Huberbuam: Wahl-Berchtesgadener veröffentlicht Biographie
„Ein wilder Rodeo“ – Thomas Hubers Leben der Extreme
Die Brüder Alexander und Thomas Huber blicken auf eine steile Karriere zurück. Als Huberbuam sind sie wohl eine der bekanntesten und stärksten Seilschaften unserer Zeit. Doch dass es im Leben nicht immer nur bergauf geht, beschreibt Thomas nun in seiner Autobiographie. Wir haben mit ihm über seine Höhen und Tiefen gesprochen. - Und darüber, wie er ein Kämpfer geworden ist.
Berchtesgaden - „In dieser Form hat es noch kein Bergbuch gegeben“, sagt Thomas Huber, der ältere der beiden Huberbuam. Dass es Zeit ist, seine Biographie niederzuschreiben, stellt er während der Talkshow von Markus Lanz fest. Dort erzählt er von seinem schweren Unfall 2016 direkt vor seiner Haustüre, bei dem er 16 Meter tief gefallen ist und eine Schädelfraktur erlitten hat. Ein Journalist weist ihn bei der Show darauf hin, dass er diese Geschichte unbedingt aufschreiben müsse. „Außerdem haben wir schon so vieles erlebt und in Artikeln verfasst, dass wir damit mehrere Bücher füllen könnten. Mein Leben ist einfach ein wilder Rodeo.“
„Jedes Wort ist von mir selbst“
Der Schreibprozess zieht sich über drei Jahre hin. Besonders stolz ist Thomas, dass er das ganze Buch selbst geschrieben hat. „Machst du das über einen Ghostwriter, bleibt es immer auf der Oberfläche. Du schreibst dich selbst in die Tiefe rein. Es war auch eine Genugtuung für mich. Denn meine Deutschlehrerin meinte, ich wäre zu doof für alles. Ich hatte auch eine sechs bei ihr, bin leicht legasthenisch veranlagt. Jetzt beweise ich, dass selbst jemand, der vermeintlich schlecht in der Schule ist, lebendig schreiben kann. Jedes Wort ist von mir selbst.“
Doch auch vor Schreibblockaden ist der Extremsportler nicht gefeit: „Das Buch hing drei Jahre wie ein Damoklesschwert über mir, weil ich auch einen Vertrag unterschrieben hatte. Doch plötzlich war es wie bei Alice im Wunderland: Du schlüpfst rein und dann musst du nur noch sehen. Diese ganzen Dialoge aus der Kindheit waren dann wieder da. So durchlebst du das Leben noch einmal mit etwas Abstand und verstehst auch die Zusammenhänge, warum etwas genau so passiert ist.“
Vom Anfang der Lebenslinie und dem gechillten Ende
Das Buch „In den Bergen ist Freiheit“ beginnt mit einer unsichtbaren Linie. „Linien haben mein Herz befangen. Das ist mein Charakter. Dass ich jetzt vor dieser Linie stehe, ist deswegen, weil jeder einzelne Moment entscheidend war in meinem Leben. Jeder Moment hat mich dahin geführt, dass ich heute hier sitze. Ich glaube an den Butterfly-Effekt. Manchmal können kleine Momente ganz groß werden. Ich glaube an die Magie eines jeden Moments. Das ist mein Credo.“
Und die Biographie endet mit einer sehr entspannten Szene, in der eine Gruppe Lieder darüber singt, „warum wir das tun, was wir tun.“ Nachdem Thomas den Punkt gesetzt hat, weiß er, dass das Buch vollendet ist. „Dann hatten wir ein Fest in der Oberau. Da habe ich vier Tage so einen sitzen gehabt. Aber drei Wochen, bevor ich auf Expedition ging, verlangte der Verlag, das Buch um ein Drittel zu kürzen. Ich wollte alles hinschmeißen.“ Aber auch das schafft er schließlich nach vielen anstrengenden Nachtschichten.
Ein Leben der Extreme – geprägt von vielen Höhen und Tiefen
Herausgekommen ist eine Lebensgeschichte, die nicht immer nur vom Erfolg seiner zahlreichen Begehungen geprägt ist. „Das Leben ist steil, schroff, voller Rock ’n Roll, aber auch voller dunkler Zeiten, die jeder Mensch durchleben muss.“ Der Sportler redet sein Scheitern nicht schön, sondern spricht es direkt an.
So lernt er bereits als junger Mann bei der Bundeswehr sich durchzubeißen. Damals hat er einen Bandscheibenvorfall, muss operiert werden und es heißt, dass er nie wieder klettern könne. „Das hat mich wirklich zu einem Kämpfer gemacht, niemals aufzugeben. Es war auch nicht einfach mit der Beziehung zu meinem Bruder, weil der ein komplettes Eigenleben entwickelt hat. Es war ihm egal, wie es mir ging. Er kletterte schon im zehnten Schwierigkeitsgrad und ich musste immer noch versuchen, Übungen zu machen. Das hat mich brutal gepusht. Dadurch ist mein Charakter stark geworden.“
Für ihn gehört es auch dazu, über die finanzielle Pleite der Familie zu schreiben. „Irgendwann läuft’s einfach scheiße. Es kommt darauf an, was du dann daraus machst. Wir haben es geschafft, als Familie zusammen zu stehen und mit ganz wenig auszukommen. Wir haben uns alle - Mama, Papa, Schwester - am Seil mitgenommen und sind buchstäblich aus diesem Tal hinaus geklettert.“
Auch sein schwerer, lebensgefährlicher Absturz 2016 prägt und formt ihn sehr. „Tiefen haben mich zu dem gemacht, was ich bin. Ich habe keine Angst vor dem Tod mehr, denn der kommt von selber. Mit deiner Geburt hast du die Lizenz zum Sterben mitbekommen. Aber das Leben ist geil und man muss das beste daraus machen.“
In den Bergen ist Freiheit – und Heimat
Thomas Hubers große Sehnsucht sind von klein auf die Berge. Palling, wo er aufgewachsen ist, erlebt er nie als seine Heimat. Als er nach Berchtesgaden zieht, benötigte es viel Hartnäckigkeit, Demut und Humor, um als „Zuagroaster“ heimisch zu werden. „Ich war ein Farbklecks in Berchtesgaden. Es gab nur wenige mit langen Haaren. Ich bin ins Aschi (Freibad in Bischofswiesen, Anm. d. Red.) mit dem Wickelrock gegangen, da haben sie gleich alle super deppert geschaut, weil ich ein Hippie und einfach anders war.“ Doch inzwischen ist der ganze Ort stolz auf ihn und er ist dort nicht mehr wegzudenken.
In seiner Autobiographie nimmt die Heimat zum Ende hin auch immer mehr Raum ein. „Ich bin in der Welt zu Hause, aber das Wort „dahoam“ ist für mich dort, wo meine Freunde sind, da, wo das Bier am besten schmeckt. Ich schmecke die Heimat, das ist meine Identität. Wenn du losziehst, weißt du, wo du hinfahren musst, damit du wieder dahoam bist.“
Wahre Freiheit, wie der Buchtitel sagt, erlebt der 56-Jährige nur in den Bergen. „Dann darfst du da oben sein und deine Sinne, die in der Gesellschaft so verkrustet sind, dieses Sehen, Hören, Riechen erleben. Wir sind alle so durch, dass wir unseren Sinnen gar keinen Raum mehr geben.“
Eine Hommage an alle Wahnsinnigen
Thomas widmet sein Buch seinen Schwestern und Brüdern. Damit meint er nicht seine Familie, sondern Gleichgesinnte. Zu ihnen zählt auch sein 2015 tödlich verunglückter Freund Dean Potter, der ihn lehrt: „Klettern ist Kunst.“ Auf seinem Lebensweg verliert er einige wichtige Freunde. Das Niederschreiben seines Lebens ist auch oft mit Tränen verbunden, da er von ihnen erneut Abschied nehmen muss. Seine Biographie schließt mit einem Songtext seiner Band Plastic Surgery Disaster. Das Lied heißt „brothers and sisters“.
Und unser Gespräch beendet Thomas mit dem Satz: „Das Buch ist keine Ich-AG, sondern ich bin nur ein Begleiter an der Seite all dieser ganzen Wahnsinnigen.“ Am 4. Januar 2023 könnt Ihr Thomas Huber bei einer Lesung und einem Vortag live im AlpenCongress in Berchtesgaden erleben.
mf
