Ein Weltenbummler wird sesshaft
Ein Markt Schwabener in Kolumbien: Darum lebe ich im Dschungel
Sebastian Mittermüller (30) aus Markt Schwaben hat in Kolumbien eine alternative Lebensform gefunden. Mitten im Dschungel.
Markt Schwaben – Zuerst, gibt Silvia Mittermüller zu, sei das alles sehr komisch gewesen. Der eigene Sohn ganz weit weg. In einer anderen Welt sozusagen, die auch noch ganz anders ist als die eigene. Dass ihr Sebastian ein völlig anderes Leben führt, als wie das in Bayern so üblich wäre, hat die 59-Jährige aber inzwischen akzeptiert. „Die hängen da ja nicht den ganzen Tag tatenlos rum“, sagt sie fast trotzig.
Die, das sind ihr inzwischen 30-jähriger Basti und ein fast gleichaltriger Spezl aus England, den der Markt Schwabener auf einer noch immer andauernden Weltreise kennenlernte. Die beiden haben sich jedenfalls vor rund zwei Jahren im Dschungel von Kolumbien gute zehn Hektar Land gekauft – mit einer Hütte drauf. Und bewirtschaften das Areal seither land- und forstwirtschaftlich.
Strom kommt aus Panels, einem Zusammenschluss vieler einzelner Solarzellen. Internet ist allerdings nur zeitweise vorhanden. Manchmal dauert es bis zu 14 Tage, bis Silvia Mittermüller wieder direkt mit ihrem Sohn kommunizieren kann.
Im vergangenen Jahr waren die Eltern aber persönlich drüben in Südamerika. Zum 30. Geburtstag von Sebastian, den manche hierzulande vielleicht noch kennen als erfolgreichen Kicker beim FC Falke.
Das ist er aber schon lange nicht mehr. Spätestens seit 2016, als es ihn in die weite Welt zog. Zuerst nach Australien, dann Asien sowie Amerika und jetzt Kolumbien.
Nebenbei war Sebastian Mittermüller immer auch künstlerisch aktiv. Zum Beispiel schuf er Nagelbilder. Selbstverständlich in Absprache mit der Mutter sind einige dieser Arbeiten gerade in der Geschäftsstelle Bahnhofstraße unter den Arkaden zu sehen; und zwar im Rahmen der noch laufenden Kunstpfad-Aktion in Markt Schwaben, die am 16. April abgeschlossen wird.
Wir sprachen mit Mittermüller. Beziehungsweise schickten ihm per Mail einen Katalog von Fragen. „Ich bin da wie ein offenes Buch“, teilte er schon im Vorfeld von mich mit.
Herr Mittermüller. Wenn Sie sich gerade mal um 360 Grad drehen. Was haben Sie dann alles zu Gesicht bekommen?
Sebastian Mittermüller: Kurz gesagt: mein Dschungel-Paradies. Das beinhaltet unser Haus, unseren Bach mit glasklarem, trinkbarem Wasser, unzählbare verschiedene wilde Bäume und Pflanzen. Eine Vielzahl an unterschiedlichen Tieren wie Vögel, Affen und unfassbar vielen Insekten und Schmetterlingen. Außerdem unseren Garten mit Bananenstauden, Papayas, Ananas, Zuckerrohr und vielen weiteren nützlichen Pflanzen.
In meiner gesamten Reisezeit hatte ich mehr und mehr den Drang zur Natur.
Wie kommt man auf die Idee, back to the roots zu gehen und das ganz einfache Leben zu leben?
Mittermüller: In meiner gesamten Reisezeit hatte ich mehr und mehr den Drang zur Natur. Nach einer gewissen Zeit findet man in Städten dann doch überall auf der Welt mehr oder weniger das Gleiche. Das Gefühl, von innerer Ruhe, die man bekommt, wenn man sich inmitten von Naturkulissen wie im Dschungel, der Wüste oder auf Bergen befindet, kann keine Stadt der Welt für mich ersetzen. Und als ich letztes Jahr diesen Dschungel hier entdeckte, war es für mich ganz klar, dass das der Ort ist, wo ich meinen inneren Tarzan voll und ganz rauslassen kann. Das heißt allerdings keinesfalls, dass es das ganz einfache Leben ist. Ganz im Gegenteil. Schließlich haben wir hier von ganz neu anfangen und uns integrieren müssen. In einer Umwelt, die uns nicht vertraut ist, einem Land, in dem wir die Sprache erst lernen mussten und uns die Kultur eher fremd ist.
Wie schaut so ein ganz typischer Tag aus zwischen dem Aufstehen und Zubettgehen?
Mittermüller: Da wir bisher noch keinen Strom auf dem Land haben, ist unser Rhythmus ziemlich dem Tageslicht angepasst. Das bedeutet: Ich stehe relativ früh, zwischen 6 und 7 Uhr, auf. Dann wird erst mal Körper und Geist aktiviert durch Work-out, Yoga und Meditation. Anschließend wird das Geschirr im Bach gewaschen, wobei wir tatkräftige Unterstützung der Fische bekommen. Dann ein Bad in besagtem Bach, um den Kreislauf komplett in Schwung zu bringen. Der restliche Tagesverlauf hängt dann ganz vom Wetter ab, nachdem wir hier ja im tropischen Regenwald leben. Bei schönem Wetter wird draußen im Garten gearbeitet. Also Gemüse- und Obstbeete anlegen. Bereiche in denen wir etwas bauen wollen, freilegen, Feuerholz hacken – oder wir gehen zu einem unserer Wasserfälle oder unserem Flussstrand und genießen die Sonne. Bei Regen wird sich entweder kreativ betätigt, durch Stringart, malen oder Musik spielen, jonglieren, oder wir arbeiten im Haus... Dazu muss man sagen, dass wir nur einen Raum mit Wänden haben. Abends sitzen wir dann in unserem Wohnzimmer um ein Lagerfeuer, hören Musik und quatschen miteinander über Gott und die Welt oder lesen und relaxen.
Ihre Mutter sagte uns, Sie seien handwerklich nicht ungeschickt. Was fällt da so an jeden Tag?
Mittermüller: Haha: Das hat sich natürlich von kleineren handwerklich Projekten damals in Deutschland zu jetzt hier im Dschungel sehr drastisch verändert. Handwerkliche Projekte fallen hier tagtäglich an. Sei es mit der Kettensäge gewisse Bäume fällen, die zu nah an unseren Häuschen sind, Feuerholz hacken, mit der Machete Bereiche freilegen, die Erde mit dem Spaten umgraben oder Häuschen bauen, um nur ein paar davon zu nennen. Wobei die Axt und die Machete definitiv meine Lieblingswerkzeuge sind.
Derzeit haben wir beide kein Einkommen. Wir investieren gerade unsere Zeit und Geld, um hier etwas aufzubauen, von dem wir später leben können.
Wovon bestreiten Sie und ihr englischer Spezl ihren Lebensunterhalt? Reicht das, was sie auf ihrer Urwald-Scholle machen, zum Überleben?
Mittermüller: Derzeit haben wir beide kein Einkommen. Wir investieren gerade unsere Zeit und Geld, um hier etwas aufzubauen, von dem wir später leben können. Zudem leben wir relativ minimalistisch und haben das Privileg, dass wir beide aus europäischen Ländern kommen, wodurch wir so ziemlich jederzeit und überall auf der Welt ohne Probleme einen Job bekommen würden, falls nötig. Ich habe zum Beispiel in Australien und den USA innerhalb kürzester Zeit relativ gut bezahlte Jobs gefunden. Dazu kommt, dass Kolumbien zum Leben wirklich kein teures Land ist. Wir brauchen knapp fünf Euro am Tag.
Wenn man ihren Standort suchen wollte im Internet. Wie lauten die Koordinaten?
Mittermüller: Die genauen Koordinaten von La Turbina/The Turbine (so haben wir das Land benannt) kann ich hier leider nicht preisgeben. Der Staat heißt Putumayo, was hier Boca del Amazonas (Mund des Amazonas) genannt wird. Die Hauptstadt dieses Staates nennt sich Mocoa. Von dort sind es knappe 20 Minuten mit dem Roller und ein 20- minütiger Fußmarsch in den Dschungel.
Ist das, was Sie da gerade machen, irgendwie gefährlich?
Mittermüller: Gefahren existieren natürlich. Aber wir glauben, dass wir so harmonisch wie möglich mit Flora und Fauna leben, und das hat sich bisher bewährt. Aber natürlich muss man aufpassen, dass zum Beispiel keine Bäume auf die Häuser fallen... Des Weiteren gibt es hier im Dschungel viele Tiere, die nicht ganz ungefährlich sind. Wir haben drei Zentimeter große Ameisen (Kongs), deren Biss für bis zu fünf Stunden starke Schmerzen verursacht. Es gibt Großkatzen wie Pumas und Jaguare (die wir aber noch nicht gesehen haben). Und die vermutlich gefährlichsten sind die Giftschlangen, die wir besonders in der Regenzeit relativ häufig zu Gesicht bekommen und in einer spannenden Verlagerungsaktion auf die andere Seite unseres Bachs bringen. Dafür brauchen wir uns hier aber weniger Gedanken machen, von einem Auto angefahren zu werden. *Lacht*
Wir reden in Deutschland, nein in ganz Europa gerade vom Klimawandel. Wie kommt Ihnen die Debatte im Urwald Südamerikas vor?
Mittermüller: Ich denke, dass jeder vom Klimawandel betroffen ist. Unserem Planeten wird das vermutlich weniger schaden als uns Menschen. Demnach kann ich nur anregen, dass jeder sich an der eigenen Nase fasst und einen Teil dazu beiträgt, dem entgegenzuwirken. Wie auch immer das für einen selbst als richtig erscheint. Wir zum Beispiel leben komplett vegan und versuchen Plastik möglichst zu vermeiden hier im Dschungel. Das bedeutet aber keinesfalls, dass ich Leute davon überzeugen will, auf ihren Schweinsbraten mit Knödel am Sonntag oder mal eine Tüte Chips am Abend zu verzichten. Das Stichwort hier lautet: Reduktion. Ich muss zum Beispiel nicht jeden Schritt mit dem Auto fahren oder zu jeder Mahlzeit ein Stück Fleisch essen. Aber das Thema Umweltbewusstsein ist und bleibt ein ganz schwieriges, mit dem keiner so wirklich weiß, wie man richtig umgehen soll.
Warum nicht gleich zehn Windräder im Ebersberger Forst?
Ist Waldsterben auch bei Ihnen ein Thema?
Mittermüller: Waldsterben auf natürliche Weise, davon wüsste ich nichts. Hier in der Region gibt es jedenfalls sehr viele Organisationen, die sich tatkräftig für die Erhaltung der Natur und des Dschungels einsetzen. Aber natürlich hat die Natur damit zu kämpfen, dass wir als Mensch immer mehr Land für Lebensraum und landwirtschaftliche Zwecke benötigen und dadurch für die Ausrodung gesamter Wälder und großer Teile des Amazonas verantwortlich sind.
Im Landkreis Ebersberg streitet man sich schon längere Zeit in der Frage, ob fünf Windräder im Forst errichtet werden sollten. Ihre Meinung dazu könnte hier bei uns auch den einen oder anderen interessieren.
Mittermüller: Grundsätzlich bin ich ein absoluter Befürworter von erneuerbaren Energien. Natürlich bin ich nicht auf dem neuesten Stand bezüglich dieser Debatte, aber meines Erachtens nach macht es wesentlich mehr Sinn, den Raum für Windräder zu nutzen als für die Forstwirtschaft. Ich denke, langfristig gesehen ist grüne Energie definitiv die Richtung, in die wir uns entwickeln sollten. Übrigens: Mein Kumpel fragt: Warum nur fünf? Warum nicht gleich zehn?
Welche Lehren haben sie für sich von ihren Wanderjahren schon gezogen? Welche Lebenserfahrungen schon gesammelt?
Mittermüller: Puh, wie viel Platz dürfen wir denn beanspruchen? Ich glaube, zu dieser Frage alleine könnte ich ein ganzes Buch füllen. Aber hier mal die wichtigsten Lehren, die ich für mich aus meinen Erfahrungen gezogen habe. Ich denke, eine der größten Lehren ist die Wertschätzung. Das beinhaltet die Wertschätzung andere Kulturen, Menschen, unseres Planeten, mir selbst und allem, was das Leben so mit sich bringt. Natürlich fließt dort auch mit rein, in Deutschland aufgewachsen zu sein... Ich hatte schon immer eine relativ positive Grundeinstellung zum Leben, was sich aber durch das Reisen noch verstärkt hat. Des Weiteren habe ich gelernt, sich seinen Ängsten zu stellen, weil man am Ende stärker rauskommt und vermutlich dabei einiges lernt und eine geile Zeit hat (wenn auch manchmal nur rückblickend). Zum Beispiel ist die Welt nicht immer so, wie sie von den Massenmedien dargestellt wird. Klar gibt es Gefahren und Probleme in vielen Ländern, aber davon bekommt man als Reisender meist weniger mit. Sich also nicht von irgendwelchen Extremen, die in den Nachrichten gezeigt werden, abhalten lassen. Eine weitere Lektion, die ich gelernt habe, ist, dass unsere Kommunikation weit über das Verbale hinausgeht und man sich jederzeit und überall immer irgendwie verständigen kann. Selbstständigkeit muss man sich als Reisender definitiv aneignen. Ich habe einen Kumpel zum Beispiel, den ich innerhalb eines Jahres in vier verschiedenen Ländern, auf drei Kontinenten ohne vorherige Absprache zufällig getroffen habe. Das hat mir auf jeden Fall umso mehr die Augen geöffnet, dass die Welt in Wirklichkeit kleiner ist, als man denkt. Besonders in dem Zeitalter, in dem wir leben. Eine weitere Erfahrung: Definitiv ein minimalistisches Leben, nachdem man nur begrenzt Platz in seinem Rucksack hat. Hand in Hand damit geht natürlich die Loslösung von materiellen Dingen. Wir haben des Öfteren mit ein paar Kumpels darüber gesprochen, dass man als Backpacker eigentlich so gut wie obdachlos ist, nachdem dein Rucksack quasi dein Zuhause ist. Mir wurde umso mehr bewusst, dass Veränderung die einzige Konstante im Leben ist, also dies nicht als etwas Negatives anzusehen, sondern sie anzunehmen und wertzuschätzen. Dazu kommt auch die (hauptsächlich physische) Trennung von Familie und Freunden, was einen manchmal aber emotional näher bringt als zuvor. Und um diese Frage hier abzurunden; das Leben zu leben, das ich will und andere Lebensstile zu akzeptieren und zu tolerieren.