„A G‘spür für d‘Natur, de Leid, de Viecha und mi“
100 Tage auf der Alm: Eine besondere Liebeserklärung an das Leben in den Bergen
Hundert Tage dauert in der Regel ein Almsommer. Genauso lang waren Carina Pilz und Kerstin Riemer immer wieder in den Chiemgauer Bergen unterwegs, um einzigartige Momente in Bild und Text festzuhalten, die Menschen dort zu porträtieren und persönliche Einblicke in das Leben am Berg zu gewinnen. Daraus ist das Buch „Almfrieden“ entstanden. Ein Buch, das genau das aufgreift, wonach sich viele sehnen.
von Raphaela Kreitmeir
„Ruhe, Natur, Abstand zum Alltag“, ist das, was Kerstin Riemer (33) sofort auf die Frage einfällt, was Menschen in den Bergen suchen und finden. „Man ist ganz bei sich, kommt in die innere Balance“, ergänzt Carina Pilz (28). Und das gelingt sogar, wenn man dort arbeitet. Die beiden waren letztes Jahr im Almsommer, also von Almauftrieb im Frühjahr bis zum Abtrieb im Herbst, immer wieder mit Kamera und Aufnahmegerät in den Chiemgauer Bergen, um die Menschen und ihren Alltag dort kennenzulernen.
14 Almen haben sie besucht und die Besuche haben von wenigen Stunden bis hin zu mehreren Tagen gedauert. „Wir haben uns ganz bewusst auf den Takt eingelassen, der auf den Almen gilt und von der Natur vorgegeben wird“, erklärt Kerstin Riemer, die alle Texte in dem Buch „Almfrieden“ geschrieben hat. Die Tage beginnen frühmorgens mit dem Melken und klingen am Abend in der Stube beim Handarbeiten oder draußen unter dem Sternenhimmel aus. Dazwischen liegt jede Menge Arbeit. „Aber auch wenn die Arbeit hart ist und oftmals an die Grenzen geht, haben uns alle versichert, dass sie unter keinen Umständen tauschen möchten, weil sie über ihre Zeit frei bestimmen können.“ Eine Freiheit, die den Sennerinnen und Sennern sehr viel bedeutet. Mindestens ebenso viel wie die Traditionen, die dort oben eine große Rolle spielen. Die Wichtigste ist definitiv der Almabtrieb, der je nach Witterung zwischen Ende September und Mitte Oktober stattfindet.
Das feierliche Ende des Almsommers ist bereits ab Mariä Himmelfahrt präsent. Denn am 15. August darf traditionell mit dem Kranzen, also dem Anfertigen des Kopfschmucks für die Tiere, begonnen werden. Hergestellt wird dieser Kopfschmuck aus Krepppapier, bunten Bändern, Zweigen, die zu Kronen geformt und mit Almblumen, eingefärbten Holzspänen und kleinen Spiegeln geschmückt werden. Für den Kopfputz der Tiere gibt es keine verbindlichen Regeln, allein die Tradition der jeweiligen Alm und das Geschick der Sennerinnen und Senner entscheiden darüber, was die Kühe auf dem Kopf tragen. Ob sie allerdings geschmückt ins Tal getrieben werden, dafür gibt es eine ganz klare Regel: Nur wenn die Almsaison ohne schreckliche Unglücksfälle für Vieh und Mensch geendet hat, darf aufgekranzt werden. Sonst verzichten die Sennerinnen und Senner aus Respekt auf jede Dekoration beim Abtrieb. Das ist glücklicherweise nur selten der Fall.
Besonderen Schmuck tragen übrigens die Kuh, die als Leitkuh die Herde angeführt hat, und die Kuh, die während des Almsommers am meisten Milch gegeben hat. „Die Kunst des Kranzens wird von Generation zu Generation weitergegeben”, erzählen die Autorinnen. Je nach Form und Größe stecken bis zu 30 Arbeitsstunden in dem Kopfschmuck einer einzelnen Kuh. Vor allem die Rosetten, die manche Viehkrone schmücken, sind besonders arbeitsintensiv.
Was an manchen Orten wie ein Happening für Touristen inszeniert wird, folgt in den Chiemgauer Bergen wie auf der Vorderen Dalsenalm noch der ursprünglichen Tradition. „Wenn sich die Sennerinnen und Senner mit ihren Helfern im Kreis aufstellen, ein Vater-Unser beten, damit alles gut geht, einen Schnaps trinken und das Vieh loslassen, ist das ein Moment, bei dem nicht nur die Kühe, die ja sonst nie etwas auf dem Kopf tragen, aufgeregt sind”, erinnert sich Kerstin Riemer. „Wenn dann das ganze Dorf die Straße säumt und die Almerer wieder willkommen heißt, die Eltern ihre erwachsenen Kinder, die den ganzen Sommer hoch oben am Berg gearbeitet haben, in die Arme schließen, ist das ein Moment, den man nie wieder vergisst, weil er so berührend ist”, ergänzt Carina Pilz. Ganz viele dieser authentischen, berührenden Momente haben die beiden Autorinnen in ihrem Buch „Almfrieden“ gesammelt.
Der Titel des Buches ist aus einer Frage entstanden, die Kerstin Riemer allen Sennerinnen und Sennern gestellt hat. „Was bedeutet das Leben in den Bergen für dich?“, wollte die Autorin wissen. „Natur, Freiheit, Ruhe“, wurden von vielen genannt, aber alle antworten mit „Frieden“. Damit war klar, wie das Buch heißt. Mit dem Zusatz „A G‘spür für d‘Natur, de Leid, de Viecha und mi“ kommt die Bandbreite des Buches zum Ausdruck. Denn neben den 14 Almen, die vorgestellt werden, beleuchten die beiden Autorinnen in Text und Bild viele unterschiedliche Aspekte, die das Leben am Berg ausmachen. Dazu zählen Wildkräuter ebenso wie Naturschutz, geführte Bergwanderungen und – ganz wichtig – die Almküche. Die besten Rezepte sind im Buch zu finden.
Ein Buch über ihre heimischen Berge machen wollte Carina Pilz, die aus Söchtenau stammt, schon länger. Allerdings fehlte ihr als Fotografin etwas Wesentliches: Konzept und Text. Also schrieb sie Kerstin Riemer an, die in Staudach-Egerndach lebt und bereits als Autorin tätig war. Kurz darauf lernten sich die beiden persönlich kennen und man könnte fast sagen: „Es war Liebe auf den ersten Blick – zumindest im Hinblick auf das gemeinsame Buchprojekt.“ Sie wollten gemeinsam den Sehnsuchtsort Alpen mit persönlichen Geschichten der Sennerinnen und Senner anreichern, wollten Kraftorte am Berg ganz ohne Alm-Öhi-Idylle und Heidi-Klischee zeigen.
Ein Konzept, das überzeugte. Bereits vier Wochen nach dem Kennenlernen hatten sie einen Vertrag mit dem Kampenwand-Verlag unterschrieben. Kurz darauf starteten sie mit Fotoapparat, Block, Stift und Aufnahmegerät in die Chiemgauer Berge und begleiteten den Almauftrieb auf die Vordere Dalsenalm in Schleching, wo sie auch den Almabtrieb im Herbst erlebten. Dazwischen lagen viele Tage, die sie inmitten der Chiemgauer Berge auf Almen und Wiesen, bei Menschen und Kühen, beim Melken und Kochen, beim Kräutersammeln und Wandern zugebracht haben.
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