„Bauen finanziell fast nicht mehr möglich“
Wohnbauwerk Berchtesgadener Land feiert Jubiläum: Geförderter Wohnraum in der Krise?
Als das Wohnbauwerk im Landkreis Berchtesgaden vor genau 75 Jahren gegründet wurde, war die Bauleistung enorm. Der größte Vermieter des südöstlichsten Landkreises der Republik baute damals 88 Wohnungen pro Jahr – ganze zehn Jahre in Folge. 863 Wohnungen entstanden. Heutzutage kann Geschäftsführer Florian Brunner von solchen Zahlen nur noch träumen.
Bischofswiesen – Vier Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs war der Beschluss gefasst: Eine eigene Wohnungsbaugesellschaft sollte gegründet werden: „Zur Förderung des Wohnungsbaus und zur Arbeitsbeschaffung für die vielen Arbeitslosen des Landkreises“, heißt es im Geleit des damaligen Landrats im Jahresheft zum zehnjährigen Bestehen der später in Wohnbauwerk Berchtesgadener Land umbenannten Einrichtung. Im Gesellschaftsvertrag heißt es, der Zweck der Gesellschaft sei „vorrangig eine sichere und sozial verantwortbare Wohnungsversorgung der breiten Schichten der Bevölkerung“.
„Das war damals eine unglaubliche Aufbauleistung“
Nach dem Krieg nahm der ehemalige Landkreis Berchtesgaden viele Vertriebene und Flüchtlinge auf. Waren es 1933 noch 28700 Einwohner, so zählte der Landkreis nach Beendigung des Krieges – im Jahr 1946 - 54300 Einwohner. Durcheinandergebracht war also das Grundbedürfnis „Wohnraum“.
Der damalige Landrat, Theodor Jacob, hatte die Situation zwar richtig eingeordnet, er ahnte damals aber nicht, dass innerhalb einer Dekade rund 900 Wohnungseinheiten entstehen würden. So viele wie danach nie mehr wieder. „Das war damals eine unglaubliche Aufbauleistung“, sagt der aktuelle Geschäftsführer Florian Brunner. „Da gab es keine großen Bagger, keine großen Kräne. Alles wurde mit Holzgerüsten bewerkstelligt.“
Mehr als 3500 Bürger fanden in den hunderten von neu errichteten Wohnungen Platz. 15 Millionen Mark wurden in die Häuser samt Wohnungen investiert, die den Leuten ein Dach über dem Kopf bescheren sollten. Die bestehende Arbeitslosigkeit war einem „ausgesprochenen Arbeitskräftemangel gewichen“, schrieb der Landrat als Fazit.
Das Geld ist knapp wie nie
Heutzutage hat sich die Situation gewandelt: Das Geld ist knapp wie nie, ebenso der Arbeitskräftemangel. Die Wohnungsnot verschärft sich zusehends. Dank Sozialraumanalyse weiß man: Das Problem wird sich im nächsten Jahrzehnt noch deutlich verschärfen. Die Bürgermeister des Landkreises wissen: Wohnraum zu schaffen, ist herausfordernd, vor allem für jene mit durchschnittlichem Einkommen. „Bauen ist unglaublich teuer geworden und fast nicht mehr möglich“, sagt auch Florian Brunner, Geschäftsführer des Wohnbauwerks Berchtesgadener Land, und damit der größte Vermieter geförderten Wohnraums.
Vor sechs Jahren baute das Wohnbauwerk den geförderten Quadratmeter noch für unter 3000 Euro. Heutzutage liegt man bei rund 5000 Euro. Vermietet wurde damals der Quadratmeter für 8,50 Euro. “Heute brauchen wir bei einem Neubau 13 Euro.”
Die Gesellschafter des Wohnbauwerks sind der Landkreis, die Gemeinden und die Kreisstadt Bad Reichenhall. Mit knapp 40 Prozent ist der Landkreis beteiligt, 30 Prozent fallen auf die Marktgemeinde Berchtesgaden. Die restlichen 30 Prozent teilen sich die Gemeinden Bischofswiesen (7,2 Prozent), Piding (6,8), Schönau am Königssee (4,4), Bad Reichenhall (3,3), Ramsau (2), Bayerisch Gmain (2), Anger (1,7), Schneizlreuth (0,9) sowie Marktschellenberg (0,8).
Wohnbauwerk Berchtesgadener Land hat große Bedeutung im Landkreis
Mit aktuell rund 1200 Wohneinheiten basiert der Großteil der Wohnbauwerk-Häuser auf einem mittlerweile modernisierten Altbestand. So stammen etwa die Wohnhäuser an der Königsseer Straße aus den 1950er-Jahren. Der Ortsteil Winkl in Bischofswiesen ist in dieser Zeit entstanden. Auch in Piding wurden damals Wohnhäuser errichtet, die es heute noch gibt. „Der Bestand aus der Gründungsphase ist weitestgehend erhalten“, sagt Florian Brunner.
Das Wohnbauwerk Berchtesgadener Land hat durchaus große Bedeutung im Landkreis. Während auf dem freien Markt teils horrende Quadratmeterpreise von Mietern abverlangt werden, ist geförderter Wohnraum noch deutlich günstiger. Allerdings ist die Warteliste so lang wie noch nie. Mehr als 550 Personen stehen bei Brunner auf der Liste. Diese abzuarbeiten: schier unmöglich. Dass der geförderte Wohnungsbau nicht besser da steht, gilt mitunter als Versäumnis der Politik. „In den 1960er- und 1970er-Jahren war in Deutschland die Aufbauphase. Ein Jahrzehnt später wurde es ruhig“, sagt Brunner. In den 1990ern brach der Bauträgermarkt zusammen. „Es waren genug Wohnungen vorhanden“, sagt Brunner. Damals musste das Wohnbauwerk hohe Millionensummen in Sanierungen und Modernisierungen stecken, die bis in die 2000er-Jahre liefen. „Wir haben damals all unsere Wohnungsbestände, die teilweise noch mit Einzelöfen ausgestattet waren, generalsaniert.“ Als Brunner vor 15 Jahren Geschäftsführer wurde, rechnete man bei einer Generalsanierung eines Quadratmeters Wohnung mit 1200 Euro. Vor vier Jahren hat Brunner in Piding Wohnungseinheiten für eine deutlich höhere Summe von 2200 Euro generalsaniert. „Heute liegen wir kalkulatorisch bei 3500 Euro – im Bestand, und das pro Quadratmeter.“ Wenn die Kosten einer Sanierung sich dem Neubau annähern, laufe etwas falsch. Dass da dann nicht mehr viel möglich ist, weil die finanziellen Mittel sowieso an allen Ecken und Enden fehlen, sei jedem einleuchtend.
Noch vor 20 Jahren, weiß Brunner, lagen die klassischen Rohbaugewerke bei einem Kostenanteil von rund 65 Prozent. Die Ausstattung schlug mit rund 30 Prozent zu Buche: Technik, Heizung, Elektrik. „Das hat sich nun fast gedreht“, beschreibt Brunner den Wandel. Er macht damit auch klar, dass die Nachfolgekosten heutzutage deutlich höher ausfallen als früher. Als Beispiel nimmt er einen Aufzug. Wo früher keiner war, fordern heutzutage jährliche Prüfungen und Modernisierungen finanzielle Nachfolgekosten. „Jedes Haus hat eine Lüftungsanlage. Die Betriebskosten sind heute deutlich teurer als früher“, so Brunner. Der Trend, den viele schon seit Längerem fordern: „Back to the roots“, zurück zu den Wurzeln. Weniger Technik, weniger Auflagen, lieber mal auf etwas verzichten. Das könnte die Kosten des Bauens deutlich senken, weiß der Leiter des Wohnbauwerks. Klar ist: Die Häuser von einst stehen auch heute noch. Die Bausubstanz aus den 1950er-Jahren gilt als beständig.
Brunner weiß um die Komplexität eines Neubaus bestens Bescheid. In den vergangenen Jahren sind mehrere Projekte in Bischofswiesen und Piding verwirklicht worden. In Berchtesgaden plant sein Team ein Generationenwohnen mit rund 60 Einheiten im Ortsteil Nonntal. Mehr als 25 Millionen Euro wird es kosten. „Wir hatten noch nie ein so teures Projekt“, weiß Brunner. Für das Wohnbauwerk Berchtesgadener Land ist die Planung eine gewaltige Herausforderung – bei einer Bilanzsumme von 60 Millionen Euro. „Es wird uns die nächsten Jahre binden“, sagt er. Zudem kommen mehrere Modernisierungen in den kommenden drei Jahren, weil die politisch geforderten Ziele hinsichtlich Klimaneutralität und Energieeinsparung umgesetzt werden müssen.
In dieser Zeit werden keine weiteren Großprojekte zur Schaffung geförderten Wohnraums möglich sein, sagt er. Dazu fehlt einfach das Geld. (kp)
