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Kehlsteinfahrt 80 Prozent teurer

Dr. Bartl Wimmer: So steht es um die Zukunft der Urlaubsregion Berchtesgadener Land

Dr. Bartl Wimmer, Vorsitzender des Bergerlebnis Berchtesgaden.
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Dr. Bartl Wimmer, Vorsitzender des Bergerlebnis Berchtesgaden.

Gestiegene Kosten, höhere Preise bei Ausflugszielen, ein anhaltender Bettenschwund und ein erschwertes Wintergeschäft: Als Tourismusregion steht Berchtesgaden vor Herausforderungen – trotz neuerlicher Gäste-Rekordzahlen. Dr. Bartl Wimmer, Vorsitzender des „Bergerlebnis Berchtesgaden“, spricht im Interview über die Zukunft der Urlaubsregion.

Berchtesgadener Land/Berchtesgaden - Ein deutschlandweit zweiter Platz im „TrustScore“ des Deutschen Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts für Fremdenverkehr: Die Gäste scheinen mit dem Bergerlebnis Berchtesgaden und dem Landkreis zufrieden zu sein. Auch die Gäste- und Übernachtungszahlen haben einen neuen Rekord gesetzt. Alles Zufall oder beruht der Erfolg auf gesetzten Maßnahmen?

Dr. Bartl Wimmer: Der TrustScore ist eine Auszeichnung für alle Betriebe in der Region, nicht unbedingt für uns als Bergerlebnis. Der erreichte Wert ist eine Gesamtschau aller wesentlicher Bewertungsportale, die zeigt, wie sich die Region insgesamt touristisch darstellt. Wir können durchaus positive Entwicklungen feststellen, auch im Kontext zu anderen Urlaubsregionen. Das entspricht genau dem, was wir im Destinationsmanagement bis zum Jahr 2030 festgelegt haben – und wohin wir wollen. Der TrustScore ist also eine Unterstützung für unsere langfristige Strategie und er zeigt auf, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Eine wirkungsvolle Strategie muss alle Betriebe in der Region einschließen und ist nicht das Verdienst einer einzelnen Person oder eines Betriebs. Man kann also sagen: Es geht grundsätzlich in die richtige Richtung.

Sie hatten als Ziel Klasse statt Masse ausgegeben, mehr Qualität, weniger „Overtourism“. Inwiefern widerspricht sich das mit den neuen Rekordzahlen von mehr als 625.000 Übernachtungen?

Wimmer: Vom Grundsatz her muss man sagen: Unsere Werbemaßnahmen zielen im Wesentlichen auf die Nebensaison ab. Klar ist auch: Die Monate Januar bis Mai sind klassische Nebensaison, und darauf beziehen sich auch die Zahlen, die wir vermeldet haben. Unsere Konzentration liegt darauf, eine bessere Auslastung der Betriebe in der Nebensaison zu erreichen. In der Hochsaison sind alle Betten belegt. Im August kann man also nicht mehr als ausgebucht sein. Eine deutlich bessere Belegung im März ist durchaus aber noch möglich. Das Vergleichsjahr, an dem wir uns messen, ist 2019. Es ist das letzte Jahr, das nicht von Corona, Krieg und anderen Einschränkungen bestimmt war. Die Leute konnten noch reisen. Während Corona war das nicht mehr möglich. Urlaub wurde im eigenen Land gemacht. Deshalb lassen sich die Jahre zwischen 2019 und heute nicht miteinander in Vergleich setzen. Eine dramatische Steigerung der Gästezahlen zur Hauptsaison erwarten wir uns im Übrigen nicht. Wir bewerben diesen Zeitraum aber auch nicht aktiv. 

Die Bettenzahlen sinken seit Jahren. Wie geht das Bergerlebnis mit der zunehmenden Problematik des Bettenschwunds um? Welche langfristigen Auswirkungen wird dies auf die Tourismusbranche Ihrer Meinung nach haben?

Wimmer: Der Bettenschwund betrifft uns auf mehreren Ebenen. Einerseits ist es eine große Stärke der Region, dass bei 25.000 Einwohnern etwa 2.000 Betriebe Tourismus betreiben. Das ist bemerkenswert. Die Verankerung des Tourismus in der Bevölkerung ist gut. Genau das ist auch Teil unseres strategischen Ziels, um den Strukturmix zwischen privaten und gewerblichen Vermietern in der Breite zu erhalten. Auf der anderen Seite haben wir Probleme bei einigen Privatvermietern, vor allem, wenn Betriebsübergaben anstehen. Der Generationswechsel bereitet regelmäßig Schwierigkeiten. Dieser ist gleichzeitig ein wichtiger Ansatzpunkt, an dem wir jüngere Leute überzeugen wollen, im Tourismus zu bleiben und notwendige Maßnahmen auch umzusetzen. Das wird uns natürlich nicht zu 100 Prozent gelingen. Fakt ist aber: Es gibt jene Betriebe, die auch heute noch nicht online buchbar sind. Oder sie haben seit Jahrzehnten zu wenig investiert. Es bleibt zudem immer auch eine Frage, wie investitionsfreundlich das Gesamtklima ist: Gibt es wirtschaftlich lukrativere Verwertungsmöglichkeiten für die eigene Ferienwohnung? Steht die Erfüllung des Brandschutzes einer Investition im Weg, was sagen Landratsamt und Baurecht? Auf all das haben wir keinen direkten Einfluss. In Qualität zu investieren, ist aber ein wesentlicher Faktor, um touristisch Schritt zu halten. Klar ist auch: Wir setzen ein Zeichen und zeigen Interesse an unseren Betrieben und bieten ihnen eine vernünftige Gastgeberberatung. Das ist wichtig, da setzen wir auch hinsichtlich unserer Strategie ein Zeichen. Auch wenn wir am Ende nicht darüber entscheiden können, ob jemand investieren wird oder als Gastgeber aufhören möchte. 

Wie lautet Ihre Prognose in Sachen Bettenschwund?

Wimmer: Nein, den Bettenschwund werden wir nicht aufhalten können. Wir sollten aber alles daran setzen, den Trend zu verlangsamen. In letzter Zeit haben einige Hotels in der Region aufgehört. Die Betriebe stehen seitdem leer. Für das Bergerlebnis ist das keine gute Entwicklung. Denn die Betten fehlen – nicht nur dort. Es liegt auf der Hand, dass wir etwa eine Investition am besucherstarken Königssee brauchen. Es wäre wünschenswert, wenn über die Größenordnung der Investition ein breiter gesellschaftlicher Konsens gefunden werden könnte. 

Das Jahr 2019 wird im Vergleich immer als Orientierungsjahr herangezogen. Seitdem haben die Preise in der Hotellerie und bei Ferienwohnungen stark angezogen: In mancher Ausflugsgaststätte kostet das Bier mittlerweile fast sechs Euro, eine Portion Pommes acht Euro. Die Currywurst gibt es für 14,50 Euro. In sozialen Medien wurde darüber ausführlich diskutiert. Ist das nachvollziehen?

Wimmer: Ich habe auf der einen Seite Verständnis für die Preiserhöhungen. Jeder kann sehen, wie sehr die gewerbliche Gastronomie während der Corona-Pandemie kämpfen musste. Bis zu 20 Prozent der Mitarbeiter sind damals abgewandert. Viele haben zudem festgestellt, dass sie nicht mehr zurückkehren wollen. Um die Servicequalität und die Bezahlung des Personals zu verbessern, sind aber deutliche Preiserhöhungen notwendig, sonst wird es zu Teil- oder sogar zu kompletten Schließungen kommen. Die Inflation hat ihriges dazu beigetragen. Die Löhne in Hotel und Gastronomie waren vor Corona bereits deutlich zu niedrig. Um im Wettbewerb mit anderen Branchen bestehen zu können, müssen die Gehälter weiterhin angepasst werden. Das betrifft die gesamte Hotel- und Gastronomiebranche in Deutschland. Dieser Kostentreiber wird also bleiben. Ohne Preiserhöhungen wird es deshalb nicht funktionieren. Allerdings kann ich nicht jede Preiserhöhung nachvollziehen. Diejenigen, die es nicht komplett übertreiben, sind dabei gut beraten. Es gibt die Beispiele, wo Preise überzogen sind. Am Ende wird der Markt entscheiden, ob die Verbraucher bereit sind, die Preise anzunehmen. Tatsache ist: Die Preise von 2019 werden nie wieder zurückkehren, es sei denn, wir würden auf Selbstbedienung umstellen. Es ist letztendlich eine Entscheidung des Verbrauchers, ob er bereit ist, diese Preise zu akzeptieren oder nicht.

Ordentlich zugelegt im Preis haben auch die Ausflugsziele. 89,4 Prozent Preiserhöhung in vier Jahren: Eine Auf- und Abfahrt zum Kehlstein mit Gästekarte schlug im Jahr 2019 noch mit 15,10 Euro zu Buche. 2023 sind es 28,60 Euro. Worin sind solche Preiserhöhungen begründet? Der neue E-Bus allein kann es nicht sein. Empfinden Sie das noch als verhältnismäßig?

Wimmer: Ich stehe voll und ganz hinter diesen Preiserhöhungen. Die alten Preise am Kehlstein waren im Vergleich mit anderen Ausflugszielen deutlich zu niedrig. Wir waren als touristisches Ausflugsziel also gut beraten, nachzuziehen. Wir reden nicht von Österreich oder der Schweiz. Im Vergleich damit liegen wir immer noch im unteren Mittelfeld. Außerdem haben wir ja nicht nur die Preise am Kehlstein erhöht, sondern auch die Aufenthaltsqualität dort. Früher fuhren jährlich bis zu 450.000 Besucher auf den Kehlstein. Das wird es so nicht mehr geben. Wir gehen jetzt von jährlich 250.000 bis 300.000 Personen aus. Das passiert, weil wir die Buskapazitäten auf den Kehlstein beschränken. Natürlich hat es Gründe: Es gibt Brandschutzauflagen im Tunnel und wegen des Kehlstein-Lifts, und auch die Kehlstein-Gastronomie am Berg hat ihre natürliche Grenze in Sachen Sitzplätze. Früher gab es Tage, an denen bis zu 4.000 Menschen dort oben waren. Eine überfüllte Gastronomie ist aber nicht in unserem Sinne. Im Einvernehmen mit dem Gastronom haben wir diese Beschränkungen festgelegt.

Der Jenner als größtes Skigebiet geht verloren. Derweil war es ja genau diese Jahreszeit, in der das Bergerlebnis noch Nachholbedarf hat in Sachen Gästezahlen. Wie planen Sie, sich von anderen Winterdestinationen abzuheben und auch ohne Jenner ein attraktives Angebot zu schaffen, um damit die Nebensaison zu pushen? 

Wimmer: Wer behauptet, wir wären jemals ein klassisches alpines Wintersportgebiet gewesen, der irrt. Unsere guten Pisten in der Region sind zu anspruchsvoll für die Allgemeinheit, von den anderen gibt es zu wenige, außerdem sind die Pisten zu kurz. Es wäre eine Selbstmordstragtegie, wenn wir darauf setzen würden. Klar ist, dass der Wintersport eine hohe Symbolträchtigkeit hat. Wenn man sich aber die nüchternen Zahlen anschaut von Skiverkäufen bis dahin, wie viele Kinder überhaupt noch auf der Piste fahren können, muss ich sagen, dass die Bedeutung des alpinen Wintersports deutlich abgenommen hat. Auf etwas zu setzen, was einem Bedeutungsverlust unterliegt, ergibt für mich keinen Sinn. Trotzdem bleibt der Jenner für uns wichtig und wir werden ihn weiterhin unterstützen. Der Markt des Skitourengehens boomt und die Schneeschuhgänger sind in ihrer Anzahl regelrecht explodiert. Wir werden unsere Strategie an diesen Tatsachen ausrichten müssen. Der alpine Wintersport wird aber Teil unserer Strategie bleiben.  

“Es wäre eine Selbstmordstragtegie, wenn wir darauf setzen würden”, sagt Bartl Wimmer. Die Jennerbahn wird zwar fahren, alpiner Wintersport ist im größten Skigebiet der Region ab diesem Winter nur noch eingeschränkt möglich.

Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis in Berchtesgaden Staus wieder für Verkehrschaos sorgen. Wie viele Jahre wird es dauern, bis das Problem überwunden ist? Wie schaut Berchtesgadens Verkehr der Zukunft aus? 

Wimmer: Wir haben uns das Ziel gesetzt, dass in Berchtesgaden Urlaub ohne eigenes Fahrzeug möglich sein wird. Das wird nur mit einem guten On-demand-Verkehr funktionieren. Das ist ein ganz wesentlicher Baustein unserer Strategie, und deutlich besser als das bisherige Rufbussystem. Bis Ende 2024 wollen wir starten und dann sukzessive ausbauen. Zudem planen wir, die anderen wichtigen Buslinien deutlich zu verdichten, sodass 15- oder maximal 30-Minuten-Takte entstehen. Dadurch können Gäste ihren Urlaub ohne Auto realisieren. Auch für Einheimische möchten wir damit ein gutes und bezahlbares System schaffen. Familien sollen auf ihr Zweitauto verzichten können. Flankiert werden muss das durch ein umfassend integriertes Angebot, dass auch E-CarSharing, unsere Taxis und E-Bike-Verleih eingebunden sind. All das wird über eine integrierte App laufen müssen. Bis dahin ist noch einiges zu tun - und zwar auf allen Ebenen, von den Kommunen bis zum Landkreis. Wir werden dazu auch den überregionalen Verkehrsverbund mit Traunstein und Salzburg brauchen. Ich habe aber die klare Vision, dass wir das in den nächsten zwei bis drei Jahren erreichen müssen. Wir haben gute Chancen, den Individualverkehr in der Region zurückzudrängen, wenn wir die oben genannten Maßnahmen zeitnah umsetzen.

kp  

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