Almabtrieb am Teisenberg bei Teisendorf: „Das muss man mal erlebt haben“
Regen, Nebel und ein Holzzaun: der fast pannenfreie Almabtrieb auf der Stoißer Alm
Almabtrieb bei schönem Wetter - das kann ja jeder. Und so war die Stimmung letzten Samstag (23. September) ungetrübt, obwohl der Sommer ausgerechnet an dem Tag pausierte. 30 Kalbinnen - 30 Treiber und ein fast reibungsloser Marsch vom Teisenberg runter ins Tal:
Teisendorf – Trächtige Teenager-Kühe mit Blumen im Haar vom Berg begleiten - so könnte man vielleicht einem Fischkopf aus dem hohen Norden erklären, worum es geht. Eine lange Tradition, die auf der Stoißeralm am Teisenberg jedes Jahr gepflegt wird: der Almabtrieb.
„Wenn kein totes Vieh auf der Alm ist über den Sommer, dann wird aufkranzt“, erklärt uns der zweite Vorsitzende der Almgenossenschaft Stoißer Alm, Hermann Hogger. Dieses Jahr grasten insgesamt 56 Kalbinnen auf den Bergwiesen rund um die Hütte. Und weil alle die Almsaison gut überstanden haben, wurde, so wie es Brauch ist, gefeiert. Einige Jungkühe wurden bereits ins Tal gebracht, an dem Tag ist die Mission: 30 Kalbinnen sicher vom Berg führen. Die Almgenossenschaft und der Brauchtumsverein Freidling luden dazu alle Interessierten ein.
Wegen des schlechten Wetters: Anreise mit dem Bus
Nur das Wetter will ausgerechnet an diesem Tag nicht so recht mitspielen. Da nehmen einige das Angebot dankend an, mit dem fahrbaren Untersatz nach oben gebracht zu werden - wir auch. Mit fünf kleinen Kindern auf den Rücksitzen und dem Sohn vom Genossenschaftsvorstand, Heinrich Koch, am Steuer, starten wir in Schnelling bei Teisendorf, am Hof der Kochs. Auf steilen und kurvigen Forstwegen manövriert uns der Junior souverän in Richtung Stoißer Alm.
Eine Kuh auf der Fahrbahn und Tramper mitten im Wald
Erster Kontakt mit einer Kuh: Auf halbem Weg hüpft das gescheckte Vieh einfach auf die Fahrbahn: „Na, du gehst jetzt zur Seitn“, Heinrich Koch junior lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Und kurze Zeit später: Mitten im Wald stehen zwei Wanderer und wollen per Anhalter mitgenommen werden: Zu kalt, zu weit, sie würden dann die Wanderung jetzt abbrechen wollen: Wir rutschen zusammen und nehmen die beiden Gäste mit nach oben, auf 1334 Meter Höhe.
Die richtige Terminologie: „Kalbinnen ist nicht gegendert“
Die Stoißer Alm liegt an diesem Samstagmittag noch komplett im Nebel. Einige haben es aber dann trotz Schmuddelwetter doch geschafft. Und weil bei den Temperaturen keiner gern draußen herumsteht, ist der Gastraum der Hütte brechend voll. Es sind ja schon allein 30 Treiber da, um anschließend alle Kühe ins Tal zu begleiten - Kühe, werden wir korrigiert, heißt das aber nicht.
„Kalbinnen heißt das eigentlich, das ist auch nicht gegendert“, lacht die Frau von Heinrich Koch junior, Sophie. Das sei das hochdeutsche Wort für Koima: „Geschlechtsreife junge Kuh, die noch kein Kalb geboren hat“, so erklärt es das Wörterbuch. Wir werden im Lauf des Tages noch ganz oft versehentlich Kuh statt Kalbin sagen, aber die Almbauern verzeihen es. Bevor der Trubel so richtig losgeht, setzten wir uns mit zweien an den Küchentisch: Heinrich Koch Senior und Hermann Hogger. Die Stoißer Alm ist eine Genossenschaftsalm, die beiden sind im Vorstand:
Die Stoißer Alm hat eine lange Geschichte: 95 Jahre Genossenschaftsalm
„Bei uns sind alle Bauern gleichberechtigt“ erklärt Hogger. Im Frühjahr werden die Kalbinnen auf die Alm getrieben, aber, so Hogger von den Mitgliedern der Genossenschaft, hätten nur noch 14 Bauern Viecha auf der Alm stehen. Seit bereits 95 Jahren geht das Konzept Almgenossenschaft auf. Und die Almbauern haben immer zusammengehalten. Zweimal stand die Hütte lichterloh in Flammen, auch das haben die Bauern und Sennerinnen gemeinsam überstanden. Und so rutscht man auch am heutigen Tag näher zusammen, um sich nochmal aufzuwärmen, bevor das Aufkranzen beginnt.
„Bestimmt schon seit über zehn Jahren nicht mehr.“ Hogger und Koch müssen länger nachdenken. Wann das letzte Mal der Almabtrieb ausgefallen sei, wollen wir wissen. Aber zum Glück sei den Kalbinnen schon lang nichts mehr passiert während der Almsaison. Während wir uns im Warmen über den gelungenen Almsommer unterhalten, sind die insgesamt 30 Treiber und Treiberinnen aufgebrochen. Sie sammeln draußen im Nebel die Kalbinnen ein. Eine Jungkuh nach der anderen reiht sich hinterm Haus dicht an dicht, mit den Stricken fest am Holzzaun angebunden. Vorneweg: Der Zaun wird nicht mehr lange stehen.
Den Blumenschmuck fürs Aufkranzen basteln die Almbäuerinnen und Sennerinnen
Wir machen aber noch kurz einen Abstecher in den Schuppen. Hier sind die Blumenkronen aufgereiht, damit der Regen sie nicht zerstört. Heinrich Koch senior erklärt uns, was es mit dem Blumenschmuck auf sich hat: „Das Kreuz kriegt der Stier auf. Die Kronen, die kriegen die schöneren und schwereren Koima, jeder Bauer kriegt mal eine Krone abwechselnd. Und ja, die Farben, das ist nur gestalterisch, das hat keine größere Bedeutung.“
Für das Gestell der Kronenkränze werden, so Koch weiter, kleine Bäumchen hergenommen „und da werden dann die Äste raufgebunden, damit es aussieht wie eine Krone. Und dann werden sie mit Koniferen umwickelt.“ Den Blumenschmuck fertigen jedes Jahr die Sennerinnen und Almbäuerinnen zusammen an. An regnerischen Sonntagen seien sie auch diesen Sommer zusammengesessen und hätten gebastelt.
Almabtrieb-Fans reisen aus Nordrhein-Westfalen an
Und jetzt gehts los: Die Kalbinnen sind vollständig eingesammelt. Wir nutzen die Zeit des Aufkranzens, um mal bei einigen Touristen nachzufragen, was sie bei dem schlechten Wetter motiviert hat, trotzdem zum Almabtrieb zu kommen? „Ich finde das schön, das ist Tradition, das muss man mal mitgemacht haben.“ Michaela Pietrzik und Brigitte Ahl sind mit ihren Männern aus Monheim zwischen Köln und Düsseldorf angereist. Und, da sind sie am heutigen Regentag auch recht stolz, sie haben den Weg auf die Alm zu Fuß überwunden.
Ein kurzer Schreckmoment: Kalbinnen reißen Holzzaun um
Das Aufkranzen der Kalbinnen, in Monheim am Rhein bei Michaela und Brigitte heißen die jungen Kühe übrigens Färsen, ist in vollem Gange - und da passiert es: Etwas lässt die Kalbinnen zusammenzucken und nach hinten gehen. Sie reißen den massiven Holzzaun mit sich. Das schwere Rundholz hängt jetzt an ihnen dran. Aber, nach kurzer Zeit ist Durchatmen angesagt. Die Treiber haben wieder alles im Griff. Schnell sind die Tiere vom Balken befreit. Nach einem Sommer in Freiheit ist so ein Almabtrieb für die Kalbinnen schon stressig, das sieht man ihnen an. Das wissen aber auch die Treiber.
Schnecke und Prinzessin: trächtige Teenager-Kühe
Da sind zum Beispiel Florian und Christian, die heute Schnecke und Prinzessin, zwei schöne braun-weiße Kalbinnen, ins Tal bringen werden. Geradezu liebevoll stehen sie neben den Jungkühen und streicheln, was das Zeug hält, um sie zu beruhigen. Sie erklären uns, dass Schnecke und Prinzessin und all die andren Kalbinnen jetzt wohl, „wenn der Stier seine Arbeit gut gemacht hat“, trächtig sein müssten. Sie werden kalben und fortan als Milchkühe auf den Wiesen im Tal weiden. Die Almwiesen sehen sie nicht mehr. Ihre Kälber wiederum stehen dann in zwei Jahren auf der Alm.
Alle gut angekommen: Grund zu feiern
Gut angekommen sind sie dann alle, die 30 Treiber und die Kalbinnen. Trotz Regen, trotz schwerem Schmuck auf dem Kopf. Die Kalbinnen werden auf die einzelnen Bauern verteilt und in den Stall gebracht. Für die Treiber und Besucher des Almabtriebs gibt es in Klötzel, am Fuße des Teisenbergs dann nochmal eine Brotzeit und sicherlich das ein oder andere Bier für die Helfer und Organisatoren. Schließlich kann man auf eine erfolgreiche Almsaison anstoßen. Nächstes Jahr dann hoffentlich wieder bei Kuh- statt Sauwetter.








