Lässt Kanibers Kurs Landwirte leiden?
Schwierige Zeiten für Bauern: Grüne Spitzenpolitiker im Kulturhof über Hofsterben und Rechtsruck
Sorgen vor offener Gewalt, einem Rechtsrutsch und eine immer schwierigere Situation für bayerische Landwirte haben Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag, sowie Mia Goller, Sprecherin der Landtagsgrünen für Landwirtschaft und Wald, bei einer Veranstaltung im Kulturhof Stanggaß geäußert. Der Hausherr Bartl Wimmer hatte Kritik für den Landrat übrig: „Von Kanibers Gnaden eingesetzt, fährt er alles an die Wand, was an die Wand zu fahren ist.“
Bischofswiesen - „Die moderne Kriegsführung findet im Internet statt“, sagte Katharina Schulze bei einer unter dem Motto „Starke Frauen für das Land“ stattfindenden Veranstaltung am Muttertag anlässlich der Europawahl. Eingeladen hatte der Grünen-Kreisverband Berchtesgadener Land. Mit der Kriegsführung meint sie die Gefahr von Rechts. „Seit diesem Jahr ist Unsagbares sagbar geworden“, sagte Schulze und verwies unter anderem auf Staatsministerin Kaniber, die die Grünen in einem Atemzug mit der AfD genannt hatte: „Euch überlasse ich nicht unser Land“, so wird Kaniber zitiert.
Rechtsruck der Gesellschaft
Große Bedenken zeigte Schulze hinsichtlich eines stark spürbaren Rechtsrucks in der Gesellschaft, der kurz vor den Europawahlen keine guten Aussichten zulässt. Ab 16 Jahren darf man wählen. 22 Prozent können sich vorstellen, die AfD zu wählen. In Deutschland, aber auch in benachbarten europäischen Ländern sehe es nicht rosig aus. Immer mehr Deepfakes, in denen Menschen Dinge sagen, die von Künstlicher Intelligenz generiert wurden, bedrohten die Demokratie.
Der Wunsch der 38-Jährigen: „Uns muss es gelingen, die Demokratie zu erhalten, zu bewahren und zu stärken. Wenn Demokratiefeinde an der Macht sind, werden Frauenrechte rückabgewickelt.“ Die Fraktionsvorsitzende, die im September ihr zweites Kind erwartet, warnte vor dem starken Auftreten der AfD in Social Media, „den Verrätern des eigenen Landes“. In den vergangenen Jahren hätten antisemitische Vorfälle im Land stark zugenommen: „Die Reichsbürgerszene wächst, die neuen Rechten kommen und verschmelzen mit der AfD.“
Klimaneutral bis 2050
Diese sei nur mehr der „parlamentarische Arm“ zu Rechtsextremismus in Deutschland. Das Interesse an Bayern und an der EU habe die Partei dabei nie im Blick. Errungenschaften, die auf europäischer Ebene geschafft wurden, seien in Gefahr, zerstört zu werden. Etwa für den European Green Deal: „Dafür haben wir uns Jahrzehnte lang starkgemacht. Wir wollen 2050 klimaneutral sein. Es ist keine Spinnerei, saubere Energie zu gewinnen“, sagte Katharina Schulze. Bayern hinke in dieser Hinsicht noch „peinlich“ hinterher, vor allem bei der Stromerzeugung in Sachen Windkraft und Solarenergie.
Der Anspruch ist klar formuliert: „Demokratieerhalt ist unser aller Aufgabe“, sagte die Landtagsabgeordnete. Sie warnte vor einer Aushöhlung der freiheitlich demokratischen Grundordnung: „Das werden wir nicht zulassen.“
Schlechte Stimmung im Internet
Im Internet sei die Stimmung schlechter als je zuvor und der Kampf noch härter geworden. „Die Shitstorm-Quote ist hoch“, sagte Katharina Schulze. „Es ist nicht schön, die nächste Vergewaltigungsandrohung im Postfach zu haben“, sagte Schulze. Dabei säßen Kommunalpolitiker in deutlich schlechterer Position. „Ich habe zumindest Mitarbeiter, die sich darum kümmern und die Anzeigen rausschicken, wenn die braune Soße mal wieder ausgekippt wird“, sagte sie. Bedrohungen, Beleidigungen und Übergriffe: Die Situation drohe aktuell zu kippen. „Alle demokratischen Kräfte müssen vereint sein in der Sache, selbst wenn wir andere Parteifarben haben“, forderte sie.
Mit Blick auf Söder und Kaniber zeigte sich Katharina Schulze enttäuscht. „Er trifft sich mit Giorgia Meloni in Italien und Michaela Kaniber wirft uns in den AfD-Topf.“ Nur für den Applaus und für ein paar Stimmen würden die CSU-Politiker damit die Demokratie herausfordern.
Erst seit einem halben Jahr im Bayerischen Landtag sitzt Mia Goller. Die Sprecherin der Landtagsgrünen für Landwirtschaft und Wald, kennt das Berchtesgadener Land nur zu gut: „Meine Oma kommt aus Bischofswiesen, ich war immer zu Besuch hier in den Ferien“, sagte die ausgebildete Redakteurin. Im Berchtesgadener Land ist es ihr erster Auftritt überhaupt. Als landwirtschaftliche Sprecherin der Grünen äußerte sie Unverständnis für Kanibers Landwirtschaftspolitik, „zu viel Chichi“, zu wenig Substanz. Die angekündigten 120 Millionen Euro aus dem Zukunftspakt für die Landwirtschaft: Nichts als heiße Luft? Dieses Geld sei in dieser Form nirgends eingeplant, sagte Goller und: „Unsere Landwirtschaft hat etwas anderes verdient.“
Mia Goller forderte „endlich faire Löhne“ für Landwirte und sagte: „Natürlich muss ein Landwirt wissen, was er für die Milch bekommt, bevor er sie ausliefert.“ Aktuell sei das nicht der Fall, bestätigte ein anwesendes Landwirte-Paar.
Bauernhofsterben - ein riesiges Problem
Ein riesiges Problem, das die landwirtschaftliche Sprecherin herumtreibt: das derzeitige Bauernhofsterben. „Aber man kann nichts machen, wenn der eigene Sohn, der studiert hat, einen guten Job bei BMW um die Ecke kriegt und deshalb kein Interesse an der Landwirtschaft hat.“ Problematisch werde es aber, wenn die Landwirtschaftspolitik der eigentliche Grund zum Aufhören sei. Für Fraktionsvorsitzende Schulze ist der Schuldige schnell ausgemacht: „Die CSU und ihre verfehlte Landwirtschaftspolitik der vergangenen Jahrzehnte.“
Goller sagte, dass sie sich für die Kombihaltung eingesetzt habe. „Denn es darf nicht sein, dass Kühe in 20 Jahren noch immer angehängt im Stall stehen.“ Doch habe sie Verständnis dafür, dass Landwirte in Bayern, die immerhin unter anderen Voraussetzungen arbeiteten, „nicht alle in fünf Jahren einen Laufstall haben können“. Deshalb habe sie sich bei Cem Özdemir stark gemacht, mehr Zeit für die Landwirte zu bekommen.
Mia Goller forderte eine bessere Planbarkeit für Landwirte und deren Produkte. In Schulen, Krankenhäusern und Kitas müssten in Zukunft Bio-Mahlzeien aus der Region angeboten werden. Das würde nicht nur für die Landwirte einen sicheren Arbeitsmarkt bedeuten. „Wir würden damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen“, sagte Goller. Der Freistaat Bayern als Konsument könne es sich nicht leisten, dass man vom Bürger zwar den Bio-Einkauf erwarte, selbst aber nicht die eigenen Einrichtungen damit versorge: das ferne Ziel und grünes Versprechen: 30 Prozent bis 2030.
Als dramatisch betrachtet Goller die Entwicklung innerhalb der Handwerksberufe in der Lebensmittelbranche: Überall schließen Bäcker und Metzger. Mehr als die Hälfte der Bäcker in München hat aufgehört. 1200 Metzgereien gab es dort in besten Zeiten. Heute sind es noch 200. „Das Handwerk treibt uns um“, sagte Goller. Doch dürfe man vor dem Strukturwandel nicht die Augen verschließen. „Die Leute wollen nicht mehr ins Handwerk gehen“, sagte Goller. Zusammenschlüsse und Geschäftsaufgaben sind logische Konsequenz. Eine „Pflichtbreze“ gebe es zudem noch nicht. Allerdings: Zwei verpflichtende Praktika in allen Schularten sollen Jugendlichen trotzdem die Möglichkeit verschaffen, künftig reinzuschnuppern.
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