Viele Beispiele aus der Region
Beton-Brutalismus der 70er-Jahre: Alles Bausünden?
Schulen, die aussehen wie Fabriken; Bürogebäude, die Burgen ähneln und Wohnblocks, wie aus einem Lego-Baukasten - Brutalismus nennt sich dieser Baustil der 1970er-Jahre. Heute werden die Bauwerke auch in unseren Landkreisen oft verschmäht, umgestaltet oder abgerissen. Zurecht?
Sie stehen in jeder Stadt, jeder kennt mindestens eines dieser grauen, sperrigen Architektur-Monster: Sichtbeton, keine Farbe, offene Träger und Balken, roher Baustoff. Bauten, die sich nicht einfügen wollen. Es gab eine Zeit, um die 45 Jahre her, da war es modern so zu bauen - heute dagegen scheint man sich der vermeintlichen Bausünden von damals eher zu schämen.
Es wird verkleidet, saniert, abgerissen und gesprengt was das Zeug hält. Auch unsere Region entledigt sich Stück für Stück von dem Baustil, dessen Name passt wie die Faust aufs Auge: Brutalismus. Das Hallenbad "Badylon" in Freilassing wurde bereits abgerissen, das "Salzach-Center" in Burghausen ist noch heuer dran und in Waldkraiburg hadert man schon seit Jahren mit dem Rathaus und denkt an eine Sanierung der Fassade.
Die 1960er- und 70er-Jahre waren eine Zeit des gesellschaftlichen Aufbruchs. Das Alte wurde über Bord geworfen, in den Städten war wieder Geld da, um Baulücken zu schließen. Frischer Wind war die Philosophie hinter den Betonbauten der damaligen Zeit, der Glaube an Fortschritt und Aufstiegsmöglichkeiten für Alle. Der Auftraggeber: oft Kommunen und die öffentliche Hand.
Schulen, sozialer Wohnungsbau, Rathäuser, Arbeitsämter, Sparkassen, Versicherungen, Seniorenheime - vor allem sie waren es, die Bauherren und Architekten in den 60ern und 70ern als erstes diesem neuen Geist anpassen wollten. Aber auch Sakralbauten, wie die Pfarrkirche in Emmerting von 1967, kommen in diesem Gewand daher: Beton, unverkleidete Rohmaterialen, Ecken und Kanten.
Brutalismus - der Name für den Baustil leitet sich aus dem Baustoff ab: Roher Beton wird im Französischen "Béton brut" genannt, zum "ismus" ist es dann nicht mehr weit. Die urbanistischen Ungetüme finden sich in ganz Europa und dem Rest der westlichen Welt. Das Olympische Dorf in München ist ein überregional bekanntes Beispiel - doch der Brutalismus lässt sich eben auch in unseren Landkreisen aufspüren.
Die Burghauser Neustadt, Bad Reichenhall, Waldkraiburg oder Traunstein - überall lässt sich "Béton brut" finden, mal mehr und mal weniger, mal außergewöhnlich, mal 08/15. Viele Wohnblöcke der 70er-Jahre, wie zum Beispiel in Ainring-Mitterfelden, sind Paradebeispiele. Gut geschnittener Wohnraum, günstige Preise, ein Balkon für jeden Mieter - so sah das damals eben aus und war einige Jahre zuvor noch alles andere als selbstverständlich.
In den 1980er-Jahren wandelten sich viele Auffassungen. Der Glaube an den Fortschritt schwand mit der Ölkrise und dem vermeintlichen Waldsterben. Beton stand fortan für Umweltzerstörung und Menschenfeindlichkeit. "Schade, dass Beton nicht brennt", heißt ein Protestfilm anno 1981. Die unübersehbaren grauen Trümmer wurden schnell unbeliebt, verwitterten.
Auch heute scheint der Zeitgeist den Betonmonstern diametral gegenüberzustehen: Verspielt, retro und lieblich soll es 2017 sein, wenn es ums Wohnen, Einrichten und Bauen geht. Neubauten haben kaum Chancen auf Genehmigung, wenn sie sich nicht in die Umgebung einfügen. Dachneigung, Firsthöhe, Fassadenfarbe - Spielraum lassen die Bauverwaltungen oft kaum.
Trotzdem tut sich was: Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt widmet dem Brutalismus noch heuer eine Ausstellung. Unter dem Schlagwort "SOSbrutalism" formiert sich außerdem im Internet eine Gegenbewegung: So, als würde es sich um vom Aussterben bedrohte Tierarten handeln, wurde eine "rote Liste" erstellt - mit Betonbauten, die vor einem drohenden Abriss bewahrt werden sollen. Denkmalschutz für die 70er-Jahre-Bunker? Für viele wohl einfach noch immer undenkbar.
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