Auch die Region stark betroffen
Deutschland liegt flach: knapp 8 Millionen Kranke – heftiger Anstieg von Corona
Schniefend und hustend in die Feiertage: Wer will das schon? Doch rund anderthalb Wochen vor dem 24. Dezember sind Corona und andere Atemwegserkrankungen weit verbreitet. Die klassische Grippewelle hat jedoch noch gar nicht begonnen. Dafür weisen Abwasserproben auf einen starken Corona-Anstieg hin - auch in der Region.
Landkreise - Die Vorweihnachtszeit in Deutschland wird getrübt durch weiter zunehmende Infektionszahlen bei akuten Atemwegserkrankungen. Corona, Erkältungen und auch Grippe sind immer noch oder zunehmend auf dem Vormarsch, wie aus Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) vom Mittwochabend (13. Dezember) hervorgeht. Im Bericht zur Lage in der Woche bis 10. Dezember ist von hochgerechnet etwa 7,9 Millionen akuten Atemwegserkrankungen (vorheriger Bericht: 7,1 Millionen) bundesweit die Rede, unabhängig von Arztbesuchen.
Nachdem vor allem Corona schon länger dominiert, rief das RKI jüngst noch den Beginn der RSV-Welle aus (RSV steht für Respiratorische Synzytial-Virus-Infektionen). Nun nehmen aber auch Grippe-Nachweise deutlich zu.
„Wir wissen, dass im Augenblick etwa ein Drittel der Infektionen auf Sars-CoV-2 zurückzuführen ist, ein Drittel auf Rhinoviren, also banale Schnupfenviren“, sagt der Virologe Oliver Keppler von der LMU München gegenüber dem BR. „Bei den Kindern kommt seit Kurzem eine RSV-Welle dazu.“
Corona-Meldezahlen nur Spitze des Eisbergs
Die Corona-Inzidenz liefert nur noch geringer Aufschluss über die aktuelle Infektionslage. Wer sich überhaupt noch Zuhause testet, teilt das positive Ergebnis nur noch selten seinem Hausarzt mit, geschweige denn ein PCR-Test wird durchgeführt. Wer also derzeit tatsächlich mit Covid19 zu kämpfen hat, ist unklar. Dennoch wurden in der vergangenen Woche 26.850 Erkrankte gemeldet. Die Meldezahl ist als Spitze des Eisbergs zu verstehen.
Allerdings gibt es mittlerweile einen aufschlussreicheren Datenlieferanten als die Inzidenz: Das Abwassermonitoring. An insgesamt 129 Standorten, das heißt Kläranlagen, werden derzeit regelmäßig Analysen getätigt, welche auf das Infektionsgeschehen Rückschlüsse geben. Denn von Infizierten ausgeschiedenen Genfragmente von Sars-CoV-2 - Ausspucken beim Zähneputzen oder Stuhlgang - sind im Abwasser molekularbiologisch nachweisbar.
Corona im Abwasser
Auf der Internetseite des Corona-Pandemieradars, betrieben vom Bundesministerium für Gesundheit und dem Robert Koch-Institut, wird die Entwicklung der Viruslast pro Liter Abwasser über einen Zeitraum veranschaulicht. Die gemessenen Werte werden dabei entsprechend des Standorts, des Messtags und der Anzahl der an die untersuchte Kläranlage angeschlossenen Haushalte angepasst und gewichtet. Anschließend erfolgte die Bildung eines Mittelwerts, um eine repräsentative Darstellung zu gewährleisten.
Und dieses Monitoring zeigt eindeutig einen starken Anstieg an Corona-Infizierten. „Die Hinweise auf steigende Infektionen im Abwassermonitoring passen auch zur tatsächlichen Situation in der Bevölkerung“, bestätigte auch Christoph Spinner, Infektiologe am Klinikum rechts der Isar.
Tendenz auch in Freilassing und Teisendorf ansteigend
In Bayern gibt es derzeit über 20 solcher Messstellen - in der Region sind es die Standorte Altötting, Freilassing und Teisendorf. Während die Situation in Altötting als unverändert bewertet wird, ist die Tendenz in Freilassing und Teisendorf ansteigend.
Positiv ist allerdings zu bewerten, dass relativ wenige Corona-Erkrankte in der Klinik bzw. auf einer Intensivstation behandelt werden müssen. Hier deckt sich die Bayern-Kurve mit der Deutschland-Kurve beinahe.
Das Robert Koch-Institut schätzt, dass in der vergangenen Woche durchschnittlich 9.500 von 100.000 Einwohnern an einer akuten Atemwegserkrankung litten (im Vergleich zur Vorwoche, in der die Zahl bei etwa 8.500 lag). Vor einem Jahr um diese Zeit war die Rate noch höher, während sie in mehreren der vorangegangenen Jahre niedriger ausfiel. Dies könnte jedoch teilweise auf die damaligen Maßnahmen zur Eindämmung von Corona zurückzuführen sein.
Grippewelle noch nicht begonnen
Nach RKI-Definition hat die Grippewelle, ausgelöst durch Influenza-Viren, aber noch nicht begonnen. „Von Influenzaerkrankungen sind bisher vornehmlich Kinder im Schulalter und junge Erwachsene betroffen“, heißt es im Bericht. Die Meldezahl, also im Labor bestätigte Fälle von Influenza, ist mit rund 1400 für die Vorwoche bundesweit noch relativ niedrig. Sie hat sich aber im Wochenvergleich mehr als verdoppelt. Corona wird also hierzulande noch sehr viel häufiger festgestellt.
Mit Corona einen Erreger mehr
Bei Atemwegserkrankungen kann sich die Entwicklung von Saison zu Saison erheblich unterscheiden. Bei den derzeit hohen Werten könnte Fachleuten zufolge immer noch ein kleiner Nachholeffekt eine Rolle spielen: Das bedeutet, dass sich gerade womöglich noch etwas mehr Menschen mit Erregern anstecken, mit denen sie in den Pandemie-Jahren nicht oder seltener als üblich in Kontakt kamen.
„Aber man muss natürlich auch beachten, dass wir jetzt einen Erreger für Atemwegserkrankungen mehr haben“, sagte der Dortmunder Immunologe Carsten Watzl der Deutschen Presse-Agentur. Wenn man den derzeit relativ hohen Anteil von Sars-CoV-2 an allen Atemwegsinfektionen betrachte, so sei es kein Wunder, dass die gesamte Inzidenz über dem Niveau der Jahre vor der Pandemie liege.
Menschen sind womöglich stärker sensibilisiert
„Zudem ist von einer höheren Aufmerksamkeit in der Bevölkerung auszugehen“, sagte der Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb. Und damit tendenziell auch von mehr Arztbesuchen wegen Atemwegserkrankungen, die sich auch in der Statistik beziehungsweise den Arbeitsunfähigkeitszahlen niederschlagen könnten.
Watzl widerspricht vehement Behauptungen, wonach die Hygienemaßnahmen in der Pandemie dem Immunsystem geschadet haben könnten. Dies stimme einfach nicht. „Ich muss mein Immunsystem nicht durch Infektionen trainieren, damit es überhaupt erst aktiv ist.“ Dass vermiedene Infektionen von damals nun nachgeholt werden, bedeute keine Schwächung des Immunsystems.
Schwere Corona-Verläufe sind nicht Geschichte
Trotz der Grundimmunität durch Impfungen und Infektionen in der Bevölkerung sind schwere Verläufe nicht völlig passé. Eine Corona-Infektion könne „noch ganz schön“ krank machen, sagte der Charité-Experte Leif Sander kürzlich im Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB). „Auch solche Ausprägungen, wie wir sie vor ein paar Jahren gesehen haben.“ Gründe könnten etwa eine länger zurückliegende Impfung oder keine gute Immunisierung sein. Einen gewissen Grad an Vorsicht halte er daher für geboten: Freiwillig eine Maske zu tragen, sei etwa in einer sehr vollen U-Bahn vernünftig - auch zum Schutz vor anderen Viren.
Auf die Corona-Warnungen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) der vergangenen Tage folgte am Mittwoch Kritik vom Chef der Kassenärzte, Andreas Gassen. „Ich halte seine Warnungen und Appelle in der Dringlichkeit für überzogen. Wir haben schließlich keine pandemische Lage mehr“, sagte Gassen der „Rheinischen Post“. Früher habe man auch nicht wegen Erkältungen oder der Grippe überall zum Maskentragen und zum Verzicht auf Weihnachtsfeiern in Innenräumen geraten. „Was Sinn macht, ist die Impfung gegen Corona und Grippe für alle Älteren und Risikogruppen“, sagte Gassen.
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