus dem Stockbett gerissen, gefesselt, einen Sack über den Kopf gestülpt und schließlich in die Dusche gesetzt. Gefährliche Körperverletzung mit Freiheitsberaubung lautete die Anklage gegen Soldaten aus Hessen und Franken.
Bad Reichenhall - Ein Stabsgefreiter soll bei reichlich Bier und Schnaps erwähnt haben, dass ein Kamerad die Truppe verlassen will. Was sich dann über zwei Stunden entwickelte, beschrieben die beiden Angeklagten als „gruppendynamisches“ Geschehen. Gegen 22 Uhr war man erstmals zu dem erkrankten Kameraden in die Stube gegangen und hatte ihm Bettzeug und Matratze entrissen.
Um Mitternacht erfolgte schließlich ein dritter Besuch. Diesmal hatten die Angeklagten ihren Kameraden vom Hochbett gerissen, so dass der schmerzhaft aufs Steißbein krachte. Anschließend fesselten sie ihn mit Panzertape, stülpten ihm einen Sandsack über den Kopf und trugen ihn in den Waschraum, wo sie ihr Opfer unsanft in die Dusche setzten und das Wasser aufdrehten. Von einer Erkältung geschwächt, wehrte sich der junge Mann irgendwann nicht mehr.
Die Angeklagten beteuerten, der Kamerad habe sich schon nach wenigen Minuten selbst befreien können. Bekannt wurden die Taten, weil ein neuer Gefreiter ein Video erstellt und geteilt hatte. Eine Reaktion der Bundeswehr folgte prompt. Man zog die Beteiligten sofort von der Ausbildung ab, nahm allen die Telefone ab, separierte sie und befragte sie in „harschem Ton“, wie der Franke schilderte.
Beide Angeklagte hatten kurz zuvor einen Antrag auf eine vierjährige Verpflichtung als Zeitsoldat gestellt. Der hatte sich mit diesen Taten erledigt. Was folgte, war die vorzeitige Entlassung aus dem Dienst, dazu kam ein Disziplinar-Bußgeld von 1500 Euro und der Entzug eines Entlassungsgeldes in Höhe von 2300 Euro. „Ich habe das jeden Tag bereut und bin selbst in eine Depression gefallen“, versicherte der heute 21-jährige Franke. Der 20-jährige Hesse hatte einen Entschuldigungsbrief an den Kameraden geschickt, da der ein Zusammentreffen und den angebotenen Täter-Opfer-Ausgleich abgelehnt hatte. Er war auch nicht zum Gericht gekommen.
„Diese Abreibung ist aus dem Ruder gelaufen“, fasste Staatsanwältin Karin Hahn den Abend zusammen. Reichlich Alkohol wollte sie nicht als Entschuldigung werten, doch Einsicht und Reue nahm sie beiden Angeklagten ab. „Sie machen hier einen anständigen Eindruck.“ Glücklicherweise habe ihr Opfer keine bleibenden Verletzungen erlitten, wenngleich Richter Christopher Lang von psychischen Folgen dieser Demütigung sprach.
Eigentlich, so räumte die Verteidigerin ein, sollte man bei der Bundeswehr „Werte hochhalten“. Motto: „Einer für alle …“ Einig waren sich alle Beteiligten, die beiden zur Tatzeit Heranwachsenden nach Jugendstrafrecht zu verurteilen. Entsprechend ihres derzeitigen Ausbildungsgehalts hat der Franke 1000 Euro an die lokale Kinderkrebshilfe, der Hesse 800 Euro an den Kinderschutzbund zu zahlen. Im Erwachsenenstrafrecht läge die Mindeststrafe bei sechs Monaten. Das Verfahren gegen einen dritten Beteiligten war eingestellt worden. Weitere Anklagen gibt es nach Auskunft der Staatsanwältin nicht. (höf)