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Anonyme Alkoholiker Bad Reichenhall

Hans ist seit 36 Jahren trocken: „Ich war fremdgesteuert und konnte nicht aufhören“

Wenn der Alkoholkonsum zur Sucht wird, finden die Betroffenen Unterstützung bei den Anonymen Alkoholikern. Die Tölzer Donnerstagsgruppe ist 40 Jahre alt.
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Wenn der Alkoholkonsum zur Sucht wird, finden die Betroffenen Unterstützung bei den Anonymen Alkoholikern.

Seit 1988 trinkt Hans keinen Tropfen Alkohol mehr, doch der Kampf gegen die Sucht begleitet ihn bis heute. Ohne die Anonymen Alkoholiker in Bad Reichenhall, die er seit Jahrzehnten besucht, wäre ihm das nicht gelungen. Was ihm half und wie er anderen auf ihrem Weg aus der Sucht beisteht, erzählt er in einem bewegenden Gespräch.

Bad Reichenhall - „Mein Name ist Hans, ich bin Alkoholiker – trockener Alkoholiker, das ist für mich das Wichtigste. Ich bin alkoholkrank, obwohl ich seit 36 Jahren keinen Alkohol trinke.“ So stellt sich der 76-Jährige bei unserem Treffen vor. Sein Vorname lautet eigentlich anders, wir nennen ihn hier aber Hans. Hans besucht schon seit 1988 die Gruppe der Anonymen Alkoholiker (AA) in Bad Reichenhall. Ohne sie hätte er es nicht geschafft, mit dem Trinken aufzuhören. „Die haben gesagt: ‚Schön dass du da bist.‘ Vorher haben sie mich überall rausgeschmissen.“

Warum er seinen Namen nicht nennen will: In den „zwölf Traditionen“ der AA ist klar formuliert, dass die Gemeinschaft nicht auf Werbung, sondern auf Anziehung setzt. „Deshalb sollen wir gegenüber Presse, Rundfunk, Film und Fernsehen stets unsere persönliche Anonymität wahren.“ Genauso wird jedem, der die AA besucht, volle Anonymität zugesprochen.

Wer sind die Anonymen Alkoholiker?

Die Anonymen Alkoholiker sind eine weltweite Selbsthilfe-Gemeinschaft für Menschen, die Probleme mit Alkohol haben und den Wunsch haben, mit dem Trinken aufzuhören. Sie wurde 1935 in den USA gegründet und basiert auf dem Prinzip der gegenseitigen Unterstützung. Die AA bietet einen geschützten Raum, in dem Betroffene anonym über ihre Erfahrungen mit Alkoholismus sprechen und sich gegenseitig bei der Abstinenz helfen können. Die Teilnahme ist kostenlos. Für Familien gibt es zusätzlich die sogenannten Al-Anon-Gruppen. In Deutschland gibt es die AA seit über 70 Jahren. Die Gruppe in Bad Reichenhall ist die älteste Südostbayerns und besteht seit 1962.

Die Präambel der AA

„Anonyme Alkoholiker sind eine Gemeinschaft von Menschen, die miteinander ihre Erfahrung, Kraft und Hoffnung teilen, um ihr gemeinsames Problem zu lösen und anderen zur Genesung vom Alkoholismus zu verhelfen.

Die einzige Voraussetzung für die Zugehörigkeit ist der Wunsch, mit dem Trinken aufzuhören.

Die Gemeinschaft kennt keine Mitgliedsbeiträge oder Gebühren, sie erhält sich durch eigene Spenden.

Die Gemeinschaft AA ist mit keiner Sekte, Konfession, Partei, Organisation oder Institution verbunden; sie will sich weder an öffentlichen Debatten beteiligen, noch zu irgendwelchen Streitfragen Stellung nehmen.

Unser Hauptzweck ist, nüchtern zu bleiben und anderen Alkoholikern zur Nüchternheit zu verhelfen.“

Aus dem Krankenhaus als hoffnungsloser Fall entlassen

Sehr offen zeigt sich Hans hingegen bei seiner persönlichen Geschichte mit dem Kampf gegen die Krankheit. „Beziehungsprobleme, Führerscheinentzug: Meine Antwort auf meine Probleme war, immer noch mehr zu trinken“, erklärt er. „Mein Verlangen nach Alkohol war immer stärker als alles andere. Es war ein exzessives Trinken. Ich war fremdgesteuert und konnte nicht aufhören.“

Wenn er versucht aufzuhören, streikt sein Körper: Dreimal landet er mit einem zerebralen Krampfanfall auf der Intensivstation. Aus dem Krankenhaus wird er jedes Mal als hoffnungsloser Fall entlassen. Ein Gespräch mit einem Arzt bringt schließlich die Kehrtwende. Dieser teilt ihm mit, dass er nicht willensschwach, sondern krank ist, alkoholkrank. Hans bekommt von ihm die Telefonnummer der Ortsgruppe der Anonymen Alkoholiker mit der Zusage, dass die Menschen ihm dort helfen können.

Der erste Besuch bei den AA: „Fürchterlich“

Doch es braucht drei Anläufe, bis er den Meeting-Raum am 3. Oktober 1988 endlich betreten kann. Sein späterer Mentor – Hans nennt ihn „Sponsor“ – empfängt ihn herzlich und fragt: „Hast du ein Problem mit Alkohol? Dann bist du hier richtig. Setz dich und versuche zuzuhören.“ Für Hans ist das gar nicht so leicht.

Sein Eindruck nach dem ersten Treffen: „Fürchterlich. Ich habe mich geschämt. Ich dachte mir, da geh ich nie wieder hin.“ Doch schon am folgenden Montag ist er wieder dabei. Bis Ende des Jahres trinkt er weiter, geht auch betrunken zu den wöchentlichen Treffen. Er fühlt sich dort willkommen und schätzt die Ehrlichkeit untereinander.

Kapitulation als erster Schritt

Im Dezember 1988 fängt sein „neues Leben“ an, und zwar in einem Isolationszimmer im Sanitätszentrum in Form einer Entgiftung: Ruhiggestellt, mit Lederriemen am Bett und Milchglasfenster ohne Griff. Hans spricht von einer „harten Geschichte“, er habe sich gefühlt wie ein Gefangener. 21 Tage später geht es für viereinhalb Monate in eine Fachklinik nach Nordfriesland zum Entzug. Auch wenn heute andere, weniger harte Methoden angewendet werden, sagt Hans, dass die Therapie damals für ihn richtungsweisend war.

Zum ersten Mal kann Hans seine Kapitulation vor der Krankheit annehmen – was dem ersten der „zwölf Schritte“ der AA entspricht. Die weiteren elf Schritte weisen den Weg zur Genesung. Dabei steht auch immer wieder Gott im Zentrum. „Die Anonymen Alkoholiker sind keine Sekte“, betont Hans in diesem Zusammenhang. Es handle sich um einen „Gott, wie ihn jeder selbst versteht. Jeder kann denken und glauben, wie er will. Es ist einfach etwas, das stärker ist als du.“ An den Treffen kann daher jeder teilnehmen, egal, welcher Konfession, auch Atheisten und Agnostiker.

Wie läuft so ein Treffen ab?

Hans ist inzwischen selbst „Sponsor“ mehrerer Erkrankter und unterstützt diese bei ihren Problemen, die er aus eigener Erfahrung nur zu gut kennt. Die wöchentlichen Treffen haben einen klaren Ablauf. Der Gruppensprecher eröffnet das Meeting und liest die Präambel sowie die zwölf Schritte vor. Dann folgt ein Tagestext zu einem bestimmten Thema.

Im Anschluss kann sich jeder, der möchte, anonym zu Wort melden. „Jeder hat die Möglichkeit, über sich in der Ich-Form zu reden. Das wird auch von den anderen nicht diskutiert oder kommentiert.“ Von den Wortmeldungen profitieren zudem die Zuhörer, denn auch wenn die Geschichten individuell sind, ähneln sie sich und man findet sich selbst in gewissen Situationen wieder. Die Gruppe in Bad Reichenhall besuchen derzeit etwa 17 Menschen. Ein Drittel von ihnen sind Frauen. Alkoholsucht ist also keineswegs ein reines Männerproblem. Deutschlandweit steigt der Alkoholkonsum bei Frauen. Um die Schwellenangst zu reduzieren, kann man sich bei Interesse bei der Reichenhaller AA-Gruppe auch erst einmal telefonisch melden, und zwar rund um die Uhr und natürlich auch hier komplett anonym.

Erkennen, zugeben, ändern

„Wenn einer besoffen ins Meeting kommt, ist er auch willkommen. Das war bei mir am Anfang auch so“, betont Hans. Und es komme auch immer wieder vor, dass jemand rückfällig wird. „Wichtig ist, den Rückfall in der Gruppe zu benennen und was dazu geführt hat.“ Bei den AA handle es sich um eine Selbtshilfe-Gemeinschaft. „Man muss den anderen in die Lage versetzen, sich selbst zu helfen“, erklärt er. Der erste Schritt sei immer das Erkennen und Zugeben, erst dann könne man etwas ändern.

Deutschland befindet sich beim Alkoholkonsum weltweit unter den Top Ten. „Es gibt fast keine Familie, wo der Alkohol keine Rolle spielt, sei es der Onkel, der Opa oder die Schwester“, sagt Hans. Er selbst hat seit 36 Jahren keinen Tropfen mehr getrunken. An ein „kontrolliertes Trinken“ glaubt er nicht. Doch Alkohol ist auch eine Droge, die in unserer Gesellschaft voll akzeptiert, positiv besetzt und immer verfügbar ist. Kann man als Alkoholkranker überhaupt noch am sozialen Leben teilnehmen? „Andere trinken zu sehen, macht mir nichts, das habe ich alles gelernt. Aber wenn ich es nicht aushalten würde, würde ich nicht hingehen“, erklärt Hans. Er wirkt mit sich im Reinen. Und das will er auch weitergeben. (mf)

Treffen der Anonymen Alkoholiker im Berchtesgadener Land

Bad Reichenhall: Jeden Montag um 19.30 Uhr, Kurstraße 5

Berchtesgaden: Jeden Dienstag um 20 Uhr, Ludwig-Ganghofer-Straße 28

Freilassing: Jeden Donnerstag um 19 Uhr, Lindenstraße 4

Weitere Informationen erhält man unter www.anonyme-alkoholiker.de oder unter der Telefonnummer 08669 789834.

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