Einen Monat danach
Die Flut ist weg - aber die Geld-Sorgen und die Angst bleiben
Einen Monat nach dem massiven Hochwasser in Bayern kämpfen viele Betroffene noch immer mit den Folgen. Materiell, aber auch psychisch. Und während die Ortspolitiker einen effektiveren Hochwasserschutz anmahnen, bleibt bei den Opfern weiter der bange Blick nach oben.
München – Hans Summerer, 59, denkt in letzter Zeit oft über seine Rente nach. Wie viel Geld ist dann noch übrig? Was können wir uns noch leisten? Die Altersvorsorge für sich und seine Frau hat er gerade in sein Haus in Reichertshofen gesteckt – das Hochwasser hat alles zerstört. Wo vor einem guten Monat noch ein gemütliches Wohnzimmer, Esszimmer und Küche waren, ist jetzt Baustelle. Möbel, Türen, Boden, Estrich – alles kaputt. 180 000 Euro Schaden. 2500 Euro haben sie Soforthilfe vom Staat bekommen, das Ersparte ging drauf, für den Rest mussten sie einen Kredit aufnehmen. Versichert waren sie nicht, das war so nah an der Paar viel zu teuer. Summerer und seine Frau wohnen gerade im ersten Stock, die Tochter, die nebenan in einer ebenfalls überfluteten Erdgeschosswohnung lebt, ist bei Bekannten untergekommen.
Die Flutkatastrophe in seinem Landkreis Pfaffenhofen ist jetzt einen Monat her. „Meistens sind wir beschäftigt, alles zu organisieren“, sagt der 59-Jährige, der für einen Rüstungskonzern arbeitet. Handwerker organisieren, Baustelle koordinieren. Aber in ruhigen Momenten kommt auch Sorge auf, dass das Wasser wieder durch alle Ritzen drückt. Und der Albtraum von vorne beginnt.
Bürger haben Angst
Auch der Pfaffenhofener Landrat Albert Gürtner (FW) weiß, dass seine Bürger immer noch Angst haben – jedes Mal, wenn der Wetterbericht viel Regen vorhersagt. Die Menschen in den besonders betroffenen Ortschaften haben so viel verloren, ihre Häuser sind kaputt, Heizungen, Möbel, Autos. Aber auch liebe Erinnerungsstücke, Fotoalben. „Da sind seelische Schäden entstanden, die nicht so schnell vergehen“, sagt Gürtner. Immerhin: Sein Landkreis hat schon zwei Millionen Euro Soforthilfe ausbezahlt, zum Teil hätten die Betroffenen das Geld zwei Tage nach dem Antrag auf dem Konto gehabt. Bayernweit, so teilt das Finanzministerium auf Anfrage mit, gingen rund 9500 Soforthilfeanträge ein, 17,5 Millionen Euro wurden bislang ausbezahlt. Das meiste in Schwaben mit 11 Millionen, gefolgt von Oberbayern mit 5,7 Millionen. Aber ein Schlusspunkt ist das noch lange nicht.
Michael Franken, Bürgermeister in Reichertshofen, wo das Flüsschen Paar über die Ufer getreten war, sagt zwar: „Am Straßenbild ist so gut wie nichts mehr zu sehen.“ Als die Bürger begonnen hätten, ihre Keller auszuräumen, sei es zwischenzeitlich chaotisch gewesen – doch nach einer Woche war der Sperrmüll weitgehend verschwunden. Franken weiß aber auch, dass viele Reichertshofener, bei denen das Hochwasser wie bei Summerer bis im Erdgeschoss stand, einen sechsstelligen Schaden beklagen. Die Gemeinde selbst rechnet mit etwa 200 000 Euro.
Beim Hochwasser waren fast 40 000 Einsatzkräfte aller Hilfsorganisationen im Einsatz, die größte Gruppe waren die Ehrenamtlichen der Freiwilligen Feuerwehren Bayerns. Der Kreisbrandrat von Pfaffenhofen, Christian Nitschke, war tagelang fast ohne Pause unterwegs, um zu koordinieren, anzupacken. „Das war schon sehr prägend, ein wahnsinniges Trauma“, sagt Nitschke. Er erlebt, dass viele Menschen immer noch nachdenklich sind. Vor allem in Ehrenberg. Aus dem Ort kam der 42-jährige Feuerwehrmann, der bei einem Einsatz auf dem Schlauchboot kenterte und in den Fluten ertrank. Auf der Beerdigung waren hunderte Menschen. Nitschke weiß, dass die Dorfgemeinschaft die Familie des Verstorbenen unterstützt: „Sie treffen sich mehrmals in der Woche, sind füreinander da.“ Der Landesfeuerwehrverband hatte während der Flut einen Spendenaufruf gestartet, insgesamt 900 000 Euro sind zusammengekommen – ein Teil davon geht an die Familie.
„Hochwassereinsatz ist lebensgefährlich“
Die psychische Aufarbeitung ist das eine, mit der Betroffene und Einsatzkräfte beschäftigt sind. Aber auch technisch wird die Flutkatastrophe im Nachhinein beleuchtet. „Es werden jetzt viele Dinge erhoben, damit wir belastbare Zahlen zum Schadensumfang haben“, sagt Nitschke. Er will aber auch in die Zukunft blicken – denn das nächste Hochwasser kommt bestimmt. Schlimmer? Weniger schlimm? Das weiß niemand. Nitschke sagt: „Es darf nicht wieder passieren, dass uns die Sintflut so kurzfristig gemeldet wird.“ Die Prognosen müssten genauer werden. Und aus Feuerwehrkreisen heißt es, dass man sich genau anschauen müsse, ob die Ausrüstung und der Ausbildungsleitfäden für die ehrenamtlichen Kräfte für Einsätze dieser Dimension ausreichen. „Ein Hochwassereinsatz ist lebensgefährlich“, sagt Nitschke.
Und auch der Reichertshofener Bürgermeister Franken fordert, den Hochwasserschutz für künftige Fluten zu überprüfen. „Unser hundertjähriger Hochwasserschutz wurde um 50 Zentimeter überspült“, sagt er. Er hofft, dass in einer landkreisübergreifenden Arbeitsgruppe ein Gesamtplan erarbeitet wird. „Wir müssen schauen, wo wir Überschwemmungsgebiete für die Paar einrichten können, damit es nicht wieder so schlimm wird.“ Es bringe ja nichts, wenn in seiner Gemeinde die Mauer einen Meter höher gebaut werde – und das Wasser dann flussabwärts über die Dämme tritt. Das sieht auch Landrat Albert Gürtner so. Er drängt auf eine schnelle Lösung, solange die Katastrophe noch in den Köpfen ist: Rückhaltebecken in der Fläche, Lösungen mit Landwirten, die ihre Flächen für Überflutung zur Verfügung stellen. „Ich will das Eisen schmieden, solange es noch heiß ist“, sagt er. „Das soll nicht Jahrzehnte dauern.“
Hans Summerer führt gerade Gespräche mit Versicherungen, er will unbedingt eine Lösung. Und er hat sich über Schutzvorrichtungen für die Türen informiert. Mehr, sagt er, kann er nicht machen. „Ich kann ja keinen zwei Meter hohe Mauer um mein Grundstück bauen.“