Hohe Investitionen geplant
„Bergerlebnis“ Berchtesgaden: On-demand-Verkehr für mehr Nachhaltigkeit
Die Tourismusregion in Berchtesgaden, die sich seit kurzem nur noch als „Bergerlebnis” bezeichnet, arbeitet an einem Strategiepapier. „Bis 2030 wollen wir uns in besonderem Maße der Nachhaltigkeit verpflichten”, sagte Vorsitzender Dr. Bartl Wimmer beim Gastgebertag im Alpen Congress vor rund 250 Personen. „Wir werden uns daran messen lassen”, sagte Wimmer, selbst Hoteleigentümer und Grünen-Kreisrat. In der Region soll in Zukunft nicht nur Urlaub ohne Auto möglich sein.
Berchtesgaden - Den Scherz, den sich Wimmer zu Beginn erlaubte, wurde mit Schweigen bestraft. Kein Mucks aus dem Publikum war zu hören, als Wimmer eine erneute Erhöhung des Kurbeitrags ankündigte. Dieser war erst kürzlich deutlich angehoben worden. Von Vermieterseite war die Anhebung auf 3,10 Euro für Erwachsene pro Tag abgestraft worden. Finanziell, sagt Wimmer, sei das aber unumgänglich gewesen. Der ehemalige Zweckverband Bergerlebnis Berchtesgaden war in finanzielle Schieflage geraten. Wegen gestiegener Energiekosten drohten den Touristikern, die unter anderem das Familienbad Watzmann Therme betreiben, mehr als drei Millionen Euro Mehrkosten - pro Jahr. Ganz so schlimm kam es dann nicht, doch der Kurbeitrag erhöhte sich trotzdem deutlich. Früher lag er bei 2,60 Euro. „Wäre es so weit gekommen, würde der Kurbeitrag bei bis zu sechs Euro liegen”, weiß Wimmer. „Dann wären wir gekreuzigt worden.”
Bartl Wimmer sagt, dass man seit längerem an einem „Kompass zur Orientierung” arbeite. Mittlerweile orientiere man sich beim Bergerlebnis an den UN-Nachhaltigkeitszielen, die auf lange Sicht für den gesamten Landkreis Berchtesgadener Land die Basis bilden könnten.
Mal wieder möchte man in der südöstlichsten Region Deutschlands die Vorreiterrolle einnehmen, Chancen nutzen und einen Leitfaden für Betriebe und die Urlaubsdestination als solche schaffen. „Kein Papier für die Schublade” soll es sein, bekräftigte Bartl Wimmer. Er und sein Team wollen sich am Strategiepapier 2030 messen lassen. Dass das mit immensen Investitionen verbunden sein wird, ist dem Vorsitzenden klar. Aber so, wie jetzt, geht es in Berchtesgaden nicht weiter. Jedes Jahr aufs Neue erreicht der Verkehr neue Rekorde. Die Urlaubsregion ächzt unter zu vielen Pkw, zu vielen Baustellen, „das sind die Schattenseiten”, sagte Wimmer. Laut einer Umfrage unter Gästen reisen knapp 80 Prozent mit dem eigenen Pkw an.
Die Gästezahlen sind nach der Pandemie wieder gestiegen. Zwar wurde nicht der Vor-Corona-Wert von 2019 erreicht, man zeigt sich aber zufrieden. Kostenloses Busfahren ist mit Gästekarte in den zum Bergerlebnis gehörenden Gemeinden möglich. 63 Prozent der Gäste ist das laut Umfrageergebnis wichtig.
Wimmer: „Ab 2024 wird Urlaub ohne Individual-Pkw bei uns möglich sein“
„Ab 2024 wird Urlaub ohne Individual-Pkw bei uns möglich sein”, kündigt Bartl Wimmer an. Künftig soll es eine deutliche Verbesserung im On-demand-Verkehr geben, eine Ergänzung zum bereits installierten Rufbus-System, mit Hilfe dessen sich Gäste auf Wunsch abholen lassen können. Auch wenn sich die Touristiker noch nicht in die Karten blicken lassen wollen. E-Mobile könnten in Zukunft eine gewichtige Rolle im Berchtesgadener Talkessel und darüber hinaus spielen. Auch die Gemeinden Piding, Anger und der Markt Teisendorf sind Teil des Bergerlebnisses und werden unter dem Dach vermarktet.
Seitdem die Region mit der „Watzmann Natur Energie” einen eigenen kommunalen Stromlieferanten hat, hat das Thema „Nachhaltigkeit” eine neue Bedeutung gewonnen. An mehreren Orten sollen große E-Tankstellen entstehen, so etwa am Königssee. Öffentliche Gebäude werden mit Solaranlagen gepflastert. Beim Alpen Congress ist das bereits geschehen, auch die Watzmann Therme, Energiefresser Nummer eins, soll bedacht werden. Am Kehlstein geht schon bald nichts mehr ohne Stromtankstelle: Die Busse, die auf den Berg fahren, nutzen Strom zum Transport. „Das ist ein weiterer Beitrag mit einer positiven Ausstrahlung über die Region hinaus”, sagt Vorsitzender Wimmer. Zwar ist die Eröffnung bereits für den 11. Mai angedacht. Wimmer geht davon aus, dass die E-Busse, die die RVO eigens für den Kehlsteinbetrieb gekauft hat, spätestens im Juni folgen.
Die Dramatik als Gesamtregion
Eine „gruselige Abfolge von Krisen” - Corona, Russland-Angriff und Energiekosten - habe die vergangenen Jahre in eine der schwierigsten Zeiten im hiesigen Tourismus driften lassen. Wimmer sagt, dass man aktuell als Tourismusregion zwar wieder gut aufgestellt sei, Berchtesgaden liege mit seinem Angebot im Trend. Dem Gast der Zukunft brauche es nicht bange zu sein. „Doch die Dramatik als Gesamtregion ist den meisten nicht so bewusst, wie sie sein sollte”, sagt Wimmer.
13.000 Arbeitskräfte würden in den kommenden sieben Jahren - bei gleichbleibender Zuwanderung - wegfallen, bei insgesamt 34.000 Arbeitsplätzen im Landkreis. „Das stellt unsere touristischen Betriebe, ob Hotels oder Gastronomie, vor große Herausforderungen.” Der Wohnraum bleibt weiterhin Mangelware. Gemeindeübergreifend existieren bereits Überlegungen, große Personalhäuser zu realisieren. So will man Arbeitskräfte locken. Mit welchem Geld? Und wer soll dort am Ende einziehen? Beides ungewiss. „Als Region werden wir eine Kraftanstrengung brauchen”, ist sich Wimmer sicher.
kp