„Hundertjährliches Ereignis“
Reißende Bäche binnen Minuten - Schock in Landshut nach dem Unwetter
In weiten Teilen Bayerns haben am Dienstagabend Gewitter gewütet, die örtlich heftig ausfielen. Wo sonst Touristen das mittelalterliche Landshut bewundern, rauschten schlammige, reißende Wassermassen durch die Straßen von Landshut. Ein extremes Unwetter hatte die Stadt heimgesucht. Auch in anderen Teilen Bayerns war es chaotisch. Lässt sich die Heftigkeit des Gewitters erklären?
Update, 13.15 Uhr - Schock in Landshut nach dem Unwetter
Das schwere Unwetter in Landshut dauerte nur eine halbe Stunde - doch die reichte aus, um weite Teile der mittelalterlich geprägten Stadt am Dienstagabend zu verwüsten. „Binnen Minuten sind Straßen zu reißenden Bächen geworden“, sagte am Mittwochmorgen Feuerwehrsprecher Dominik Zehatschek. Die Stadt spricht von einem „hundertjährlichen Ereignis“. Innerhalb von nur einer halben Stunde seien 57 Liter Niederschlag pro Quadratmeter gefallen.
In Landshut surfen jetzt die Verkehrsschilder (Wait for it) #Gewitter pic.twitter.com/hcdkp2s89X
— Daniel Cremer (@dcremer_) June 29, 2021
Auch in anderen Teilen Bayerns richteten Gewitter, Hagel, Starkregen und Sturmböen Schäden an. Eine Folge des Klimawandels Tatsächlich warnen Forscher: So schwere Gewitter könnten in Zukunft häufiger werden, vor allem wegen des Klimawandels. Gewitterlagen wie die der vergangenen Tage seien in der Heftigkeit zwar immer noch ein relativ seltenes Ereignis. „Aber auch ich habe den Eindruck, dass sie in dieser Heftigkeit häufiger geworden sind“, sagte der Meteorologe Uwe Schickedanz dem „Südkurier“. „Sie sind aber noch nicht so häufig, dass wir statistisch sagen könnten, es ist mehr geworden.“ Auch der Physiker Christian Plaß-Dülmer schätzt die Lage ähnlich ein. Weil sich die Erde infolge des Klimawandels erwärme, werde es mehr extreme Wetterlagen geben, erklärte der Leiter des Bergobservatoriums auf dem Hohen Peißenberg am Starnberger See der „Süddeutschen Zeitung“.
Nach Unwetter: Großes Aufräumen in Landshut




Die Landshuter jedenfalls traf es hart. „Wir haben Wildbäche gehabt, wo sonst Straßen sind“, sagte Oberbürgermeister Alexander Putz dem Bayerischen Rundfunk (BR). Unvorstellbare Wassermassen seien die Hänge rings um die Stadt heruntergekommen. Nach Auskunft der Feuerwehr rissen die Fluten Autos mit, unterspülten Straßen und schwemmten Unmengen an Schlamm auf die Straßen und in die Häuser. Einige Menschen wurden in ihren Autos von Wasser eingeschlossen. Mit Hilfe der Feuerwehr kletterten sie durch die Autofenster ins Freie. Dabei wurden laut Zehatschek einige leicht verletzt. Die ganze Nacht und bis in den nächsten Tag schufteten Rettungskräfte und Bewohner, um Straßen und Häuser von Wasser und Schlamm zu befreien. Viele standen unter Schock, manche bangen gar um ihre Existenz.
Erstmeldung
Heftige Unwetter sind am Dienstag erneut über Bayern gezogen und haben auch den Bahnverkehr beeinträchtigt. In der Region hat das Unwetter am Abend des 29. Junis hat besonders den Landkreis Mühldorf getroffen, aber auch im Rosenheimer Land war „einiges los“, wie die Integrierte Leitstelle Rosenheim auf Nachfrage bestätigte. Weit über 50 Einsätze waren es in den Kreisen Miesbach und Rosenheim (Live-Ticker von Dienstagabend).
Unwetter-Fotos unserer Leser




Die Integrierte Leitstelle Traunstein war am Dienstagabend mit gut 20 Mann voll besetzt und hatte alle Hände voll zu tun. Besonders schwer wurde die Region um die Stadt Mühldorf, Ampfing und Neumarkt-Sankt Veit getroffen. Dort seien zahlreiche Keller und Tiefgaragen vollgelaufen, wie die Integrierte Leitstelle Traunstein berichtet. Aber auch viele Bäume wurde von den starken Sturmböen gefällt, Zugverbindungen wurden teilweise unterbrochen. Am Mittwochmorgen meldeten weder die Bayerische Regiobahn noch die Südostbayernbahn Behinderungen.
Die Landkreise Altötting, Traunstein und Berchtesgadener Land wurden weitgehend von schweren Sturmschäden verschont. In diesem Bereich mussten die Feuerwehren zwar auch das ein oder andere Mal ausrücken, aber meistens nur zu kleineren Einsätzen, wie umgekippten Bäumen.
Blitz schlägt in Asphalt von A99 ein
153 unwetterbedingte Einsätze registrierte am Dienstag zwischen 16.30 Uhr und 21.45 Uhr die Ingolstädter Einsatzzentrale. Darüber hinaus wurden im gleichen Zeitraum 29 Einsätze erfasst, bei denen eine Verkehrsgefahr vorlag. Hauptsächlich handelte es sich dabei um umgestürzte Bäume und umherfliegende Äste die teilweise die Fahrbahnen blockierten. Nach derzeitigem Kenntnisstand wurden keine Personen verletzt.
Auf der A99 zwischen der Anschlussstelle München-Neuherberg und dem Autobahndreieck Feldmoching Fahrtrichtung Stuttgart kam es gegen 17:25 Uhr zu einem Blitzeinschlag auf der mittleren Fahrspur. Durch den Einschlag wurde ein etwa faustgroßes Loch in die Fahrbahndecke gerissen. Zwei zu diesem Zeitpunkt in der Nähe befindliche Fahrzeuge, ein Lkw und ein VW, wurden durch den Blitzschlag in der Elektronik beschädigt und waren infolgedessen nicht mehr fahrbereit.
Sturzfluten setzen Landshut unter Wasser
In Landshut stand in Teilen der Stadt das Wasser in den Straßen, Sturzbäche gingen nieder. Zahlreiche Bäume stürzten um, Keller liefen voll. Bei der Landshuter Feuerwehr gingen mehr als 600 Notrufe ein, wie ein Sprecher der Integrierten Leitstelle am Abend erklärte. Berichte über verletzte Personen gab es aus ganz Bayern zunächst nicht.
Unwettereinsatz am 29. Juni auch in Geisenhausen im Landkreis Landshut




Zum Anpfiff des EM-Fußballspiels Deutschland gegen England waren Starkregen, Blitz und Donner über die Stadt gezogen, sagte ein Polizeisprecher. Sturzbäche bildeten sich auf den Straßen, Autos wurden weggeschwemmt, aus den Gullydeckeln sprudelte das Wasser, das die Kanalisation nicht mehr aufnehmen konnte. Es stürzten Bäume um, Keller liefen voll, das Wasser beschädigte Stromkästen und Öltanks, wie Mirko Olzem von der Integrierten Leitstelle sagte. Verletzt wurde nach ersten Erkenntnissen niemand. „Das war ein Unwetter, wie es nur alle fünf bis zehn Jahre vorkommt“, ergänzte er.
Große Wassermassen seien innerhalb kürzester Zeit über Landshut niedergegangen. Zwischen 17.30 Uhr und 20.45 sind Feuerwehr und Rettungsdienst nach Angaben der Leitstelle zu knapp 650 Einsätzen ausgerückt. Später seien nur noch einzelne dazugekommen. Viele werden das Ausmaß der Schäden erst am Morgen erkennen, wie Olzem sagte. Im Jahr 2016 habe es ein ähnliches Unwetter in der Ortschaft Essenbach in der Nähe von Landshut gegeben.
Mehr als 800 Notrufe binnen weniger Stunden
Auch in der Oberpfalz wüteten die Sommergewitter. Die Leitstelle verzeichnete im gesamten Regierungsgebiet binnen weniger Stunden 200 Notrufe. Vor allem waren umgestürzte Bäume die Ursache. Auf der Bahnstrecke Regensburg-Ingolstadt fiel ein Baum auf die Oberleitung, ein Zug musste anhalten, die Fahrgäste mussten auf Busse umsteigen, berichtete die Polizei. Im Kreis Neumarkt stürzte eine Stallung ein. Weder Menschen noch Tiere wurden verletzt. In Mantel (Kreis Neustadt an der Waldnaab) musste die Feuerwehr einen verletzten Habicht zum Tierarzt bringen.
In Lindau am Bodensee wurde die Anlage einer Gartenschau beschädigt, wie die Veranstalter mitteilten. Es knickten Äste von Bäumen ab, stürzten Bauzäune um und gingen Türen von Gewächshäusern zu Bruch. Die Schau sollte am Mittwoch wie geplant öffnen können.
In Krefeld führte der Starkregen ebenfalls dazu, dass Keller, Straßen und Tiefgaragen geflutet worden, wie die Feuerwehr am Mittwochmorgen mitteilte. Dort habe eine Person zudem durch einen Sturz aufgrund der Wassermassen einen Knochenbruch erlitten. Bis 2 Uhr in der Nacht seien bereits mehr als 2000 Anrufe in der Leitstelle der Feuerwehr Krefeld eingegangen, davon mehr als 800 Notrufe. Mehrere Anrufer meldeten, dass sie mit ihren Fahrzeugen in überfluteten Unterführungen, aber auch auf der offenen Straße in den Wassermassen stecken geblieben waren und sich nicht mehr aus eigener Kraft aus den Fahrzeugen befreien konnten.
Unwetter wütet am Dienstag über der Region




Viele Bahnstrecken gesperrt
Im Bahnverkehr waren Verbindungen zwischen Stuttgart und München, Stuttgart und Nürnberg, zwischen Erfurt, Nürnberg und München, zwischen Fulda und München sowie zwischen Frankfurt (Main) und Passau betroffen. Sie seien vorübergehend eingestellt worden. Die Nachtzüge der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) von und nach Amsterdam, Brüssel, Innsbruck und Wien fallen aus, wie die Bahn weiter mitteilte. Noch fahrende Fernzüge seien teilweise sehr voll. Dafür werde um Verständnis gebeten, hieß es. Reisende wurden gebeten, sich vor Reiseantritt über ihre Verbindung zu informieren.
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Im bayerischen Regionalverkehr wurden mehrere Strecken gesperrt und der Zugverkehr eingestellt, darunter waren zum Beispiel die Strecken zwischen Landshut und Plattling (Landkreis Deggendorf), zwischen München und Buchloe (Landkreis Ostallgäu) und zwischen Nürnberg und Schwabach, wie es auf der Internetseite der Bahn hieß.
mh/bcs/dpa

